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Um ein Fundament des Weltfriedens

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Wir Österreicher sind friedsame, ungefährliche Leute. Wir werden niemanden bedrohen, schon deshalb, weil wir keine Lust und Neigung dazu haben. Wir werden also niemandem mit Tanks, Kanonen und Atombomben Ungelegenheiten machen, es fällt uns nicht ein, Partisanen in die Wälder der Nachbarn oder Unruhestifter in ihre Städte zu schicken Wenn es eine väterliche Autorität unter den Staaten dieses Planeten gäbe, könnte sie ohne Überschwang sagen, daß die Osten cicher zu den nicht allzu vielen Braven ihrer großen Familie zählen Wir haben aber einen Fehler: Wir gehören zu den Schwachen. Die Großen dieser Erde haben den großen Staat, der in Mitteleuropa durch Jahrhunderte einmal, soweit es ging, auf Ordnung und Frieden“ sah, 1919 in ihren Friedensverträgen kleingeschlagen, so daß unter seinem Namen nur das heutige sAwache Österreich übrigblieb und von hier aus der zweite Weltkrieg seinen Ur-ausgang nehmen konnte. Es gibt Zerstörungen, die auch mit hohen Kosten nicht leicht mehr gutgemacht werden können. Doch es wird uns feierlich, vom höchsten Tribunale aus, versichert, daß wir ob unserer Schwäche uns nicht zu sorgen haben, denn es ist eine neue Ära angebrochen, in der Macht nicht mehr vor Recht geht und der Schutz der Schwachen zu den kardinalen Grundsätzen des neuen Völkerrechtes zählt.

Das war eine große, eine erhabene Botschaft. Sie ließ gleich uns die Menschen vieler kleiner Völker und Staaten aufatmen.

Aber die Weltgeschichte bewegt sich in keiner geraden Linie, sondern oft in Kurve und Knick und dies in um so geringeren Abständen, je mehr sie in die Gegenwart eintritt. Sie ist voll von Enttäuschungen und Rückschlägen. In seinen Briefen und Schriften schreibt, tief niedergeschlagen, einmal Montesquieu:

„Es ist manchmal zum Verzweifeln, wie wenig der einzelne, aber auch ganze Völker, aus der Erfahrung, und sei es auch die schmerzlichste, lernen, mit welcher Hartnäckigkeit die gleichen Fehler immer wiederholt werden. Diese Verliebtheu in alte Irrtümer scheint zu den unausrottbaren Eigenschaften der menschlichen Natur zu gehören. Das soll von Erziehern und Staatsmännern stets bedacht werden!...“

An dieses Wort des großen Franzosen wurde man jetzt durch eine Debatte im Londoner Unterhaus erinnert. Anfragen konservativer Abgeordneter hatten die Sprache auf Südtirol gebracht. Außenminister Bevin war gerade von den Pariser Konferenzen der Großen Vier zurückgekehrt. Er erklärte in seiner Antwort auf die Anfragen, „bei der Behandlung der Friedensverträge könnten nicht nur rein ethnische Fragen in Erwägung gezogen werden, sondern es müssen die wirtschaftlichen Faktoren Berücksichtigung finden“. Und mit Beziehung auch auf Südtirol ergänzte er, die Völker Europas seien stellenweise „so vermischt, daß der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes auf Grund klarer Grenzziehungen nur unter größten Schwierigkeiten anwendbar ist'.

Daß dieses letztere Hindernis für eine bessere Grenzziehung bei Deutsch-Südtirol nicht zutrifft — wenn man künstliche Aufpfropfungen aus jüngster Zeit nicht als eine solche „Vermischung“ bezeichnen will —, ist auch in England zu bekannt, als daß Minister Bevin darauf rechnen könnte, mit seinem Argument andere zu überzeugen. Aber die „wirtschaftlichen Faktoren“! Mit Ausnahme des Interesses an der Wasserkraftlieferung Südtirols, gibt es nur wirtschaftliche Faktoren, die das deutsche Land südlich des Brenners an Österreich weisen. Die Wasserkraftbedürfnisse der Industriekonzerne Oberitaliens und die Interessen des Großkapitals, das in diesen auch künftig nicht ausschließlich staatlichen Unternehmungen verhaftet ist, erhalten ihre volle Befriedigung mit der An-. nähme des offiziellen Anerbietens, das die österreichische Regierung an Italien gerichtet hat.

