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Um das Mitbestimmungsrecht im Betrieb

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München, Mitte November

Mit großer Spannung erwartet, tritt am 28. November 1949 in Mainz die vom Bochumer Katholikentag gewählte Kommission zur Beratung der Fragen zusammen, die sich an die in Bochum erhobene Forderung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer im Betriebe knüpfen. Die Bochumer Beschlüsse, in weiten Kreisen stürmisch als Aufbruch zu einer neuen katholischen Sozialbewegung begrüßt, aber auch anderwärts mit zögernder Zustimmung und kritischen Vorbehalten aufgenommen, haben in breiten Bahnen verlaufende Debatten ausgelöst, in denen das Bemühen erkennbar wird, das konkrete Ziel von der Unbestimmtheit eines Schlagwortes zu befreien. Schon die um die letzte Monatswende in Kleinheubach bei Mittenberg am Main stattgefundene Tagung des deutschen Zweiges des Internationalen Instituts für Sozialpoljtk, an der auch österreichische, schweizer, italienische, französische Soziologen und Wirtschaftspolitiker teilnahmen, befaßte sich vornehmlich mit diesem Thema; sie erreichte Einmütigkeit darüber, „daß vor allem dem einzelnen arbeitenden Menschen im Betrieb soviel selbstverantwortliche Gestaltung der eigenen Arbeit und soviel Mitbestimmung des Ganzen zusteht, wie die sachlichen Erfordernisse einheitlicher Zusammenarbeit und Führung des Unternehmens gestatten. An zweiter Stelle“, so heißt es in der Zusammenfassung der Beratungsergebnisse weiter, „steht dann Mitsprache und Mitbestimmung der Belegchaft als Ganzes, vertreten durch ein eigenes betriebliches Organ. Das jeweils mögliche Ausmaß solcher Mitbestimmung sollte vorzugsweise durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Ein unabdingbares Mindestmaß hat der Gesetzgeber zu gewährleisten. Einer von 140 Mitgliedern beschickten Sondertagung des B u n d e s katholischer deutscher Unternehmer, welche das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft als deren Anrecht „als Mitträgerin und Miterhalterin der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" definieren und zur Verwirklichung der außerbetrieblichen Mitbestimmung einen Wirtschaftsrat als Bundes- oder Landesorgan sehen wollte, entgegneten alsbald die Leiter des Verbandes katholischer Arbeitervereine Deutschlands in öffentlichen Erklärungen, in denen der Verbandspräses Dr. Hermann Josef Schmidt feststellte, die katholische Arbeiterbewegung erblicke im Mitbestimmungsrecht ein Ziel, das verwirklicht werden müsse und in dem auch die berufständische Ordnung verwirklicht werden könne. Die Möglichkeit eines Bundeswirtschaftsrates erscheine fraglich, da verfassungsmäßige Grundlagen hiefür nicht gegeben seien. Die katholischen Arbeitervereine wünschten eine organische Entwicklung des Mitbestimmungsrechts von der Mitarbeit der Arbeiter über die Mitverantwortung zur Mitbestimmung.

Hier zeichneten sich bereits die gegensätz lichen Positionen ab. So konnte es auch nicht anders sein, als daß die Zweite katholische soziale Woche, die hier in München am 10. November begann, den Hauptakzent ihrer Beratungen und Beschlüsse auf die Formulierung des Mitbestimmungsrechtes legte. Der Tagung, die der bayrische Staatsminister Dr. Heinrich Krehle leitete, legte Univ.-Prof. Dr. Guido Fischer, München, das Referat „Der Betrieb in der neuen Gesellschaft" vor. Schon zuvor hatte sich der Zweite Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, M a 11 h i a s P ö- c h e r, Düsseldorf, mit auffallender Schärfe zunächst für die Einheitsgewerkschaft und gegen die Wiedererrichtung christlicher Gewerkschaften ausgesprochen.

Der Gedanke, die alten christlichen Gewerkschaften wieder ins Leben zu rufen, sei nicht nur eine „romantische Spielerei", sondern ein „höchst gefährlicher Unfug", dessen Folgen unabsehbar wären.

Die heroische Zeit der christlichen Arbeiterschaft in Deutschland sei vorbei. Die Befürchtungen vor einer Beeinflussung der christlichen Arbeiterschaft durch nichtchristliche Weltanschauungen müßten zurückgestellt werden hinter der dankbaren Feststellung, daß es gelungen sei, die Schranken innerhalb der Arbeiterschaft abzubauen. Die Christen müßten mutig und bewußt aus der Epoche der Bewahrung in die Zeit der Bewährung eintreten. Die Verteidigung des Glaubens in der Welt könne nicht durch ängstliche Zurückhaltung gefördert werden, sondern allein durch die missionarische Kraft. Ein großer Teil der religiös abseits stehenden Arbeiterschaft werde nicht durch Gotteshaß vom kirchlichen Leben getrennt, sondern durch die erschütternden Gegensätze zwischen Lehre und Praxis des christlichen Lebens selbst. Die Überwindung dieses Zwiespaltes könne allein dazu beitragen, den religiösen Bestand zu erhalten und die Arbeiterschaft, zur Kirche zurückzuführen. Der Redner schloß daran:

Die Bochumer Entschließungen stellten unter diesem Gesichtspunkt vielleicht die größte und letzte Chance dar. Man müsse davor warnen, das Bekentnis von Bochum abzuschwächen oder über der Formulierung die Wirklichkeit zu vergessen. Die Bochumer Entschließung habe in weiten Kreisen der Arbeiterschaft eine fast kindliche Gläubigkeit wachgerufen. Sie zu enttäuschen, könne unabsehbare Folgen nach sich ziehen. Der Deutsche Gewerk s c h a f t s b u n d bekenne sich zu Bochum mit seinem ganzen Verantwortungsgefühl und seiner ganzen Kraft.

Die Ausführungen Pochers wiesen deutlich die kämpferische Haltung der Vertreter der Bochumer Beschlüsse. Diese finden denn auch in der Resolution, mit denen die Zweite soziale Woche von München ihre Beratungen krönte, eine gewisse Fortsetzung und Definition. Die Entschließung bezeichnet die Stellungnahme der Tagung zunächst als neues Bekenntnis zu dem sozialen Wirtschaftsprogramm auf christlicher Grundlage, das auf der 1947 in München abgehaltenen Ersten sozialen Woche beschlossen wurde und lenkt „angesichts der sehr ernsten volkswirtschaftlichen Lage und der damit verbundenen Gefahr erhöhter Spannungen mit Nachdruck die Aufmerksamkeit auf folgendes“:

„Aufbauend auf die Beschlüsse des Bochumer Katholikentages über das Mitbestimmungsrecht aller am gemeinsamen Werk Tätigen trägt die Katholisch-Soziale Woche folgendes zu deren Verwirklichung bei:

Zu unterscheiden ist das Mitbestimmungsrecht im Betrieb und in der Gesamtwirtschaft. Das Mitbeslimmungsrecht der Belegschaft eines Betriebes ist mit der M i t- verantwortung verbunden. Art und Umfang der verschiedenen Formen des Mitbestimmungsrechtes, nämlich Mitsprache, Mitwirkung und Mitbestimmung, sind nach

Betriebsart, Betriebsgröße und Rechtsform der einzelnen Betriebe verschieden. Für den personellen, sozialen und wirtschaftlichen Anwendungsbereich können innerhalb des gleichen Betriebes verschiedene Formen des Mitbestimmungsrechtes zugleich angewendet werden.

Festzulegen ist die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes für jeden Betrieb durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Unternehmer und Belegschaft. Eine entsprechende bisherige Übung im Betrieb ist möglichst in die Form einer Betriebsvereinbarung überzuleiten. Durch ein staatliches Rahmengesetz ist die

Verpflichtung zum Abschluß solcher Betriebsvereinbarungen und deren Mindestinhalt festzulegen. Für die Gesamtwirtschaft gilt in den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft das Mit- wirkungs- und Mitbestimmungsrecht. Vermehrte und vertiefte religiöse, soziale sowie betriebs- und volkswirtschaftliche Schulung dient einer erhöhten Mitbestimmung und Mitverantwortung der Arbeiter und Angestellten.

In der abschließenden Resolution bekannte sich die Münchner Tagung zur Einheitsgewerkschaft „unter der Voraussetzung, daß diese nicht nur theoretisch,

sondern auch praktisch das Gesetz unbedingter parteipolitischer und religiöser Neutralität, echter Toleranz und Gleichberechtigung in allen Funktionen des gewerkschaftlichen Lebens beachtet und allgemein zur Beachtung bringt“.

Die starke Bewegung, die sich in den hier skizzierten Vorgängen abzeichnet, wird nicht mehr zur Ruhe kommen. Die im Aufbruch scheinenden reformerischen Kräfte sind eine große Hoffnung. Vielleicht dämmert mit ihnen ein neues christliches Deutschland herauf.

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