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Und Feuer fiel vom Himmel

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UND DEUTSCHLANDS STÄDTE STARBEN NICHT. Von David J. Irving. Schweizer Druck- und Verlagshans AG, Zürich, 1963. 384 Seiten, 262 Abbildungen. Preis 28.80 sFr.

$6,000 gefallene Offiziere und Mannschaften sind der Preis, den das britische Bomberkommando für seine gigantischen Angriffe auf die deutschen Städte zahlen mußte. Die Zahl der gefallenen Flieger ist also höher als die Zahl der Opfer der britischen Landstreitkräfte in ganz Europa. Der Bombenkrieg, eine Verirrung der Kriegführung, die sich ja vor allem gegen die Greise, Frauen und Kinder richtet, basiert auf den verworrenen Luftkriegstheorien des italienischen Fliegergenerals Douhet — Theorien, die sich von der Verwüstung des feindlichen Hinterlandes durch Fernbomber besondere demoralisierende Wirkung versprachen. Douhets Gedankengänge, wurzelnd im strategischen Denken der dreißiger Jahre, beherrschten in den ersten Kriegsjahren die Oberkommandos der Luftstreitkräfte fast aller Nationen. Vorspiel, gewissermaßen Erprobung der neuen Art der Kriegsführung war der spanische Bürgerkrieg. Die siegreichen Flieger der „Legion Condor“ ahnten nicht, wie schnell ihre Heimat Opfer feindlicher Luftüberlegenheit werden würde___

Auftakt der grausigen Welle der Zerstörung war der Angriff auf Freiburg am 10. Mai 1940, dessen Opfer vorwiegend Kinder waren. Der „Kindermord von Freiburg“, wie ihn eine gewissenlose Propaganda bald nannte, bot Hitler endlich Anlaß, seinerseits zu Vergeltungsschlägen auf englische Städte auszuholen. Freilich verschwieg die gleiche Propaganda, daß der Angriff auf Freiburg eigentlich ein tragischer Irrtum war: ein Teil einer deutschen Boraberstaffel, der den Anschluß verloren hatte, glaubte die französische Stadt Dijon anzugreifen. Zum erstenmal ist nach dem Angriff auf Freiburg auf deutscher Seite das verhängnisvolle Wort Vergeltung gefallen, das in den nächsten Jahren aus dem Vokabular des Krieges nicht mehr wegzudenken sein wird. Die

deutsche Vergeltung, der „Blitz“, tollte sich zunächst als ungeheuer> wirkungsvoll erweisen. England sah seine einzige Rettung in der Zusammenfassung, gewaltiger Bomberkräfte, in einem Gegenschlag auf Deutschlands Städte.

Der Mann, der geeignet schien, die britischen Operationen zu leiten, war Arthur Harris, der sich dadurch den unheimlichen Spitznamen „Bomber-Harris“ erwarb. Und so kam schließlich der 28. März 1942, der den ersten Großangriff auf die Wohnviertel einer deutschen Stadt, nämlich Köln, bringen sollte. Bald steigerte eich die Wucht der Angriffe immer mehr. Hitler befahl, um jeden Preis Bombenangriffe auf englische Städte durchzuführen, doch konnte die Luftwaffe die ungeheuren Verluste nicht lange tragen. Jede neue Taktik der englischen und amerikanischen Bomberflotten brachte nach

kurzer Zeit auch eine neue Taktik der deutschen Fliegerabwehr mit sich — allerdings vergeblich. Die deutschen Städte gingen in einem Feuersturm auf, der alles verzehrte.

Ubermenschliches leisteten vor allem die Feuerwehrleute und Polizisten, die ihre Rettungsarbeiten ja noch während des Angriffes durchführen mußten. Der Chef des deutschen Feuerlöschwesens im Krieg, Hans Rumpf, beschreibt jene schweren Opfer, die diese meist aus älteren „heimat-verwendungsfähigen“ Jahrgängen zusammengesetzten Abteilungen bringen mußten. Freilich wird die Leistung dieser echten Helden in den markigen, auf Kriegertreffen gehaltenen Reden kaum gewürdigt. Mancher „Kamerad“, der heute Reden vom besten „Im-Felde-unbesiegt-Stil“ hält, lernte oft erst beim Heimaturlaub das Grauen des wirklichen modernen Krieges kennen: Ein fröhliches Etappenleben oder eine „ruhige Kugel“ als Postenkommandant, zum Beispiel in Norwegen, brachten ihn kaum damit in Berührung.

Der junge britische Historiker und Schriftsteller David J. Irving setzt in seinem großangelegten Tatsachenbericht einerseits den Leistungen der stillen Helden der Menschlichkeit ein Denkmal, anderseits bemüht er sich, die wahren Schuldigen des Bombenkrieges gegen Wohnviertel auszuforschen. So lobenswert und geglückt die eine Seite des Buches ist, um so mißglückter ist dagegen die Suche nach den Anstiftern. Allzu deutlich ist nämlich das Bestreben des Verfassers, Churchill und „Bomber-Harris“ als Sündenböcke hinzustellen. Wenn er auch behaup-

tet, eine Unzahl von Unterlagen zu besitzen, so hält doch keine einzige einer wirklichen quellenkritischen Untersuchung stand.

David Irving, der es als Historiker wirklich besser wissen müßte, gibt in keinem Fall die Quelle an, aus der seine angeblichen Beweise stammen. Unverständlich deshalb die Aufregung, die das Buch In den letzten Wochen in England erregt haben soll. Ein gut geschriebener und flüssiger Tatsachenbericht — und das ist Irvings Buch sicherlich — kann eine auf wirkliche Quellen gestützte methodische Untersuchung keinesfalls ersetzen. Ob Großbritannien allerdings bereit ist, die den Bombenkrieg betreffenden Akten publizieren zu lassen, ist eine andere Frage. Zweifellos würde das Monument Churchill dann wirklich einige Sprünge bekommen...

Und doch drängt sich nach der Lektüre des Buches unwillkürlich die Frage auf, ob es denn nötig ist, den Schuldigen am Bombenkrieg zu suchen? Ist es notwendig, daß sich beide Gegner immer wieder gegenseitig beschuldigen, der größere Kriegsverbrecher gewesen zu sein? Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Prof. Carlo Schmid, hat einmal betont: „Die Frage lautet nicht, ob sechs Millionen Juden oder .nur vier' umgebracht wurden. Die Frage lautet: Einer oder... niemand?“ Dasselbe gilt für die Opfer des Bombenkrieges, der doch in grausiger Verkennung des höchsten Wertes, für den die alliierten Regierungen in den Krieg gezogen waren, nämlich der Humanität, geführt wurde.

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