6544084-1947_05_03.jpg
Digital In Arbeit

Umwälzung in der amerikanischen Diplomatie

Werbung
Werbung
Werbung

Im August des Vorjahres stimmte der amerikanische Kongreß einem Gesetz zu. dessen Wirkungen für die Diplomatie der Vereinigten Staaten einen geradezu revolutionären Akt bedeuten. Der „Foreign-Service-Act“ ist der Schlußstein einer Epoche der Machterstarkung der USA, in der Roosevelt den Massen der amerikanischen Isolationisten anläßlich der drohenden Kriegsgefahr immer mehr und mehr den Standpunkt der globalen Bedeutung Amerikas für cÜe zukünftige Machtverteilung der Erde klar machen konnte. Es ist paradox, daß es sich die Vereinigten Staaten bis zum ersten Weltkrieg leisten konnten, den kleinsten auswärtigen Dienst zu haben. Diese Tatsache war zunächst in der kurzen Spanne der historischen Entwicklung begründet, die auf Traditionen der alten europäischen Staaten nicht zurückgreifen konnte. Zum andern ist die Abneigung Amerikas gegen das Berufsbeamtentum sicherlich ein wesentlicher Grund dieser Tatsache gewesen. Vom ersten Weltkrieg und auch nach 1919. nach der verhängnisvollen Abkehr Amerikas vom europäischen Kräftespiel, bestand die amerikanische Diplomatie im wesentlichen auf den Spitzenposten aus Politikern, die auf Grund besonderer Verdienste, oft aber auch wegen ihrer parteipolitischen Fähigkeiten während der Präsidentenwahlen als Botschafter oder Gesandte berufen wurden und als Amateurdiplomaten in die Welt hinausgingen. Daneben gab es freilidi einen kleinen Stab geschulter B'erufs-diplomaten, zu denen beispielsweise Sumner Welles zählt„ die sehr schlecht bezahlt wurden, so daß nur Abkömmlinge sehr reieber Familien sich den Eintritt in diese Laufbahn leisten konnten. Das oft übel ausgelegte Schlagwort der „Dollardiplomatie“ hatte also eine gerechte Begründung. Amerika kannte keine bestimmte Laufbahn für die Ausbildung, sondern unterzog die jungen Bewerber einer Auswahlprüfung, um sie dann meistens, wie es der langjährige Botschafter in Berlin, Wilson, in seinen Erinnerungen anschaulich schilderte, nach Paris zur Vervollständigung ihrer Schliffe zu schicken.

Die Ereignisse des zweiten Weltkrieges, vor allem die Erkenntnis in allen Schuhten Nordamerikas, daß, nach einem Wort Präsident Trumans, die Vereinigten Staaten „gegen oder mit ihrem Willen am Geschehender Welt mitarbeiten müssen“, hat in dem Foreign-Service-Act seinen Niederschlag gefunden. Die Kriegsaufgaben, die Bearbeitung von Spezialfragen, die dem amerikanischen Denken bisher völlig fremd waren, die Schaffung der UNO, die komplizierten Probleme der Friedensregelung, die ausgedehnte Besatzung' erforderten schon während der Kriegsjahre, vor allem aber im ersten Nachkriegsstadium, eine immense Ausweitung des auswärtigen Dienstes, wobei man zunächst im größten Ausmaß auf freiwillige Hilfskräfte und Experten griff, die auf Grund ihrer Herkunft und Ausbildung mit den Problemen vertraut waren. Die klare Entscheidung des amerikanischen Volkes, unbeirrt vom Ausgang der inneren Parteikämpfe, am Schicksal der Welt teilzunehmen, hat nun zu der großzügigen Reform geführt, deren Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind.

Als Spitze des gesamten auswärtigen Amtes tungiert das Staatsdepartement, dessen Leitung der Staatssekretär tür Auswärtige Angelegenheiten innehat, der vom Präsidenten im Einvernehmen mit dem Kongreß bestellt wird; bewährte Politiker, oder wie die jüngsten Ereignisse zeigen, auch Militärs kommen dabei in Frage. Das Departement trägt den Charakter eines Ministeriums, dessen innerer Umbau im Verlauf der letzten neun Monate im wesentlichen in folgender Weise vollzogen wurde. Entsprechend der Vielfältigkeit der Aufgaben, wurden Abteilungen für den eigentlichen diplomatischen

Dienst, für Handelsbeziehungen, Arbeitsfragen. Wirtschaftsbelange geschaffen, während für alle übrigen Probleme Sachbearbeiter bestellt wurden, ohne daß bis jetzt eine besondere Organisation besteht. Einen gewichtigen Raum nimmt in dieser neuen Form des auswärtigen Dienstes der Infor-mations- und Kultursektor ein, der unter der Leitung des Unterstaatssekretärs B e n t o n — er war vor seiner Ernennung einer der besten Fachmänner Amerikas für Werbewesen — einen besonderen Aufgabenkreis umfaßt. 12 Prozent des Beamtenstandes der Zentrale, die sich zum Teil aus Mitarbeitern des früheren Kriegsinforimationsamtes zusammensetzen, bedienen sich hier der modernsten Mittel der Nachrichtentechnik, des Films, Fersehens und der Presse, um den Völkern der Welt, Amerikas Auffassung von allen Problemen des Lebens zu übermitteln. Dabei sei noch einer besonderen Eigenart der amerikanischen Orgänisations-form gedacht, nämlich der Tatsache, daß das Staatsdepartement bisher in den auswärtigen Angelegenheiten wohl das verantwortliche Ministerium darstellt, seine Beamten aber im auswärtigen Dienst (Foreign

Service) eine Doppelfunktion ausüben, vor allem als ausübende Organe des Ministeriums und als Referenten für andere Staatsämter in Spezialfragen. Zweifellos dient die Ausweitung der Zentralstelle auf so vielfältige Fragen der Vereinheitlichung und Vereinfachung der Berichterstattung; die amerikanische Diplomatie dürfte aus dem üblen deutschen Beispiel gelernt haben, daß eine mehrgeleisige Berichterstattung der Botschaften letzten Endes zu einem heillosen Intrigenspiel und zum Zusammenbruch jeder geordneten Politik führt.

