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Um Österreichs Geschichte vor hundert Jahren

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Das Interesse von Staatsmännern an der Geschichtsschreibung ist in der Regel staatspolitisch bedingt. Es gilt der Untermauerung, Vertiefung und Rechtfertigung ihres Sta f konzeptcs und der Erziehung des Staa, kes in ihrem Geiste.

Entspringt diese pragmatische Geschichtsauffassung der persönlichen Überzeugung eines Staatsmannes schon vor der Amtsübernahme, so hat sie als Ted seiner wesentlichen Geistigkeit zu gelten. Lebt nun gleichzeitig ein bedeutender Historiker derselben Richtung, so darf es ni :ht Wunder nehmen, wenn zwei solche Geistesverwandte miteinander Fühlung nehmen Dies war der Fall bei Metternich und Hurter.

In der Zeitspanne von 1840 bis 1848 1 sah sich der Staatsmann der über ein Menschenalter Österreichs Gesducke geleitet und so tief in die europäische Politik eingegriffen hatte, vor einer schier unlösbaren Aufgabe gestellt. Die Zeit und ihre immanenten Ideen arbeiteten wider ihn. Metternich stand auf einem verlorenen Posten, wenn er seine Staatsdogmatik nicht änderte. Er konnte der Welt nur zeigen, wie man eine Idee bis zur letzten Stunde vertritt und dann in Haltung abtritt.

Denn je mehi die große Idee des Universalismus und der durch sie bewirkten Gestaltung Europas verblaßte, desto mehr mußte Altösterreich seine Lebenskraft schwinden sehen. Das ehedem du'cb eine übergeordnete Idee zusammengehaltene Gebilde sank zu einem mit Annexen übersetzten Kerngebici herab Die früheren Nähte erweiterten sich zu Rissen und Sprüngen. Nur eine kraftvoll geführte Erneuerung konnte einen längst fälligen Verjüngungsprozeß einleiten Dies war um so dringender, als sich gegen die konservative Staatsidee der Liberalismus, und gegen den Übernationalismus der Nationalismus nun erhob. Die Gefahr, daß gerade Österreich mit seinen versdiiedenen Nationen von innen heraus zertrieben werde, mußte Einsichtigen klar sein Auch die konservative Staatskonstruktion konnte wie jede andere ihre Aufgabe nur erfüllen, solange sie lebendig, das heißt anpassungs- und assimilationsfähig blieb.

Nun war Metternich keineswegs der kurzsichtige Feind des Fortschritts, als den ihn Polemik und eine parteiische Geschichtsschreibung hinstellten. Vielmehr zeidinen ihn sehr vernünftige und weitblickende Ideen aus. Es sei nur an seine Haltung gegenüber den Naturwissenschaften erinnert. Doch kannte seine Staatsvorstellung nur das statische, nicht das dynamische Element. Persönlich blickte der große Staatsmann, der bemerkenswerte innere Wandlungen durchgemacht hatte, frei um sich. Als Kanzler wollte er die Beharrung inmitten der Veränderungen durch Zensur im Innern und durch Absperrung vom Auslande erzwingen. Staatsapparat und Hochbürokratie arbeiteten so gründlich, daß sich Metternich wiederholt in den Sdilingen seines eigenen „Systems“ verfing.

Nidit erst in den immer kritischeren vierziger Jahren, sondern vom Regime seiner Staätsführung an erblickte Metter-nid einen Bundesgenossen in einer Österreich gerechtwerdenden Geschichtsschreibung. Er hatte klar erkannt, daß der damalige Stand der Dinge der Bedeutung Österreichs in keiner Weise getecht wurde. Von det Forschung bis zur Darstellung und

bis zum Unterrichte gebrach es an gar vielem.