Es ist also nicht so, daß irgendwelche wirtschaftliche Faktoren dazu zwingen, Deutscn-Südtirol die Rückkehr in seine uralte Gemeinschaft mit Österreich zu verwehren. Es ist auch nicht zu glauben, daß ein Staatsmann aus den Reihen der Labour-Party im Ernste etwa sagen wollte, daß Volksrecht und Volksgemeinschaft zurücktreten müßten vor der Prosperität geschäftlicher Unternehmungen. Das ist um so weniger zu glauben, als sogar der italien'sche Ministerpräsident am 11. April die Beachtung der ethnischen Grenzen begehrte, allerdings für Venezia Giulia, und der Alliierte Rat am 30. April für die Grenzziehung zwischen Italien und Jugoslawien eine Lösung verlangte, die „möglichst wenig Menschen unter fremde Herrschaft“ stellen soll.

Es ist nicht vorstellbar, es könnte der Welt vorgeführt werden, daß selbst in engem Räume — an zwei Stellen, die nur wenige hundert Kilometer voneinander getrennt sind —, an dem Nordzipfel der Adria und in Südtirol, zweierlei Recht gelten soll.

Der Österreicher hat volles Verständnis dafür, daß Italien in seiner wichtigen Mittelmeerposition für England mehr zu sagen und zu geben hat als das kleine schwache Österreich. Schafft dieser Umstand auch schon Recht? Soll also doch der Schwache, weil er schwach ist und im Augenblick nichts zu geben hat, unterliegen?

Es mag sein, daß man über dieses kleine Österreich hinwegsehen kann. Aber es würde dann zugleich mehr geschehen: Man müßte die UNO, den Glauben an die Unerschütterlichkeit ihrer Grundsätze, den unterminierenden Zweifeln jener miß-

Aus der „Furche“ ist ein fleißiger Säemann ausgetreten. Gott hat ihn plötzlich abberufen. Sein Tagwerk war wohl, so jung er war, schon getan.

' Noch fassen wir es kaum, daß Dr. Emil Mika nicht mehr unter uns ist. Für jeden unserer Arbeitsgemeinde ist es, als wäre ihm ein Bruder dahingegangen. Denn wir liebten ihn, diesen Mann mit der hochbeschwingten Seele, der mit innerer Glut allem Edlen und Schönen ergeben war, diesen Österreicher, der die Jahre der tiefsten Herabwürdigung des deutschen Volkes durch eine unmenschliche Herrschaft wie eine schwere Krankheit erlitten und dann, als er wieder die Feder rühren durfte, an dem Planen und Werden der „Furche“ mitgeholfen hatte, ganz hingegeben dem Drange, nach einer Periode der Gewalt und des Ungeistes, der Entösterreicherung und der Friedlosigkeit der Welt, an dem Sieg der Geistigkeit, der Menschlichkeit und des Rechtes, an der Wiederaufrichtung des Vaterlandes und einer, die Staatsgrenzen überspannenden europäischen Neuordnung mitzuwirken. Was er in der „Furche“ suchte und fand, war für ihn die Erfüllung einer Berufung. Er brachte für sie einen seltenen Reichtum mit. Den Historiker, Philosophen und Literar-wissenschaftler durchleuchtete eine ausgeglichene weltanschauliche Überzeugung, di trauischen Skeptiker ausliefern, die an den dahingegangenen Völkerbund erinnern, der in seinen Vorsätzen einen ähnlichen Anlauf nahm wie die UNO und bei ihrer Ausführung bald erschlaffte. Das aber darf nicht geschehen. Denn es geht urn den Frieden der Welt.vom Religiösen her ihre sublimste Gestaltung empfangen hatte.

Wir waren anfangs bei der „Furche“, als wir im Spätsommer 1945 an die Vorbereitung gingen, unser ganz wenige. Vieles bei unserem Unternehmen lag im Ungewissen, nur über das Ziel waren wir uns ganz klar. Wir kamen von der Tagesschriftstellerei und da ist allerlei, man sollte es kaum glauben, vor allem redaktionstechnisch, ganz anders als bei einer .Wochenschrift, wie wir sie vorhatten. Uns half die beglückende Einmütigkeit, die unsern kleinen Kreis beseelte; in ihn brachte Emil Mika seine feine Liebenswürdigkeit und großzügige Gesinnung und seinen Humor mit. Er übernahm die Chefredaktion, dazu vorbestifnmt durch seine hohe publizistische Befähigung, . seinen Charakter und sein hoffnungsvolles Jungmannsalter. Der noch nicht Vierzigjährige stürzte sich auf die Arbeit wie zu einem Ringkampfe. Nicht selten mußte man ihn nach Mitternacht mit sanfter Gewalt vom Schreibtisch vertreiben. Sein Wissen, die Geradlinigkeit seines Wesens und seine feingeschliffene Stilkunst sprachen sich rasch im Blatte aus, halfen es-formen, trugen zu einer Aufnahme bei, die zu erwarten, wir für Unbescheidenheit gehalten hätten. Binnen weniger Monate, ohne irgendeinen anderen Propagandaapparat als der eigenen Leistung, gewann die Wochenschrift eine Verbreitung durch ganz Österreich, die nur durch den Papiermangel gehemmt werden konnte und auf uns unbekannten Wegen — der normale Zeitungsverkehr mit dem' Ausland ist noch nicht eröffnet — weit über die österreichischen Grenzen hinaus gelangte. Mit einer wahrhaft leidenschaftlichen Hingabe an das Werk trug Mika zu diesem Erfolge bei. .

Seit einigen Monaten begann er seinen Freunden Sorge zu machen. Seine sensitive Natur, ließ ihn die Rückschläge und Enttäuschungen in der Entwicklung der europäischen Politik tief persönlich empfinden. Sein Idealismus bäumte sich schmerzhaft gegen die Wirklichkeit auf. Er suchte sich mit Arbeit zu beschwichtigen,. achtete nicht einmal, ärztliche Hilfe verschmähend, der Krankheitssymptome, die' sich bei ihm zeigten, eine beginnende physische Entkräftung, der sich sein Wille nicht beugte. Ein Familienvater mit vier Kindern, legte er sich merkbar größere Entbehrungen auf, als sein Zustand erlaubte.

Dann kam überraschend plötzlich, Dienstag, den 21. Mai, der Zusammenbruch. Erschüttert nahmen wir in der Redaktion der „Furche“ von Emil Mika Abschied. Im Spital der Barmherzigen Brüder empfing er liebevolle ärztliche Fürsorge. Bald erfuhren wir, daß er einem inneren Leiden verfaller*' war, das ihn überwältigen mußte. Um die Tragik des Falles voll zu machen, lag zur selben Zeit im gleichen Spital Mikas Gattin' nach einer schweren Erkrankung. Kurz nach seiner Ankunft fiel unser lieber, teurer Kamerad in Bewußtlosigkeit. In der Morgenfrühe des Samstag, den 25. Mai, ging Emil Mika in die Ewigkeit ein.

Eine Familie hat einen vorbildlichen Vater, die „Furche“ eine kostbare Persönlichkeit und einen reichschaffenden Geist, die heimische Publizistik einen ihrer vornehmsten Vertreter und unser Land einen großen Österreicher verloren. Es ist ein verpflichtendes Erbe, das Emil Mika hinterläßt. Er hat der Wahrheit, dem Edlen lind Guten ans tief christlicher Seele gedient. Gatt wird ihm in der ewigen Herrlichkeit lohnen.

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