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Tugend ohne eigene Sprache

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Die Vereinigung der Jugendorganisationen in Bulgarien zu einem „Einheitsverband der demokratischen Jugend“ wurde mit einer Resolution begründet,' die einen Einblick in diesen Vorgang gewährt, der sich in allen slawischen Völkern vollzieht. Die Entschließung ergeht sich sehr breit in einer Paraphrase von marxistischen Ideologien, um dann fortzufahren:

„Der Einheits verband der demokratischen Jugend Bulgariens nimmt aktivsten Anteil an dem Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft zu dem Zwecke, die Lebensbedürfnisse des Volkes zu befriedigen, das kulturelle Niveau der Werktätigen von Stadt und Land zu heben und das Verteidigungspotential der Volksrepublik zu stärken.“

Das Vorhaben dieser Jugend ist geistig in die fertige Schablone einer Doktrine eingepaßt, die, von materialistischen Gedanken ausgehend, wieder zu ihnen zurückkehrt; es lenkt die Aktivität einer Jugend voll unbändigen Tatlebens auf die Mithilfe in der Wirtschaft, auf Bahn- und Straßenbaut n, auf Erdarbeiten bei der Anlegung neuer Industrien und Städte, also auf Dinge, die in normalen Zeiten nur den Erwachsenen obliegen und in Bulgarien seit 1920 zusätzlich vom Arbeitsdienst besorgt wurden. Hingegen wird als ein Ballast abgeworfen, was seit Jahrhunderten von der europäischen Pädagogik als ihre vorzüglichste Methode angesehen wurde, nämlich die Bildung der Seele, die Beflügelung des jugend liehen Denkens durch die überzeugende Kraft erhabener Ideen und ewiger Wahrheiten und die Verankerung des Menschen im Glauben an Gott. Was sich der neue Einheitsverband vornimmt, ist eine Kop e des Programms einer politischen Pattei, die für sich das Recht beansprucht, den Bürger von seiner Geburt angetangen bis zu seinem Ableben in ihrer Kartothek zu registrieren, zu beurteilen und zu dirigieren.

Was dem Beobachter an dieser Mentalität am meisten auffällt, ist die Verknüpfung der verlangten Aktion mit der gefährlichen Entwicklung der weltpolitischen Lage. Die Resolution drängt auf Vereinigung der Jugend gerade in erster Linie mit dem Hinweis auf die Kriegsgefahr. „Die Tagung stellt fest, daß sich Bulgarien in der Nachbarschaft von zwei neuen Kriegsherden befindet, nämlich des mon- archofaschistischen Griechenland und der Türkei“. Beshalb darf man den Schwerpunkt dieser Handlung wohl in dem Passus sehen, daß mit dem Zusammenschluß vornehmlich erreicht werden soll „das Verteidigungspotential der Volksrepublik Bulgarien zu stärken“. Wir haben es also mit einer das jugendliche Eigenleben bestimmenden militanten Note zu tun, mit einer soldatischen Erziehung auch schon der Kleinsten, denen man den Feind schon konkret beschreibt und nennt, ehe er von ihnen schon mit dem Verstände als solcher auch erkannt werden kann.

Darin liegt wohl die Erklärung für die überstürzte Hast, mit der auch in den anderen Oststaaten das Züsammenballen der Jugend in riesigen Massenorganisationen unter einheitlichen Kommando betrieben wird. In Jugoslawien ist sie schon einige Zeit in die Uniform gesteckt worden und der militärische Ton beherrscht die Jugendheime. In Polen hat diese Entwicklung im vergangenen Herbst begonnen, als sich die größte Vereinigung des Landes, der „Verband der Dorfjugend“, nach dem dramatischen Sturz ihres Gründers,- des oppositionellen Bauernführers Stanislaw M i k o 1 a j c z y k, in einer schweren Krise befand und ein vom linken Flügel überwältigter Kongreß sich aller Anhänger der Rechten- entledigte. Kaum war dies geschehen, wurde die Dorfjugend von ihren bisherigen politischen Gegnern, dem kommunistischen „Kampfverband der Jungen“ und dem sozialistischen „Jugendverband der Arbeitervolkshochschulen Omtur“ an den runden Tisch geladen, auf dem die „Kooperation“ beschlossen wurde:

„Vor unseren drei Bruderverbänden steht die wichtige Aufgabe, die nichtorganisierte Jugend für unser gemeinsarries Programm zu gewinnen. Wir wollen unter der Jugend die reaktionären, antinationalen Ideologien und die Reste des Faschismus bekämpfen und uns allen offenen und geheimen Regungen der Reaktion, allen ihren Versuchen zur Zertrümmerung der Einheit unserer Organisationen entgegenstellen und schließlich die Absichten eines gewissen Kreises von reaktionären Klerikern, den Glauben und die religiösen Gefühle der Jugend für ihre antidemokratische politische Agitation zu mißbrauchen, vereiteln.“

Wie im Falle der Bulgaren ergeht sich auch dieser Vertrag, nachdem er einige praktische Punkte der gemeinsamen Tätigkeit vor aljem in der Volkswirtschaft und der Volksbildung anführt, in hitzigen Ausfällen gegen dtn „Imperialismus und Neofaschismus der Welt“ und gegen die „Unterdrücker von freien Völkern", um schließlich der Weltföderation der demokratischen Jugend, die sich erst im vergangenen Sommer auf ihrem Prager Kongreß als eine kommunistische Filiale entpuppt hat, das Vertrauen auszusprechen. Damit wurde auch in Polen die Gleichschaltung vollzogen. Denn jene Verbände, die sich von parteipolitischen Exzessen noch fernhalten konnten, die Pfadfinder und die Diözesanjugend der Kirche, dürfen es nicht wagen, auch nur einen Schritt über die engen Grenzen einer streng satzungsmäßigen bescheidenen Tätigkeit zu tun.