Schon 1811 empfahl er dem Kaiser die Herausgabe der Monumenta Austriaca, 1812 belobte er den Florianer Historiker Kunz und wollte ihn für den Leopolds-• orden vorschlagen1, 1813 beauftragte die Regierung das, Stift St. Florian mit der Pflege der historischen Studien, 1816 wurde Josef Freiherr von Hormayr, der die Geschichte Maximilians 1 und Karls V. schreiben sollte, zum Hofhistoriographen ernannt. Besonders der Auftrag für Sankt Florian erwies sich als segensreich, denn in diesem Chorherrenstift steht die Wiege des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung. Namen, wie Gaisberger, Kurz, Stülz, Chmel, Pritz, Ritter und Czerny, sind jedem Historiker geläufig. Kurz, Stülz und Chmel erfreuten sidi der besonderen Gunst Metternichs. Schon 18IC hatte der Kanzler die Gründung einer Akademie der Wissenschaften ins Auge gefaßt, aber den Plan immer wieder zurüdtgestellt. 1838 regten acht Wissenschafter, unter ihnen Joseph Arneth2, Direktor des Münz- und Antikenkabinetts, neuerdings die Gründung an, aber erst 184 5 fand Metternich den Plan reif zur Verwirklichung. Die Stiftung entsprang seinen Anschauungen über Wissenschaft und Staat.

In diese gewitterschwüle Zeit fällt die Berufung Friedrich Hurters (geboren 1787 zu Schaff hausen, gestorben 1865 zu Graz) nach Wien8. Der ehemalige kalv'nische Antistes von Schaffhausen, der sich innerlich der katholischen Kirche genähert und nach der Niederlegung seiner Ämter (1841) in Rom konvertiert hatte (1844), zog sdion seit langem die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich. Seine Geschichte de-- Papstes Innozenz III., die seinen Ruf als Historiker begründete, zeigte ihn weit entfernt von der in der Aufklärung üblichen Auffassung der Papstgeschichte. Metternich behandelte bereits bei den Krönungsfeierlichkeiten Ferdinands I in Mailand den Vielgenannten mit Auszeichnung. Die Schriften „Ausflug nach Wien und Preßburg“ (1840), „Denkwürdigkeiten aus den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts“ (1840) und „Geburt und Wiedergeburt“ (1845) vertieften die seit dieser Zeit bestehender Beziehungen.

Metternich erkannte, wie er Hurter am 18. Jänner 1845 schrieb, in dessen neuestem Band die Impressionen seiner eigenen Tugend. Inmitten aller Veränderungen hätten sich seine Gefühle und seine Ansichten nicht geändert. Beide wurzelten in dem angeborenen Hasse gegen das Unrecht. Dieselbe Vorliebe für das Recht sähe er bereits in Hurters Tugend ausgesprochen. Aus dieser Begegnung auf derselben staatspolitischen Linie heraus, macht schließlich der Kanzler Hurter ein Angebot, dessen Wie ein Spiegelbild des Staatsdenkens seines Urhebers ist. „Es gibt kein Reich seltsamer gebildet, als das Österreich! Gekannt sind die Grundlagen seiner Existenz nur wenig, und dies, weil sie auf dem einen Prinzip des Rechtes ruhen und -weil es den Verteidigern dieses Prinzips nicht eigen ist, als Klopffechter für dasselbe die Arena zu betreten, auf welche der Parteigeist sie so gerne herabziehen möchte. Prinzipien treten nie offensiv auf, ihre Stärke liegt in der Defension. Auf dem moralischen Felde kann dieselbe zu weit getrieben werden, und dies

ist hier häufig der Fall. Da historische Feld ist in Österreich zu wenig bestellt. Sie sind auf demselben ein ausgezeichneter Arbeiter; ich wünsdie deren und deswegen stelle ich Ihnen die obige Frage.“

Die Verhandlungen endeten mit der Ernennung Hurters zum Hof rat und Reichs-historiographen. Als „wesentlich festgesetzte Aufgabe“ gab ihm Metternich die Geschichte Kaiser Ferdinands II. an. Zu Hurter äußerte sich der Staatskanzler: „Es hat Mut erfordert einen Mann zu berufen, von dem man so bestimmt weiß, was er ist und wie er denkt, wie man es von Ihnen weiß.“ Und Hurter selbst schreibt seinem Sohn: „Daß eine kräftige Demonstration in meiner Berufung liege, ist mir von dem 20. Juni an immer klarer geworden.“ Gleichzeitig mit Hurter wurde der Horianer Historiker Jodok Stülz zum Historiographen ernannt.

Eine solche Ernennung mußte bei der schon stark überhitzten Atmosphäre in Wien eine verschiedene Beurteilung auslösen. Eigenartig, ganz vormärzlich, war die Aufnahme in katholischen Kreisen. Wahrend der päpstliche Nuntius Viale Prela, damals noch in München, jn Hurters Berufung eine bestimmte Richtung der Gesinnungen und Bestrebungen des Fürsten erkennen wollte, die es ihm ermöglichen werde, manches für die Wiederbelebung des katholischen Geistes in Österreich anzubahnen, verhielt sich der im Nachjosephinismus befangene höher Klerus kühl und abweisend. Weniger die Haltung des Liberalismus und der Konkurrenz als diese Einstellung, kennzeichnete die Gesamtlage. Die 1847 errichtete Akademie der Wissenschaften ignorierte den Reichs-historiographen vollständig.

Zu Metternichs Rücktritt (13. März 1848) sdirieb Hurter: „Einst 'wird die un-parteii-che Nachwelt das, was Fürst Metternich wollte und erkannte, von dem unterscheiden, was er in Wahrheit vermochte,

und beides von dem, was er wirklich ins Werk gerichtet und getan hat. Sie wird untersuchen, inwieweit das, was er nicht getan, zu tun in seiner Macht stand. Denn gerade über dieses sind die fabelhaftesten und übertriebensten Darstellungen im Munde aller Welt. Fürst Metternich war nichts weniger, als der unumschränkte Herr und Gebieter Österreichs.“

Hurter, der 1848 abgesetzt wurde, erhielt 1852 seine Stellung wieder' und empfing das Adelsprädikat. Gestaltete sich schon die Erstzeit, da er an seiner Ge-schidite Ferdinands II, arbeitete, stürmisch, so schwang das politische Pendel auch zwischen 1854 und 1861 heftig hin und her. Eine solche Bewegtheit der Zeit bildet keine günstige Voraussetzung für die Ausarbeitung eines so umfangreichen Werkes. Man kann ruhig sagen, damals war die Zeit für ein solches Opus noch nicht gekommen.

Hurters Hauptwerk umfaßt elf Bände (1850/64). Weitere Arbeiten dieser Zeit sind ak Exkurse zur Geschichte Ferdinands II. anzusprechen, so Philipp Lang (1851), Beiträge zur Geschichte Wallen-steins (1855) und Wallensteins letzte Lebensjahre (1862). Man muß die Gestalt Ferdinands von der Darstellung Hurters unterscheiden. Der historische Kaiser hat als Kaiser der Gegenreformation und der katholischen Restauration die protestantisch eingestellte Gesdiichtsschreibung gegen sich. Indes beginnt sich eine sachlichere Würdigung anzubahnen.

Hurters Werk fand Beifall' und Widerspruch. Beachtlich erscheint das kritische Urteil des greisen Linzer Bischofs Ziegler, der seinem. Freunde am 28. März 1851 schrieb, der zweite Band übertreffe Johannes v. Müller um vieles. Einseitigkeit, die Franz v. Wegele der Besprechung von Böhmer und Höfler vorwirft, belastet seine eigene Kritik. Wenn er in seinem Artikel in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ 13 (1881) 431/444 noch den Fleiß und das

prächtage Material gelten J3ßt, wahrend er die mangelnde Gestaltung und die Tendenz tadelt, bezeichnet er in der Geschichte der deutschen Historiographie das Werk als an Geistesarmut und Verranntheit einzig dastehend in der gesamten Literatur dieser Art*. Das ist selbst für die Maienblüte des Liberalismus zu stark. Gerade weil Hurters Berufung und Werk so stark aus den her-

kßrnmKchen Geleisen fallen, ist Unbefangenheit des Urteils um so vordringlicher. Und ein Fürst Metternich hat nicht nur einen Friedrich Hurter, sondern auch einen Sebastian Brunner herangezogen! Vielleicht klärt den, den hundert Jahre Abstand noch nicht beruhigt haben, die Besdierung der Gegenwart über Fortsdiritt und Rückschritt af.

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