6661952-1960_12_04.jpg
Digital In Arbeit

Uber den Graben gesprochen

19451960198020002020

Friedrich Heers „Brief an einen nationalen Freund“ („Furche“ Nr. 8 vom JO. Februar 1960) hat weitreichenden Widerhall gefunden. Aus der Fülle der Zuschriften, die immer noch einlaufen, geben wir zunächst einer Stimme das Wort, die, mag sie auch nicht charakteristisch sein, für die Mehrzahl der Briefschreiber gerade durch das eigentümlich Abseitige symptomatisch wirkt. Hier ringt etwas Österreichisches um Ausdruck, das ziemlich weit verbreitet ist, und verdient, hüben und drüben zur Kenntnis genommen zu werden, auch wenn man nicht geneigt ist, sich mit ihm zu identifizieren.„Die Furche“

19451960198020002020

Friedrich Heers „Brief an einen nationalen Freund“ („Furche“ Nr. 8 vom JO. Februar 1960) hat weitreichenden Widerhall gefunden. Aus der Fülle der Zuschriften, die immer noch einlaufen, geben wir zunächst einer Stimme das Wort, die, mag sie auch nicht charakteristisch sein, für die Mehrzahl der Briefschreiber gerade durch das eigentümlich Abseitige symptomatisch wirkt. Hier ringt etwas Österreichisches um Ausdruck, das ziemlich weit verbreitet ist, und verdient, hüben und drüben zur Kenntnis genommen zu werden, auch wenn man nicht geneigt ist, sich mit ihm zu identifizieren.„Die Furche“

Werbung
Werbung
Werbung

Sehr geehrter Herr Heer!

(Solltest Du gesellschaftliche und akademische Grade haben, so seien sie alle Deinem Namen in Ehren vorgesetzt.)

Lange warst Du mir mit Deinen Aufsätzen in der „Furche“ ein Buch mit sieben Siegeln. Dein letzter Brief an einen nationalen Freund erlöste mich von diesem Übel, bewies — daß meine leisen Vorbehalte zu Recht bestanden. Zwar bin ich nicht Dein angesprochener Gegner von 1938 und marschierte auch nicht zur Schiller-Feier in Wien — bin diesbezüglich also ein untaugliches Objekt für die Öffentlichkeit —, doch rechnete Ich mich mit meinen 18 Jahren sehr zu den Waffenträgern der Nation. Es sei nicht bestritten, daß ich Euch damalige „Schwarze“ (bitte, sei nicht ungehalten über diesen Volksausdruck) unbesehen für überholt in den Methoden und Ideen hielt.

Nun, das alles ist weitgehend geklärt — Euch zur Ehre — mir zur Selbsterziehung.

Daß ich Sohn kleiner Leute meine jugendliche Letztbereitschaft nicht mit dem Leben quittieren mußte, verdanke ich einem sehr, sehr gnädigen Schicksal und der Sanität. (Weniger meinen Ideen von 1938, wie offen zugegeben sein soll.) 1945 war ich dann Besiegter - Ihr Befreite! Ihr dachtet speziell an Österreich, wir - trotz der neuen-alten staatsrechtlichen Lage — mehr an den Gesamtraum. Ob Du Dir das ganz vorstellen kannst, weiß ich nicht, vielleicht findest Du eine schlechte Parallele in Deinen Erlebnissen 1938. Das Schreckliche war, daß wir es nicht fassen konnten, daß der Westen die große Allianz mit dem Kommunismus aufrechthielt und alle, die bereit waren, gegen den Osten anzutreten, unter Verschluß nahm oder gar auslieferte! Unter unseren Leuten gab es Verbrecher — gewiß —, erspare mir bitte jedoch meine Meinungsäußerung über einen Teil der Sieger. (Wissen heute alle Leute, obwohl Demokratie herrscht, was gespielt wird?). Ich verstand einfach diese für den Westen „tödliche“ Gesamtkonzeption nicht. Jeden Tag. jede Woche, jeden Monat — jedes Jahr warteten wir auf die Änderung, hofften wir, der Westen würde sich nicht um die mit der Waffe eroberte Verantwortung drücken. Doch wurden wir immer wieder belehrt, daß nur wir bösen Nazi so denken könnten. So wurden wir allmählich von unserer Dummheit überzeugt. Haste ihn jesehen! würde da der Berliner sagen, war da ein amerikanischer Zug in der Politik, auf den man wienerisch sagen hätte können: A da schau her! Nun — heute wissen wir, daß diese Karte von Amerikas eigenem Präsidenten gestochen wurde.