1939 bestand der gesamte auswärtige Dienst ohne die Zentrale aus 800 graduierten Beamten. 2000 Bürokräften und 1250 Angestellten. 1948 werden über 2000 Beamte der höchsten Rangstufe, 5300 der mittleren und 9000 Angestellte benötigt, wozu noch 58 Botschafter und Gesandte kommen.

Eine solche Ausweitung in einem Land, das noch vor 20 Jahren keinerlei Ausbildungsvorschriften kannte, führt natürlich zu Zwischenlösungen, die sich teilweise zwar bewäli rten, jedoch unter dem Druck des Krieges auch viele Fehlerquellen aufweisen. Die Notwendigkeit der Armee und Marine, für die Offizierslaufbahn die besten Menschen abzustellen, hat ihre Rückwirkung in der jetzt erfolgten Bevorzugung von Kriegsteilnehmern in den auswärtigen .Dienst. Das neue Gesetz bekennt sich zu dem Grundsatz des Berufs diplomatentums ohne Rücksicht auf Protektion, politischen Einfluß oder private Einstellung. Seit 1944 und

vor allem zufolge der neuesten Regelungen, ist durch ein eigenes Prüfungsamt jedem jungen Amerikaner und jeder Amerikanerin die Möglichkeit gegeben, die diplomatische Laufbahn anzustreben. Obgleich in den Bestimmungen nur Prüfungen über Allgemeinbildung, Sprachen, Internationales Recht, Geschichte und Verwaltungsfragen enthalten sind, so ist doch anzunehmen, daß eine gediegene Schulbildung sowie die Absolvierung einer Universität Voraussetzung zum Bestehen des Examens bildet. Ein eigener Ausschuß des Ministeriums entscheidet letzten Endes über die Aufnahme.

Eine nach europäischem Muster getroffene Neueinteilung der Rangsklassen wurde gleichfalls vorgenommen. Das Diplomatenkorps wird sich Zusammensetzen aus Botschaftern und Gesandten (Ernennung erfolgt durch den Präsidenten mit Zustimmung des Kongresses), höhere Beamte des auswärtigen Dienstes, etwa den europäischen Legationsräten entsprechend, mittlerer Dienst und Beamte mit rein technischen und mani-pulativen Aufgaben. Eine Neuschöpfung des Krieges sind Beamte des höheren Dienstes, die nur auf Zeit berufen werden (Reserve Offioer Class), meist Spezialisten, die bei Bewährung dauernd übernommen werden können. Dieser Kategorie kommt die größte Bedeutung zu, weil zweifellos viele Offiziere, die im Rahmen ihrer Besatzungsaufgaben Erfahrungen sammelten, als wertvolle Mitarbeiter übernommen werden können. Radikal wurde mit dem Prinzip der schlechten Bezahlung gebrochen.

Um auch die entferntesten Beamten mit allen Problemen stets vertraut zu machen, ist namentlich für die neu aufgenommenen Kräfte ein ständiger' Wechsel in den vielfältigen Arbeitsgebieten vorgesehen, wobei häufige persönliche Berichterstattung in Washington erwünscht ist. Die ungeahnte Entwicklung der Luftfahrt zeichnet gewissermaßen den Typ des „fliegenden“ Diplomaten der Zukunft vor.

Wohl eine der entscheidendsten Neuerungen ist die Schaffung einer eigenen Hochschule, des „Foreign, Service Institut“, für das allerdings der Kongreß erst die nötigen Summen bereitstellen muß. Es war den leitenden Staatssekretären der letzten 16 Jahre, vor allem Byrnes, klar, daß ein derartig plötzlich zusammengestellter Rjesenapparat nicht nur der Einspielung, sondern auch der Nachschulung bedarf. Als ein Zentrum dafür ist das neue Institut gedacht. Durch gesetzliche Verankerung ist es nun Pflicht, jeden Beamten, der länger als zwei Jahre in fernen Ländern gearbeitet hat, zurückzuberufen und durch den Austausch an Erfahrungen ein Bild der fremden Wirklichkeit zu gewinnen, andererseits durch Kurse und Besichtigungen den Rückkehrer mit dem neuesten Fortschritt der Industrie, Technik und Wissenschaft des Heimatlandes vertraut zu machen.

Neben der Beteiligung der Vereinigten Staaten an dem sozialen Wiederaufbau der kriegszerstörten Welt ist die in aller Stille erfolgte Reorg?nisation des diplomatischen Dienstes eine bedeutungsvolle Schöpfung auch zum Nutzen der übrigen Welt, die im gegenwärtigen Zeitalter der technischen Entwicklung immer mehr und mehr zu „einer Welt“ wird. Bei der Neuordnung dieser Gemeinschaft wirft fortan ganz anders wie bisher das amerikanische Großreich sein gewichtiges Wort, sein Können und seine jungen Kräfte in die Waagschale.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung