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Ums tägliche Brot

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Zwar ist es der Land- und Forstwirtschaft — ebenso wie der übrigen Wirtschaft — kaum möglich, schon in den letzten Tagen eines Kalenderjahres zahlenmäßig genau über Soll und Haben dieses Jahres Bilanz zu legen; über die allgemeinen Entwicklungstendenzen aber und über die besonderen Problemstellungen läßt sich bereits manches eindeutig aufzeigen. So muß denn gesagt werden, daß die Schwierigkeiten, mit denen die österreichische Land- und Forstwirtschaft zu kämpfen hat, gegenwärtig nicht geringer, wohl aber wesentlich anders geartet sind als in den ersten Nachkriegsjahren. Damals allerdings, als es im wahrsten Sinne des Wortes um die Sicherung und Vergrößerung des täglichen Brotes für die hungernde Bevölkerung ging, galt auch die allgemeine Aufmerksamkeit den Fragen der landwirtschaftlichen Produktion vielfach mehr als jetzt, in der Zeit einer gewissen allgemeinen Sättigung, in der es etwa eines Streiks der Bäckereiarbeiter bedarf, um die Bedeutung des täglichen Brotes wieder einigermaßen fühlbar werden zu lassen.

Um die Sicherung der Ernährung braucht sich der österreichische Staatsbürger wahrhaftig keine Sorgen mehr zu machen. Der Grad der Selbstversorgung aus heimischem Boden ist — nach jüngsten Berechnungen des Oesterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung — von 81 Prozent in der Vorkriegszeit bereits auf 88 Prozent im Jahre 1958 angestiegen und wird trotz verschiedener Mißernten im Jahre 1959 kaum um vieles geringer sein. Obwohl die Zahl der in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Menschen ständig fühlbar zurückgeht und auch die Kulturfläche laufend Einbußen erfährt, ist also der Stand der landwirtschaftlichen Erzeugung in Oesterreich höher als je zuvor.

In einer Reihe von agrarischen Produktionszweigen übersteigt die Erzeugung bereits erheblich den Inlandsbedarf, so daß zur Sicherung des Absatzes Exporte unbedingt erforderlich und gerechtfertigt sind.

Die Produktionserfolge fielen jedoch der landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht mühelos in den Schoß, sie mußten und müssen vielmehr schwer erarbeitet und erkauft werden. Erkauft durch Mechanisierung, Kunstdüngerverwendung, Schädlingsbekämpfung und verschiedenartigste Maßnahmen der Betriebsrationalisierung. Erarbeitet durch unzählige unbezahlte Ueber- stunden der Bauern und ihrer Familienarbeitskräfte und durch eine ständige Erweiterung des fachlichen Wissens und Könnens in der bäuerlichen Bevölkerung.

Schon in der ersten Hälfte des Jahres 1959 hat die Zahl der in der österreichischen Land- und Forstwirtschaft laufenden Traktoren die Hunderttausendgrenze überschritten. Allein für die Handelsdüngereinfuhr wurden im Jahre 195 8 rund 415 Millionen Schilling ausgegeben, während es für denselben Zweck noch im Jahre 1954 286 Millionen Schilling waren. Eine ähnliche Intensivierung produktiven Aufwandes läßt sich bei der Verwendung anerkannten Saatgutes nachweisen, die seit 1951 um weit mehr als 50 Prozent zugenommen hat. Für Inventiöns- güter und Produktionsmittel bezahlte die österreichische Land- und Forstwirtschaft im Jahre 1958 an Industrie und Gewerbe nicht weniger als elf Milliarden Schilling. Im Jahre 1959 wird diese Summe kaum geringer sein. Schon aus diesen wenigen Zahlen geht eindeutig hervor, welch große Bedeutung einer kaufkräftigen Landwirtschaft für Absatz und Beschäftigung in Industrie und Gewerbe zukommt.

