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Um die Abschaffung der Todesstrafe

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Es gibt drei Gründe, die immer wieder für die Todesstrafe ins Treffen geführt werden. Der erste besteht in der Behauptung, daß sie ein Postulat der Gerechtigkeit sei; der zweite in der Annahme, daß sie als Abschreckungsmittel nicht entbehrt werden könne; und der dritte in der Auffassung, daß sie das zweckmäßigste Mittel der Selbstverteidigung gegen unverbesserliche Verbrecher darstelle.

Die Meinung, daß die Todesstrafe eine absolute Forderung der Gerechtigkeit sei, ist, obwohl sie unter anderem von Kant und Hegel vertreten wird, nichts als ein atavistischer Rückstand des uralten starren Vergeltungsgedankens, wie er in dem aus den Gesetzen Hammurabis in das altjüdische Recht übergegangenen Satze: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ seine klassische Ausprägung erhalten hat. Die Vergeltungsidee widerspricht nicht nur der Erkenntnis, daß das Verbrechen die notwendige Frucht, das natürliche Ergebnis der ererbten Anlagen des Verbrechers und der Umweltseinflüsse ist, die auf ihn einwirkten, sondern auch dem Geist der Bergpredigt und der christlichen Sittenlehre. „Lasse dich nicht vom Bösen überwinden“, heißt es im Römerbrief, „sondern überwinde das Böse durch das Gute.“

Überdies ist der Gedanke, daß die Todesstrafe die einzig gerechte Sühne für bestimmte Verbrechen sei, schon durch unsere Verfassung abgelehnt und kann für ihre bloß zeitweilige Beibehaltung überhaupt nicht herangezogen werden. Denn, wenn die Gerechtigkeit die Todesstrafe fordert, dann fordert sie diese für immer und nicht nur für eine bestimmte Übergangszeit.

Die Vorstellung, daß die Todesstrafe für alle Zeit oder doch vorübergehend nicht entbehrt werden könne, weil sie vor der BegeRung der damit bedrohten Verbrechen abschrecke, beruht auf unrichtigen psycho- logisdien Voraussetzungen und ist durch die Erfahrung hundertfach widerlegt. D i e Drohung mit der Todesstrafe schreckt nur Menschen, die auch ohne sie niemals ein todeswürdiges Verbrechen begehen würden, nicht aber.Verbreche r- n a tu re n. Sie kann nur wirken, wenn der Verbrecher die Todesstrafe als unvermeidliche oder doch wenigstens wahrscheinliche Fol?e seiner Tat voraussieht. Die meisten Verbrecher begehen aber ihre Tat in der sicheren Hoffnung, unentdeckt zu bleiben. Für die geringe Zahl von Verbrechern, die mit der Entdeckung ernstlich rechnen — und das sind nur fanatische Überzeugungsverbrecher —, wirkt die Vorstellung, daß sie ihr I eben ihrer Idee opfern und sich so die Märtyrerkrone verdienen, eher ant spornend als abschreckend. Der Anarchist Henry, der am 12. Februar 1894 das Cafž Terminus in Paris in die Luft gesprengt hatte, protestierte lebhaft gegen die Versuche seiner Mutter und seines Verteidigers, ihn als zurechnungsunfähig hinzustellen, und erklärte: „Es ist das Geschäft der Advokaten, zu verteidigen; was mich betrifft, so will ich sterben.“ Auch vom Standpunkt der „Generalprävention“, einer vorbeugenden Wirkung auf andere, muß gesagt werden-, daß in solchen Fällen die Hinrichtung Gleichgesinnte keineswegs abschreckt, sondern durch die Märtyrergloriole viel eher fanatisiert und zur Nachahmung reizt.

Die Geschichte des Strafrechts ist eine ununterbrochene Kette von Beweisen dafür, daß die abschreckende Wirkung der Drohung mit brutalen Strafen ein Traum ist. Schon Beccaria weist darauf hin, daß die Länder und Zeitalter der. härtesten Strafen auch die blutigsten und unmenschlichsten Verbrechen erlebten. Als in England der Taschendiebstahl noch mit dem Tode bestraft war, wurden nie und nirgends und bei keiner Gelegenheit mehr Taschen-- diebstähle verübt als gerade bei den öffentlichen Hinrichtungen! Der nationalsozialistische Gesetzgeber, der bestimmte Handlungen durch Androhung der Todesstrafe verhindern zu können glaubte, war selbst durch Tausende und aber Tausende von Hinrichtungen nicht imstande, diese Handlungen wirklich hintanzuhalten. Uiid die gegenwärtige Mordfrequenz in Österreich ist sicherlich nicht dazu angetan, die Wirksamkeit der Androhung der Todesstrafe unter Beweis zu stellen. Dagegen ist noch in keinem der Länder, die die Todesstrafe abgeschafft haben, eine Zunahme der früher mit. dem Tode bedrohten Verbrechen beobachtet worden.

Die angebliche abschreckende Wirkung der Todesstrafe ist also kein Argument für ihre auch nur zeitweilige Beibehaltung.

Bleibt das dritte Argument, dessen sich auch Bernard Shaw in seiner Stellungnahme zur Abschaffung der Todesstrafe bedient. Er gibt zu, daß der Todesstrafe keine sühnende Wirkung zugeschrieben werden könne „aus dem einfachen Grunde, daß man einen schwarzen Fleck nicht dadurch weiß machen kann, daß man einen zweiten schwarzen Fleck danebensetzt, ganz zu schweigen davon, daß der Verbrecher für seine Natur nichts kann und Wiedervergeltung rund eg unchristlich ist“. Auch gegen die abschreckende Wirkung der Todesstrafe erheben sich unwiderlegliche Einwendungen. Sie könnte sich nur einstellen, wenn die Entdeckung gewiß wäre. Gleichwohl tritt Shaw dafür ein, g e- wisse Verbrechen „in humaner Weise zu liquidieren“, nicht weil sie verrucht, sondern weil sie schädlich und gefährlich seien. Ein Mann, der davon lebt, Frauen die Ehe zu versprechen, und sie verläßt, nachdem er ihr Geld verbraucht hat, sei ein soziales Unkraut, das ebenso ausgerottet werden müsse, wie wenn er die Frauen getötet hätte. Eine gefährliche Geisteskrankheit sollte, anstatt von der ' „Liquidierung“.' zu befreien, im Gegenteil einer der triftigsten Gründe dafür sein. Auch sei die „Liquidierung“ humaner als eine lange Einsperrung.

Der Gedanke, daß die Todesstrafe nicht für bestimmte Verbreche.n, sondern für bestimmte. verbrecherische Persönlichkeiten, namentlich für unverbesserliche Verbrecher angedroht werden sollte, ist schon sehr alt. Er findet sich schon bei Plato, später bei Grolmann und

Garofalo und war in der nationalsozialistischen Zeit in der Strafdrohung gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher verwirklicht. Ganz abgesehen davon, daß dieser Gedanke ungeeignet ist, die Todesstrafe, so wie sie im geltenden österreichischen Recht gestaltet ist, zu unterbauen, weil dieses geltende Recht die Todesstrafe für bestimmte Verbrechen androht, mag der Täter auch vorher unbescholten gewesen sein, muß seine Durchführung schon daran scheitern, daß es heute noch keine verläßliche Methode gibt, den unverbesserlichen Verbrecher zu erkennen. Selbst die Prognosen erfahrener Kriminalbiologen haben sich nidit selten als irrig erwiesen. Man mag die Untersuchungsmethoden noch sosehr vervollkommnen, die Unverbesserlichkeit eines Verbrechers mit absoluter Sicherheit festzustellen, wird in absehbarer Zeit nicht möglich sein. So scheitert die Auffassung der Todesstrafe als Selbstverteidigung der Gesellschaft gegen unverbesserliche Elemente schon an ihrer Undurchführbarkeit — ganz abgesehen davon, daß sie konsequenterweise auch zur „Liquidierung“ hoffnungslos geisteskranker Übeltäter Anlaß geben müßte, die bei uns als Mord bestraft wird, und daß die Ansicht, die Liquidierung sei humaner als eine lange Einsperrung überaus anfechtbar ist. Ich glaube nicht, daß irgendein Verbrecher — wieder von Fanatikern abgesehen — vor die Wahl gestellt,

sich hinrichten oder' sich zwanzig Jahre einsperren zu lassen, sich für die erste Alternative entscheiden würde. So hat sich auch der dritte für die Todesstrafe ins Treffen geführte Grund als hinfällig erwiesen.

Ich komme deshalb zu dem Ergebnis, daß es hoch an der Zeit wäre, die Bestimmung unserer Verfassung, daß die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren abgeschafft ist, zur Wahrheit zu machen. Ich bin überzeugt, daß damit keinerlei Gefahren für die Rechtssicherheit verbunden sind, daß im Gegenteil, um mit F. W. Foerster zu sprechen, nur durch die Proklamie- rung der absoluten Unverletzlichkeit menschlichen Lebens und durch einen konsequenten Kampf gegen dessen Vernichtung auf allen Gebieten die zerstörendsten Leidenschaften des Menschen einigermaßen eingedämmt werden können und daß durch nichts die menschliche Rohheit so außer Funktion gesetzt, die Macht des Gewissens gegenüber Selbstsucht und Leidenschaft sosehr gestärkt werden kann als durch die ausnahmslose Unantastbarkeit des Menschenlebens. „Solange es noch „unnütze Leben“ gibt, die man skrupellos beseitigen darf, solange haben wir auch eine offene Wunde am Organismus der menschliehen Gesellschaft. Gar mancher findet dann nur zu viele .unnütze' Leben, die sich und ändern zur Piage sind und die man auf die eine oder andere Weise beseitigen sollte. Von jedem Gebiet, auf dem die Tötung eines Menschen erlaubt ist — und sei diese Tötung noch so feierlich und wohlbegründet —, dringt die Abstumpfung der Scheu vor Vernichtung eines Menschenlebens iq alle ändern Gebiete ein. Wo die Todesstrafe besteht, da fehlt dem tiefsten Gewissensleben des Volkes eine entscheidende Schranke gegenüber der verbrecherischen Impulsivität, die über das

Menschenleben hinwegschreitet. Schon die Griechen wußten, daß das, was sie Su į ,die heilige Scheu , nannten, also etwas fast Undefinierbares, Ungreifbares, doch das wichtigste Fundament des Gewissens ist. Diese heilige Scheu vor dem Menschenleben aber wird durch eine staatlich sanktionierte Tötung in der Tiefe der Seele desavouiert."

Ich möchte daher die vom Justizministerium gestellte Frage, ob gegen die Abschaffung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren unter den gegenwärtigen Verhältnissen Bedenken bestehen, mit aller Entschiedenheit verneinen.

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