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Um das Weiße Haus

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Philadelphia, die Stadt, in der die Konventionen zur Nominierung der Präsidentschaftskandidaten abgehalten werden, hatte einen ruhenden Punkt: den über dem Portal des Bellevue-Stradford-Hotels schwebenden fünfzehn Fuß hohen Gummiballonelefant, dem Wahrzeichen der Republikanischen Partei. Es beherrschte die ganze Stadt. Niemals noch waren die Republikaner so überzeugt von ihrer eigenen Unbesiegbarkeit und „elefantengleichen“ Stärke zu der „Convention“ zusammengetreten. Die Bedeutung der Parteikongresse griff aber weit über die „Convention Hall“ hinaus und zog die ganze Welt in ihren Bannkreis. Selten war aber auch auf den Konventionen der Republikaner und der Demokraten so viel von Außenpolitik gesprochen worden und selten noch war gerade bei einer Tagung der Republikanischen Partei die, Bedeutung der Isolationisten so gering gewesen. Die republikanischen Führer erklärten ohne Umschweife, daß sie — wenn sie auch New Deal und die innerpolitischen Maßnahmen Trumans angriffen — selbstverständlich den vorgezeichneten außenpolitischen Weg der beiden letzten Präsidenten mit noch größerem Nachdruck weiterverfolgen werden. Möglicherweise wird die Präsidentenwahl 1948 über innerpolitische Fragen entschieden kann sich die Arbeiterpolitik des Präsidenten ulnd seine außenpolitischen Sympathien für das Judentum erweisen.

Am Vorabend der Entscheidung im Kampf um das Weiße Haus sah sich die Demokratische Partei größeren Schwierigkeiten gegenüber als die Republikaner. Ihre Niederlage bei den letzten Kongreßwahlen hatte ihr inneres Gefügt stark erschüttert. Die Abspaltung des linken Flügels, Wallace, bedeutete zwar keine allzu große Gefahr für die Partei selbst, konnte ihr aber am Wahltag vier bis fünf Millionen Stimmen entziehen. Aber nicht nur von Links drohte ihr Stimmenverlust, auch die Vertreter der Südstaaten waren mit der gegenwärtigen Politik, besonders in der Negerfrage, nicht einverstanden. Ihr Mißtrauen’ führt sogar so weit, daß sie die demokratische Konvention verließen und auf einem eigenen Konvent beschlossen, auf jeden Fall einen neuen Kandidaten und wenn möglich eine Demokratische Dissidentenpartei aufzustellen. Günstig für die Partei kann sich aber die Arbeiterpolitik des Präsidenten und seine außenpolitischen Sympathien für das Judentum erweisen.

Die Republikanische Partei zeigte ein homogeneres Bild. Ihre gefährliche Klippe liegt in dem scharfen antikommunistischen Kurs, der in einer Überspitzung der Tatsachen zu einer gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung führte. Wahrscheinlich würde ein republikanischer Präsident den Arbeitern die ihnen durch die Taft-Hartley-Bill genommenen Rechte schrittweise wieder zusprechen, da ein feindlicher Gegensatz zwischen Staat und Arbeiterschaft in den Vereinigten Staaten undenkbar ist. Aber obwohl das Taftsche- Gesetz von einer republikanischen Kongreßmehrheit in Kraft gesetzt worden war, neigte die Stimmung des Landes zu Beginn der Konventionen unzweifelhaft auf die republikanische Seite.

Die Form dieser Konventionen bleibt für jeden Außenstehenden lange Zeit ein Rätsel. Die Delegationen, die zu ihnen entsandt werden, wurden entweder durch eine Konvention des betreffenden Bundesstaates bestimmt durch direkte Wahlen ermittelt oder durch die Parteileitung des Staates aufgestellt. Während die Demokraten die einfache Regel haben, daß jeder Staat zweimal soviel Delegierte zu entsenden hat als er Mitglieder des Kongresses stellt, ist der Vorgang bei den Republikanern viel komplizierter. Sie entsenden aus jedem Kongreßdistrikt, der bei der letzten Wahl bis zehntausend republikanische Stimrrten aufwies, einen Delegierten, zwei für jeden, der über zehntausend Stimmen hatte, vier Delegierte außerdem von jedem Staat und als Gratifikation drei Delegierte für jeden Bundesstaat, der bei der letzten Wahl eine republikanische Mehrheit erzielte. Diese Auswahl ergibt bei den Republikanern 1094 Delegierte, die noch von unzähligen „Ersatzmännern“ begleitet werden, falls einer der Hauptbestimmten erkrankt, und 1234 für die Demokratische Partei. Den Vorsitz über die Konventionsversammlung führt ein „Chairman“, der mit einem ihm unterstellten Komitee für das durchzuarbeitende Programm verantwortlich ?st. Ihm zur Seite stehen vier Ausschüsse für Organisation,

Geschäftsordnung, Überprüfung und Resolutionen. Der Vorsitzende ruft die einzelnen Staaten in alphabetischer Reihenfolge auf und ersucht sie, ihren Wahlvorschlag bekanntzugeben. Jeder Staat hat das Recht, einen „nomination speech“ — eine Wahlrede — zu halten, der von anderen Staaten sekundiert wird. Dann geben die einzelnen Delegationen ihre Wahl bekannt, oder, falls die Stimmen innerhalb der Vertretungen gespalten sind, wieviel Stimmen auf den einen oder anderen Kandidaten entfallen. Die Entscheidung fällt mit Stimmenmehrheit, wobei ein Sicherheitskoeffizient von fünf bis acht Stimmen eingeschaltet wurde. Die Anzahl der Wahlgänge ist nicht beschränkt und die demokratischen Abgeordneten erinnern sich noch mit Schrecken der Abstimmung des Jahres 1924, bei der erst nach neun Nächten und 103 Wahlgängen der Kandidat ermittelt werden konnte.

Das zitternde Licht der rosa Neonröhren kennzeichnet die Fassade der „Convention

Hall“. Wenn man den Zweck dieses Gebäudes nicht kennen würde, könnte es genau so gut ein Warenhaus oder eine Radrennarena sein. Im Innern des Gebäudes aber, in der großen Kongreßhalle, rollte ein Schauspiel von dramatischer Wucht ab. Man kann sich als Europäer wundern über die manchmal naiv anmutende Propaganda, über die Geschenke, die die Kandidaten in Form von Drinks und Sandwiches oder Lippenstiften, Puderdosen, Bleistiften zur Wahlwerbung verteilen. Man kann über den Lärm staunen, der von Musikkapellen und Sprechchören, innerhalb des Hatwes durch den niemals ganz verstummenden Gesprächsstrom der Delegierten besorgt wird. Als Ganzes gesehen war es das Bild einer im Sinne echter Demokratie eingestellten Partei. Jeder Wähler wußte, daß es auf seine Stimme ankam. Drei Männer betrachtete man als aussichtsreichste Kandidaten: Harold Stassen, Taft und Thomas Dewey. Als Außenseiter wurde der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Kongreß, Vandenberg, genannt. Es bedurfte dreier Wahlgänge bis der Konvent seine Entscheidung getroffen hatte. Die besten Chancen lagen bei Dewey, dessen Organisations-„Team“ ungleich besser war als das der anderen Wahlwerber. Während ihm nach der ersten Abstimmung noch über hundert Stimmen fehlten zu den notwendigen 548, sank dieses Defizit heim zweiten Gang auf 33. Seine Gegner versuchten noch in der Nacht eine Koalition auf die Beine zu stellen, doch scheiterten alle Bemühungen an den unüberbrückbaren Gegensätzen der einzelnen Fraktionen. Eine ungeheure Spannung erwartete den dritten Wahlgang. Der Kampf war aber schon vorüber. Taft und Vandenberg gaben ihre Stimmen frei. Stassen unterwarf sich selbst. Der Erfolg war die einstimmige Wahl Thomas E. D e w e y s zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei.

Die getroffene Entscheidung war eine endgültige Absage an alle diejenigen, die ein

Zurückziehen der Vereinigten Staaten von den weltpolitischen Schauplätzen verlangten. Das bedeutet, daß bei einem Wechsel im

Weißen Haus und — was ebenso als sicher angenommen werden kann — im State Departement die Verpflichtungen gegenüber Europa vollinhaltlich übernommen werden. Dewey hat schon in seiner ersten Rede nach seiner Wahl der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß dieses weltum spannende Programm auch eine Umformung der Amerikaner im Inneren des Landes mit sich bringen müßte. „Unser Volk will sich auf eine höhere Warte stellen, um eine gemeinsame Ursache für alle diese wunderbaren Dinge zu finden, die uns vereinen“, erklärte er in seiner Ansprache und fuhr fort: „Die Einheit, die wir suchen, ist nicht nur eine materielle. Unsere Probleme liögen in uns selbst. Wir haben die Mittel erfunden, um physikalisch die Welt in Stücke zu zerlegen. An uns ist es jetzt, auf geistiger Ebene die Mittel zu finden, um die zerbrochenen Stücke der Welt wieder zusammenzusetzen, ihre Wunden zu verbinden, eine gute Gesellschaftsordnung zu schaffen und eine Gemeinschaft aller Menschen, die eines guten

Willens sind, auf die Beine zu stellen, wie wir uns das in unseren Träumen vorstellen.“ Nicht alle Republikaner waren mit der Nominierung Deweys einverstanden. Der progressive Flügel der Partei hätte eine Kombination Stassen-Vandenberg vorgezogen, während der streng kapitalistische Teil der Republikaner Taft oder Martin, den

Sprecher des Repräsentantenhauses, als Kandidat vorgezogen hätte. Unzweifelhaft stellte die Mitte in Dewey einen Mann, dessen organisatorische und administrative Fähigkeiten außer Zweifel standen. Sofort nach seiner Wahl nahm er auch die Zügel der Partei in die Hand. Eine noch in der Nacht in dem inzwischen berühmt gewordenen Zimmer 808 im Stradford-Hotel ein- berufene Sitzung beschäftigte sich mit der Nominierung des Vizepräsidenten. Die Wahl fiel auf Earl Wirren, Gouverneur von Kalifornien. Zum ersten Male in der Geschichte der Vereinigten Staaten teilten sich New York und San Franzisko die Plätze um die höchsten Würden im Staate. Die Bestellung Warrens bedeutete aber gleichzeitig eine große Gefahr für die Demokratische Partei, die sich bisher auf die Wählerschaft der westlichen Bundesstaaten verlassen konnte.

Weniger als vierzehn Tage lagen zwischen dem Ende der republikanischen Konvention und dem Beginn des Konventes der Demokratischen Partei. Diese Zeit genügte, Um die Unsicherheit der Demokraten aufzuzeigen. Sie suchten einen geeigneten Kandidaten, der der Popularität Deweys die Waage halten könnte, und fanden keinen. Man wandte sich an General Eisenhowe r, er lehnte ab. Man wollte versuchen, durch die Witwe Roosevelts die Erinnerung an diesen großen Präsidenten in den Wahlkampf einzuspannen. Auch dies mißlang. Zum Unterschied von der Republikanischen Partei, die über eine Reihe von außergewöhnlichen Persönlichkeiten verfügte, war die Demokratische Partei — verbraucht durch die dreimalige Präsidentschaft Roosevelts, in der sich alle hervorragenden Kräfte abgenützt hatten — ohne Spitzenleute. So mußte die Wahl wieder auf Präsident T r u m a n fallen. Der mit den Kommunisten sympathisierende Senator Claude Pepper zog seine Kandidatur zurück. Es besteht kein Zweifel, daß diese Wahl eine Verlegenheitslösung bildete. Die starke Linie, die Truman in der Außenpolitik gezogen und der Mut, den er bewiesen hatte, indem er mit dem starren Rooseveltschen Dogma brach, gewannen ihm die Sympathien weiter Bevölkerungsschichten. Viele Amerikaner vergessen aber nicht, daß er dem Tod seines Vorgängers die Würde des Präsidenten verdankte und nicht der „Choosen man“ des amerikanischen Volkes war.

Die Konvente sind vorüber, die Parteisymbole — der Elefant und der Esel — sind aus dem Stadtbild von Philadelphia verschwunden. Das amerikanische Volk hat bis November Zeit, das Für und Wider der beiden Anwärter zu überprüfen. Der Mann, der in das Weiße Haus einzieht, wird eine große Verantwortung auf seinen Schultern zu tragen haben und von seiner Kraft und seinem Entschluß wird der Friede der Welt abhängen. Wer von den beiden Kandidaten aber auch gewählt wird, das Sternenbanner wird weiterhin zum Schutze einer die ganze Welt umfassenden Freiheit wehen. Und das mag auch eine Beruhigung für Europa sein.

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