Nun ist es aber keineswegs so, daß man aus der großen Investitionstätigkeit und den Produktionserfolgen der Landwirtschaft rundweg auf einen bemerkenswerten Wohlstand in der landwirtschaftlichen Bevölkerung schließen könnte. Immer noch wird ein erheblicher Teil der landwirtschaftlichen Investitionen aus der „grünen Sparkasse der Bauern", das heißt durch Holzschlägerungen, finanziert. Da sich aber hier ohne schwere Gefährdung im Haushalt der Natur kaum noch viel holen läßt, muß in zunehmendem Maße zur Beschaffung von Krediten

Zuflucht genommen werden. Durch Zinsverbilligungsmaßnahmen versucht die Agrarpolitik einer gefährlichen Verschuldung der Bauernschaft entgegenzuwirken.

Zur weiteren Mechanisierung und Motorisierung wird die österreichische Landwirtschaft nicht nur aus Gründen der Betriebsrationalisierung gezwungen, sondern fast mehr noch durch den großen Mangel an Arbeitskräften, der sich von Jahr zu Jahr drückender bemerkbar macht. Waren im Jahre 1937 noch mehr als 275.000 krankenversicherte Land- und Forstarbeiter statistisch erfaßt, so ist diese Zahl bis 1958 auf weniger als 148.000 zurückgegangen. Und nach dem bisherigen Stand der Entwicklung dürften es im Durchschnitt des Jahres 1959 kaum noch 140.000 Land- und Forstarbeiter ge-wesen sein, die für die Bewältigung der steigenden Produktion zur Verfügung standen. Geht doch die Zahl der unselbständigen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft seit Jahren kontinuierlich um rund 10.000 Beschäftigte jährlich zurück. Die allgemeine Einführung der 45-Stunden- Arbeitswoche im Jahre 1959 hat außerdem für die Landwirtschaft nicht nur eine neue Produktionsbelastung gebracht, sondern darüber hinaus den Drang zur Landflucht noch weiter verstärkt.

War aber trotz allem im Frühjahr 1959 infolge der Bemühungen der Landwirtschaft und der günstigen Witterungsverhältnisse mit neuen Rekordergebnissen in vielen agrarischen Produktionszweigen zu rechnen, so haben der Katastrophensommer und die Trockenheit im Herbst des nunmehr zu Ende gehenden Jahres die Erwartungen der Bauernschaft gewaltig enttäuscht. Der Lohn für die schwere Arbeit der Bauern hat wieder einmal eine schwere Einbuße erfahren.

Diesen Schwierigkeiten, denen die Landwirtschaft durch ihre naturbedingten Produktionsverhältnisse ausgesetzt ist, kann auch durch das beste Landwirtschaftsgesetz nicht abgeholfen werden. Um so bedauerlicher ist es, daß immer noch dort und da die Meinung vertreten wird, die Bauernschaft wolle sich mit Hilfe des Landwirtschaftsgesetzes von jeglichem Risiko befreien und eine hundertprozentige Einkommensgarantie verschaffen. In Wahrheit soll durch das angestrebte Landwirtschaftsgesetz mit seinem „grünen Bericht" nichts anderes erreicht werden, als eine allmähliche Beseitigung der Einkommensdisparität zwischen der Landwirtschaft und anderen, vergleichbaren Wirtschaftszweigen. Gleichzeitig besitzt dieses Gesetz aber auch größte Bedeutung für die nichtbäuerliche Konsumentenschaft, der es eine reibungslose Nahrungsmittelversorgung zu stabilen Preisen sichern will. Es ist zu hoffen, daß nun — nachdem sich parlamentarische Vertreter aller politischen Parteien von der Wirksamkeit ähnlicher Gesetze in anderen europäischen Ländern überzeugen lassen mußten — auch in Oesterreich im - Jahre 1960 die Verhandlungen um das Landwirtschaftsgesetz endlich zu einem befriedigenden Abschluß gebracht werden können.

Wenn es auch nicht möglich ist, schon jetzt bezüglich der Landwirtschaft für 1960 konkrete Voraussagen machen zu wollen, so steht doch eindeutig fest, daß die verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa — so oder so — auch auf die Land- und Forstwirtschaft ihre Auswirkung zeitigen wird. An einem möglichst raschen und gedeihlichen Brückenschlag zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist die österreichische Agrarwirtschaft besonders interessiert, da rund 85 Prozent ihrer Exporte in den EWG-Raum gehen. Auch als notwendige Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit mit der Landwirtschaft sowohl der EFTA- als auch der EWG-Staaten ist die Schaffung des Landwirtschaftsgesetzes unbedingt erforderlich.

Aus den neuesten Untersuchungen des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung über die „Verteilung des Volkseinkommens nach Bundesländern“ geht eindeutig hervor, daß in den Bundesländern mit vorwiegend landwirtschaftlichem Charakter, wie etwa im Burgenland und in Niederösterreich, das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung weitaus geringer ist als in den stärker industrialisierten Gebieten.

Es geht nicht an, diese Feststellung einfach als gegebene Tatsache hinzunehmen. Ebenso wie in anderen Staaten kann sich auch in Oesterreich die in der Land- und Forstwirtschaft tätige Bevölkerung nicht tatenlos damit abfinden, daß sie für ihre schwere, risikoreiche und verantwortungsvolle Arbeit einen weitaus geringeren Lohn erhält als vergleichbare Berufsgruppen anderer Wirtschaftszweige. Auf die Dauer muß ein solches Verhältnis auch das Gleichgewicht in der Volkswirtschaft stören und die Stabilität und Sicherheit der Lebensmittelversorgung des Staates gefährden. Auch darum soll das Landwirtschaftsgesetz hier Ausgleich und Wandel schaffen.

Die österreichische Bauernschaft erwartet sich aber diesen Ausgleich keineswegs nur von gesetzlichen Maßnahmen. Sie ist und bleibt bestrebt, der Selbsthilfe in jeder Weise den Vorrang zu geben. Gesetzliche Maßnahmen aber müssen die Agrarpolitik unterstützen, die stets und vor allem darauf Rücksicht zu nehmen hat, daß 85 Prozent der österreichischen Landwirte kleine und mittlere Bauern sind und zwei Drittel unserer Kulturflächen dem Bergbauerngebiet zugerechnet werden müssen. Die historisch gewachsenen Besitzverhältnisse sind nicht von heute auf morgen zu verändern, an den Boden- und Klimaverhältnissen lassen sich auch mit Hilfe der modernsten Technik keine umwälzenden Veränderungen herbeiführen.

Den Bestrebungen zur Verbesserung der Agrarstruktur, das heißt zur Grundzusammenlegung, Ent- und Bewässerung, Verkebrs- erschließung und Aufstockung der zu kleinen Betriebseinheiten, waren in den vergangenen Jahren bereits fühlbare Erfolge beschieden. Auf diesem Gebiete wird ebenso intensiv weitergearbeitet werden müssen wie in der fachlichen Schulungs- und Beratungstätigkeit für die Land- und Forstwirtschaft. Eine weitere Verbesserung der kulturellen, sozialen und sozialrechtlichen Stellung des Dorfes und der Landbevölkerung ist ebenfalls unser Ziel.

In engster Zusammenarbeit mit Raumforschung und Landschaftsplanung, mit Gewerbe und Industrie werden der kleinbäuerlichen Bevölkerung in zunehmendem Maße Nebenerwerbsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Gleichzeitig aber wird es immer wieder darum gehen, das Verständnis für die Anliegen der Land- und Forstwirtschaft in allen Bevölkerungsgruppen zu wecken und wach zu halten. Die Volkswirtschaft ist ein lebendiger Organismus, an dem die Schwäche jedes Gliedes sich auch für das Ganze früher oder später fühlbar machen muß. Einer gesunden Volkswirtschaft aber bedürfen wir an der Schwelle zu einem wirtschaftlich geeinten Europa notwendiger als je zuvor, und eine leistungsfähige und kaufkräftige Landwirtschaft ist einer ihrer wesentlichsten Bestandteile.

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