So vollendete ich — politisch zerbrochen — meine Studien, trat keiner einzigen Partei mehr bei (auch nicht dem VdU oder jetzt FPÖ), gründete eine sehr zahlreiche (glückliche) Familie — baute ein Haus und arbeitete. Wir wurden nicht geldgierig, obwohl wir es noch sehr brauchen, die Politik und das Geistesleben interessiert mehr — aber ich konnte mich beherrschen, fünftes Rad an irgendeinem Wagen zu werden. In den Wissenschaften reicht meine Intelligenz aus, um zu erkennen, daß ich kein Universitätsprofessor mehr werde. So halten wir zurückgezogen einfach gute Nachbarschaft und beobachten.

Immer mehr mit steigenden Jahren — heute bin ich vierzig — anerkannte und respektierte ich die Leistungen der Politiker nach 1945 in Österreich, während die Öffentlichkeit zunehmend von Unbehagen spricht. Ich weiß nicht recht, was die Leute wollen nach dieser Katastrophe. Ich wäre der beste „Schwarzrotwähler“, wenn es diesen Stimmzettel gäbe. Da erschien wie ein Stern auf dem Himmel für mich die Neutralität unseres Staates. Daß ich den Westen wieder nicht verstand — störte mich weiter nicht mehr. Neutralität auf denkbar breitester Basis war der glücklichste Wurf seit Jahren (obwohl ich das Wort „ewig“ ähnlich belächle wir Ihr unser tausendjährig).

Macht Euch jetzt alles schön alleine I Das war die erklärte Absicht, damit aber konnte auch ich einverstanden sein. Auf diesem Wege fand ich zu Österreich. Auf der gleichen Ebene konnte man auch an Überleben denken, ohne sich an eine Gesellschaftstheorie blind zu fesseln. Daß keiner den Bruchteil einer Sekunde zu früh kämpfen soll, sprach sich nämlich sehr weit herum. Die Winkelriede sterben aus für den Westen. In der Neutralität aber liegt Eigen -interesse, sofern sie nicht für den Westen mißbraucht wird. Der große Friedenspräsident und Kreuzfahrer Eisenhower versucht auch nur noch zu überleben. Soll es da so verwerflich sein,wenn wir Österreicher — viel näher der Gefahr — ein gleiches wollen?

Was aber soll das alle zu Deinem Artikeln der sich ja' um eine Sprache in Österreich be-, müht? Nun, wir beide, Du und Ich, sind Personen am Rande. Du spirituell wahrscheinlich besser fundiert. Du zusätzlich mit einer Auffassung von Christentum beseelt, die seiner Nachfolge gleichkommt — würde sie wirksam. In früherer Zeit hätten Dich Deine Politiker vermutlich in ein Kloster konfiniert und viele Handschriften beigebracht zum Übersetzen. Dein Bild vom zerbrochenen Konstantin wird Dir im westlichen Österreich den Boden unter den Füßen gelockert haben. (Mögest Du in fernerer Zukunft auch recht haben!). Religiosität bis zur Selbstdarbietung gelebt, ist für den einzelnen gewiß die Krone des Lebens. (Ich neige mich davor in Ehrfurcht.) Für eine Gemeinschaft wirst Du aber nie die Legitimation bekommen dazu.

Du bekrittelst also manche Entwicklung innerhalb der ÖVP, ziehst einen Trennungsstrich zwischen Euch und „Deinem nationalen Freund“.Ich trauere mit Dir, wenn sich die innenpolitischen Fronten versteifen sollten. Aber w i r beide stehen, wie gesagt„ am Rande unserer Gruppen und repräsentieren nicht westliches Großkapital. Was nützt es, wenn wir jedermann „gut Freund“ zurufen? Eine Selbstbefriedigung an der Schreibmaschine bleibt es, wie dieser Brief an Dich von mir. Hier muß ich nun auf meine — Verzeihung —,auf Deine Klavierspieler zu sprechen kommen - daß ich selbst keiner bin, erfuhrst Du ja schon —, also: Ich verarge es niemandem, wenn er so artistisch ist. Soll er der ÖVP, FPÖ oder der Linken beigetreten sein. Schließlich habt „I h r“ uns ja entnazifiziert und damit eine klare Rechtsbasis geschaffen. Damit wurden wir umerzogen, und damit basta. Wie anders wäre es sonst erklärlich, daß Ihr Euch so vor den Wahlen um uns bemüht? Du richtest Deinen Appell an ein untaugliches Objekt. I h r habt Überlegungen und Entscheidungen zu treffen, nicht wir. Ich finde es billig, einen Ausfall nach dieser Seite zu machen, sosehr ich es bedaure, Dir hier entgegentreten zu müssen. Die linke Seite der Koalition nahm ja auch Liberale auf, ohne daran zu zerbrechen. Sie sind alle verdaut. Vielleicht könntest Du schicklicher darüber nachsinnen, wie die es machten, statt Verantwortung abwälzen zu wollen. Schau, wer redet in der römischen Hierarchie schon von Demokratie, die Du uns so schmackhaft machen willst, und doch lebt sie bis dato recht zähe. Ich meine damit nicht, daß ein notwendiger Zentralismus so allumfassend und straff sein müßte wie sonstwo. Den Staat Österreich aber bejahen und seine Staatsbürger in Einzelindividuen mit Freiheitsegoismen aufzusplittern, finde ich einen unseligen Widerspruch. Hättet Ihr ein klares Gesamtkonzept, so wüßtet Ihr zumindest, daß Ihr der Kern der Partei seid, so aber hast Du jetzt Angst, daß „Liberale“ in das Zentrum vorstoßen. Aber Ihr wollt doch eine „Volkspartei“ sein, wenn ich richtig lesen kann. Die andere Alternative wäre nämlich nur noch Verzicht zugunsten eines Kaders. Wie viele Mandate das wohl gäbe? Das bekämpfen gewiß alle Deine Mitbrüder, die sehr gerne sich in möglichst vielen Sesseln räkeln und nicht so edelmütig waren wie Du. Was wunderst Du Dich da über Feuer, das Dir da entgegenschlägt? Es sind doch Deine Mannen, die Dir da verständnislos lauschen. Offen erkläre ich Dir als Parteifremder: Klösterlicher Mut beflügelt Deine Zunge im Jahre 1960. Die Politik (auch Eure) aber wird auf Erden gemacht und nicht im Himmel.

Erlaube also, daß ich wieder in Frieden von Dir scheide. Dein gesuchter Klavierspieler wurde ich ja nicht, bin also auch nicht Dein nationaler Freund, den Du so unfreundschaftlich in Verlegenheit brachtest. Vermutlich sind wir Individualisten, die sich interessiert beschnupperten. Hegst Du Feindschaft ob der offenen Worte? Ich bitte Dich, verzeihe. Es gibt seit dem Untergang des Hitler-Reiches ja keine Nationalsozialisten mehr, sondern nur noch: Besiegte, Blinde und „Klavierspieler“. Trost wie oben — bei Rosa hatten sie die gleichen Sorgen.

Bin auch Dein (Familienvater)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung