6577693-1950_52_05.jpg
Digital In Arbeit

Um das Mitbestimmungsrecht des Arbeiters

Werbung
Werbung
Werbung

„Mitbestimmung soll erzwungen werden“ — so las man am 2. Dezember 1950 in der Presse, und dieser Überschrift folgte eine Meldung aus Düsseldorf; „210.000 Arbeiter und Angestellte der eisen- und stahlschaffenden Industrie haben sich am 29. und 30. November in einer Urabstimmung dafür.ausgesprochen, ihr Mitbestimmungsrecht notfalls durch Anwendung eines Generalstreiks zu erzwingen.“ Durch diese Urabstimmung, der eine ähnliche im Kohlenbergbau folgt, ermächtigte die Mehrheit der ge-w e f ks c ha f t lieh organisierten M e t a 11 a r b e i t e r die Gewerkschaftsleitung, „im entscheidenden Augenblick die Arbeiter zur Arbeitsniederlegung aufzufordern.“ Kurz zuvor hatte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in einem Schreiben an Bundeskanzler Dr. Adenauer erneut die Forderung auf Neuregelung der Verhältnisse in der Eisen-, Stahl- und Berg-bäuindustrie begründet.

Zweifellos hat damit in der Bundesrepublik Deutschland ein neues, vielleicht ein entscheidendes Stadium in diesem bisher schon sehr heftigen Kampf zwischen Gewerkschaften und Unternehmern begonnen. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen (wie in östereich durch das Gesetz vom Jahre 1947) ein Kompromiß zustande kam, wurden die Verhandlungen in Westdeutschland wiederholt ergebnislos abgebrochen. Daß die Gewerkschaften nun als Grundlage für ihre neue Verhandlungstaktik die Ermächtigung zum Generalstreik einholten, zeigt, daß sie nicht in erster Linie ein Kompromiß erstreben, sondern auf der Verwirklichung ihrer Forderungen bestehen wollen. Was sinddieseForderungen, und was sind die Unternehmer zu gewähren bereit? Nur wer die Antwort auf diese Frage kennt, kann ermessen, welches Ausmaß die zu erwartenden Auseinandersetzungen ereichen können.

Was ist überhaupt unter Mitbestimmung zu verstehen? Dieser Begriff, der leider schon zum Schlagwort geworden ist und der durchaus verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zuläßt, wurde von gewerkschaftlicher Seite einmal definiert als „die Teilnahme der Arbeitnehmer an der Willensbildungder Betriebsleitung und Beeinflussung dieser Betriebsleitung im Sinne der Arbeitnehmer“. In der praktischen Anwendung ist Mitbestimmung auf personellem, auf sozialem und auf wirtschaftlichem Gebiet möglich.

Entscheidend sind aber nicht die theoretischen Formulierungen, sondern die konkreten Forderungen. Die endgültigen Vorschläge für die Neuordnung der deutschen Wirtschaft hat der Gewerkschaftsbund im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht. Sie sehen vor: für die überbetriebliche Mitbestimmung Schaffung eines Bundeswirtschaftsrates mit 150 Mitgliedern, die je zur Hälfte von den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften zu benennen sind; Bildung eines Landeswirtschaftsrates in jedem Land der Bundesrepublik (je 60 Mitglieder) als paritätische Vertretung der Wirtschaft zur Beratung von Regierung und Parlamenten in wirtschaftlichen und sozialen Fragen; ferner paritätisch besetzte Wirtschaftskammern an Stelle der Industrie- und Handelskammern, Handwerks- und Landwirtschaftskammern. Zur innerbetrieblichen Mitbestimmung sollen alle Kapitalgesellschaften Aufsichtsräte erhalten, die paritätisch aus Vertretern des Unternehmens und der Gewerkschaften bestehen, die Personalgesellschaften sollen derartige Aufsichtsräte von einer bestirnten Größe an bekommen. Für die Behandlung von Produktions- und anderen wirtschaftlichen Fragen sollen in den Betrieben Wirtschaftsausschüsse zuständig sein, deren Mitglieder in gleicher Zahl vom Betriebsrat und Betriebsleitung zu ernennen sind, wobei den Vertretern des Betriebsrates in entscheidenden Dingen ein Vetorecht zustehen soll.

Die Industrie hat diese Vorschläge im Frühjahr abgelehnt und sich besonders dagegen gewandt, daß betriebsfremde Personen entscheidenden Einfluß auf die Zusammensetzung der Betriebsleitung bekommen sollen. Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde — so argumentierten die Arbeitgeber — die Umwandlung von bewährten Gesellschafts- und Verwaltungsformen bedeuten und eine „totale Vergewerkschaftlichung“ herbeiführen. Das Ziel der Gewerkschaften, das gesamte wirtschafts- und sozialpolitische Geschehen zentral zu beeinflussen, ist kaum zu übersehen. Die Industrie machte dagegen geltend, daß nur zu etwa 35 Prozent der Arbeitnehmer den Industriegewerkschaften angehören. Im Prinzip stimmten die Unternehmer jedoch der Bildung eines Bundeswirtschaftsrates und der Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten bis zu einem Drittel derSitzezu, sofern nur Belegschaftsmitglieder delegiert werden. Ein absolutes Vetorecht der Arbeitnehmer gegen die Bestellung von Vorstandsmitgliedern lehnten sie dagegen entschieden ab.

Die Kampfentschlossenheit, die in der Urabstimmung der Gewerkschaften zum Ausdruck kam, rief auf der Gegenseite eine ebenso betonte Bereitschaft zur Abwehr hervor. Die Arbeitgeberverbände brandmarkten den Beschluß zum Einsatz gewerkschaftlicher Kampfmittel als „Wendung vom Geist der sozialen Gemeinschaft zum Geist des Klassenkampfes“ sowie als Umgehung des Parlaments und erklärten jetzt, sie lehnten die These der Gleichheit von Kapital und Arbeit, auf der das ganze Gebäude der Mitbestimmung ruht, ab, da sie mit dem Eiger.tumsbegriff unvereinbar sei. Doch ließen sie erneut ihre Bereitschaft erkennen, ein Mitbestimmungsrecht in sozialen und teilweise in personellen Fragen zuzugestehen, ebenso wie in wirtschaftlichen Dingen ein Mitwirkungs- und Mitspracherecht.

In Westdeutschland trat nach dem Scheitern der Gespräche von Hattenheim, wo sich Gewerkschaften und Unternehmer vergeblich zu einigen suchten, eine Beruhigung in dem Streit ein. Es sah so aus, als ob eine Regelung der Mitbestimmung auf der Grundlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung erfolgen würde. Viel mehr ernüchternd und klärend aber als diese „Kampfpause“ wirkte die Ansprache, die Papst Pius XII. am 3. Juni 1950 vor dem Internationalen Kongreß für Sozialforschung hielt. Es sollen hier nicht die verschiedenen Auslegungen geschildert werden, die diese Ansprache erfuhr und deren äußerstes Extrem einerseits die Versidierung darstellte, der Papst habe sich nicht gegen die berühmte Entschließung des Bochumer Katholikentages wenden wollen, welche die Mitbestimmung als „natürliches Recht in gottgewollter Ordnung“ bezeichnete — und deren Gegenpol ein Artikel des konservativen Koblenzer „Rheinischen Merkur“ bildete, in dem die Ausführungen des Heiligen Vaters unterstrichen und der im Hinblick auf Bochum mit der Schlagzeile „Das Ende eines Irrwegs“ versehen war.

Wenn jetzt der Kampf um die Mitbestimmung von neuem entbrennt, so beginnt er unter zweifach verändertem Vorzeichen. Die Gewerkschaften werden mit der Drohung des Generalstreiks operieren. Die Katholiken aber werden — und wir denken dabei vor allem an Männer wie Matthias Föcher, den zweiten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der aus den christlichen Gewerkschaften hervorgegangen ist — an den Worten des Papstes nicht vorbeigehen können. Papst Pius XII. wies in der erwähnten Aussprache auf die Gefahr hin, daß „die Arbeiterklasse ihrerseits den gleichen Fehler macht wie das Kapital, indem hauptsächlich in den großen Unternehmungen die persönliche Verfügung des Eigentümers über die Produktionsmittel diesem entzogen würde, um sie der Verantwortung anonymer Kollektive zu übertragen“. Und nicht ohne Grund mag der Papst „die fundamentale Bedeutung des Rechts auf Privateigentum für die Entwicklung der Initiative und des Verantwortlichkeitsgefühls in Wirtschaftsdingen“' betont und erklärt haben, aus grundsätzlichen und praktischen Erwägungen sei die geforderte wirtschaftliche Mitbestimmung außerhalb des Bereichs der Verwirklichungsmöglichkeit.

Da nach den Ereignissen der letzten Novemberwoche die Gegner erneut sich rüsten und die Fronten erstarren, kann man einem Kampf nicht ohne Sorgen entgegenblicken, in dem jene Personalwürde, die beide Parteien, Gewerkschaften und Unternehmer, retten wollen, schließlich endgültig zu versinken droht. Denn dieser Kampf wird mit Notwendigkeit, wie er auch ausgehen mag, eines mit sich bringen: eine fortschreitende Politisierung der Betriebe, jener Sphäre also, in der Millionen arbeitender Menschen ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage haben. Hier wirken Gegensätze um so verhängnisvoller, je mehr sie politisch statt sachlich ausgetragen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung