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Um die Grenzen der Tschechoslowakei

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Außenminister Molotow empfing dieser Tage ein tschechoslowakisches Memorandum, das die Forderungen Prags hinsichtlich der neuen Grenzen enthält. Obwohl die Denkschrift nicht veröffentlicht wurde, ist man sich auf Grund der Erklärungen der Minister sowie der Nachrichten aus der tschechischen Presse über die territorialen Ansprüche Prags im klaren.

Das heutige tschechoslowakische Staatsgebiet ist bisher das gleiche, wie es bis zur Münchner Entscheidung im Herbst 1938 bestanden hat, mit Ausnahme der Karpatho-Ukraine, die von der Prager Regierung bei den Moskauer Verhandlungen im Vorjahr an die Sowjetunion abgetreten wurde. Im großen und ganzen werden von der Regierung auch diese Grenzen von 1937 als Grundlage des neuen Staatsgebietes vorgeschlagen, zugleich aber einige neue Ansprüche erhoben.

Gegenstand der Außenministertagung in Paris war bereits der tschechisch-polnische Streit um Teschen, Glatz, Ratibor und Leob-schütz. Um das Teschner Ländchen, dieses von drei Völkern bewohnte Mischgebiet, wurde schon am Ausgang des vorigen Weltkrieges ein heftiger Kampf geführt, der die Beziehungen zwischen Prag und Warschau zwanzig Jahre erheblich getrübt hatte. 1920 wurde das Land durch den Spruch der Botschafterkonferenz geteilt, wobei der tschechoslowakischen Republik ein Gebiet mit 286.000 Einwohnern zugesprochen wurde, während die Polen den östlich der Olsa gelegenen Teil mit 149.000 Einwohnern erhielten. Die ultimative Besetzung des tschechischen Teiles Ostschlesiens durch Polen im Oktober 1938 wurde wieder rückgängig gemacht, und ein neuer diplomatischer Kampf um Teschen ist nun entbrannt.

Aber dies ist nicht das einzige Streitobjekt, das die Freundschaft der beiden Nationen stört: Da ist noch die Grafschaft Glatz, ein Kesselgebiet von ungefähr 4000 Quadratkilometer, das zwischen Böhmen und Schlesien eingebettet, einst ein Teil Böhmens war. 1742 wurde es zusammen mit Breslau an Preußen abgetreten. Hier befinden sich wichtige Fundstellen von Kohle und Eisen. Auch das ungefähr gleich große „Fürstentum Ratibor“, das in der Geschichte ein gleiches Schicksal wie Glatz hatte, wird nun aus Prag beansprucht — scheinbar aus historischen und verkehrstechnischen Gründen. Es gab weder in Glatz noch in Ratibor eine tschechische oder polnische Minderheit. Wie heute die ethnographischen Verhältnisse in diesen beiden — seit Jahresfrist von den Polen besetzten — Gebieten liegen, entzieht sich der Kenntnis auch gut unterrichteter Stellen.

Die vierte Forderung nach einer Grenzkorrektur geht von den Slowaken aus und betrifft einen kleinen Streifen Landes in der Arva und Zips. Dieses Gebiet, das 1920 Polen zugesprochen worden war, wurde 1939 nach einem Staatsvertrag zwischen Berlin und Preßburg an die Slowakei abgetreten, nach der Kapitulation Deutschlands aber auch hier der Status quo 1937 wieder hergestellt.

Die Slowaken erklären die gegenwärtigen Grenzen gegen Ungarn als „endgültig“ und erklären durch den Mund des Präsidenten Dr. Benesch, daß es keine Änderungen geben werde. Immerhin verlangt Prag die Einbeziehung von sieben ungarischen Gemeinden am rechten Donauufer, die von Kroaten bewohnt werden und die der Verbreiterung des Engerauer Brückenkopfes dienen sollen. Dagegen scheinen die Aspirationen einiger Phantasten, die im Herbst 1945 auch von einem „strittigen Burgenland“ spradien, wo es gelte, „Tausende von kroatisdien Brüdern vor dem nationalen Tod zu bewahren“, keinen Niederschlag in der Denkschrift der tschechoslowakischen Regierung gefunden zu haben.

Neben den Auseinandersetzungen über die Zukunft der von den Tschechen und Polen gleichzeitig beanspruchten Gebiete, nimmt das Interesse an der „L a u s i t z e r Frage“ einen bedeutenden Platz ein. Die deutsche Volkszählung von 1925 zählte in Preußen und Sachsen 62.045 Wenden, die allerdings über acht Bezirke verstreut wohnen. Diese Tatsache rief den Vorschlag hervor, sie an den Grenzen der tschechoslowakischen Republik — in der Oberlausitz — zu konzentrieren. Bezüglich der neuen Stellung der Wenden ist man sich allerdings selbst im tschechischen Lager noch nicht recht im klaren. Ein bedeutendes Prager Blatt forderte als beste Lösung Autonomie mit Gleichberechtigung der deutschen und wendischen Sprache unter tschechoslowakischem oder internationalem Schutz. Ein anderer Vorschlag wünscht die direkte An-gliederung an die Tschechoslowakei. Aber wie bei Glatz und Ratibor bestehen auch hier Ansprüche Polens, das seine Grenzen bis an die Neisse vorgeschoben hat.

Da die Karpatho-Ukraine an Rußland gefallen ist, besitzt die Tschechoslowakei keine gemeinsame Grenze mehr mit Rumänien, dafür aber eine solche mit der Sowjetunion. Sie ist praktisch die einzige, die bereits als feststehend bezeichnet werden kann, denn zweifellos wird sie die Friedenskonferenz ohne Debatte genehmigen. Nach einem Übereinkommen der beiden Staaten wurde im April eine kleine Grenzberichtigung zugunsten der Tschechoslowakei vorgenommen.

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