Nun hat als letzter unter diesen Staaten auch die Tschechoslowakei das kommunistische Ideal vom Einheitsverband verwirklicht. Zu diesem Zwecke bestand schon seit 1945 ein „Einheitsverband der tschechischen Jugend“ und ein solcher für die Slowaken, ursprünglich überparteilich maskiert, . jedodi immer deutlicher ein Tummelplatz der kommunistischen Avantgarde. Deshalb lösten sich im Vorjahr zuerst die jungen Katholiken, vor einigen Wochen der Zentralverband der tschechischen Studentenschaft vom Einlieitfverbande los. Knapp vor dem jüngsten Umsturz wollte auch d e r Pfadfinderbund auf einer schon für diesen Zweck einberufenen Tagung diesem Beispiel folgen. Diese lawmenhafte Abkehr der jungen Generation vom Kommunismus — bei den Slowaken hatten die Kommunisten fast überhaupt keinen Anhang — wurde durch den Staatsstreich vom 25. Februar 1948 gehemmt. Die revolutionären Aktionsausschüsse verjagten die Führer dieser Vereine, die, aufbegehrend gegen den unjugendlichen Geist des Regimes, ihre eigenen Wege suchten.

Heute wird man in den Publikationen der slawischen Jugend vergeblich nach dem Bemühen suchen, die unnatürliche Entzweiung Europas zu vereiteln.- Auch die bis zuletzt mutige Haltung der antimarxisti schen und eines großen Teiles der sozialdemokratischen Jugend in der Tschechoslowakei konnte an der Tatsache nichts mehr ändern, daß die stille Hoffnung aller Verteidiger der europäischen Einheit, die Jugend dieser Länder werde die brüchig gewordene Brücke zwischen den großen Rivalen wieder stützen, gescheitert ist. Diese Entwicklung ist um so tragischer, als sich die slawische Jugend, zwar verspätet, aber mit einer überzeugenden Vitalität schon vor zwei Jahrzehnten angeschickt hatte, den Vorsprung der Nichtslawen rasch aufzuholen. Vor diesem Kriege schon zeichneten sich die erfreulichen Konturen ihrer kraftvollen Eigenständigkeit ab, ein positiver Gegensatz zu den im Westen vielfach auftretenden Symptomen einer geistigen Dekadenz. Nicht wenige Menschen versprachen sich von der slawischen Jugend eine Regeneration in dem Prozeß Europas. Wenn damals die Prophezeiung von einem „slawischen Zeitalter“ vorgetragen wurde, dann beruhte sie vor allem auf diesem Urteil. Freilich, innerhalb der Reihen der slawischen Jugend bestanden noch krasse Unterschiede im'Niveau und in den Zielen. Aber man konnte den Zeitpunkt fast rechnerisch ermitteln, da sie mit einem neuen Menschheitsideal vor uns hi'ntreten würde. Vor allem von der polnischen

Jugend glaubte man, sie werde aus katholischem Erbe und mit unbändiger Freiheitsliebe den historischen Messianismus der Polen fortsetzen, veredeln,, läutern. Nun gehen diese kostbaren und auch für die nichtslawische Welt bedeutsamen Regungen in einem Totalismus unter, der an das Sterben der deutschen Jugendbewegung im Jahre 1933 erinnert. Aus lebenden Organismen, die auch die Brutalität dieses Krieges überdauert hatten, wurden seit der Befreiung von fremder Okkupation lärmende Massenorganisationen, und als sich auch in diesen der Wille zur Individualität wieder regte, der anonyme Einheitsverband. Seine Sprache ist nur dem äußeren Gewände nach slawisch. Sein Geist ist jenem Dokument entlehnt, das vor genau 100 Jahren von Nichtslawen geschrieben wurde, dem Kommunistischen Manifest.

Der Anspruch der Einheitsverbände ‘auf die Führung der Jugend kann mindestens nicht in Polen, wo kaum mehr als ein Zehntel der Jugendlichen organisiert ist, durch hohe Mitgliederzahlen belegt werden. Selbst in den Referaten, die auf dem Kongreß des jugoslawischen Jugendverbandes erstattet werden, kehrt die Beschwerde wieder, daß sich viele junge Menschen dem Zwang der Organisation entziehen. Auch ist es ideologisch innerhalb der Vereine nicht zum besten bestellt, denn ihre Verwendung zu oft sehr schweren Handarbeiten bei Großbauten geht auf Kosten der Bildung nicht im fachlichen, sondern im moralischen Sinne. Nicht alles für die Verhältnisse in Jugoslawien sagt eine Entschließung der im Vorjahr am Bahnbat durch Bosnien eingesetzten 60.000 Jugendlichen (Burschen und Mädchen), die sich gegen die im Volke verbreiteten Gerüchte wandte, daß ihr Gemeinschaftsleben die jugendliche Moral zerstöre. Die Mitgliedschaft beim Verband ist heute in den meisten volksdemokratisch regierten Staaten eine unerläßliche Voraussetzung für die künftige berufliche Existenz, denn ein großer Teil der gehobenen Arbeitsplätze wird nur an seine Mitglieder vergeben. Dieser Drude fördert in diesen Organisationen eine Atmosphäre des Strebertums und einer Servilität, die für einen jugendlichen Charakter Gift ist. Was wir heute aus dem Osten hören, ist durchaus nicht alles echt.

Es ist vorauszusehen, daß sich in der slawischen Jugend noch rascher, als es in den Jugendverbänden des Hitlerreiches geschah, nach dem ersten Ansprung eine stumme und immer stärker werdende Opposition bilden wird. Es ist nicht wahr, daß man aus der Jugend machen kann, was man will. '

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