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Ungarns Pressefronten am Vorabend der Wahlen

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Die Sommerglut des August liegt dör-rend über den Ebenen Ungarns. Mit ihr eifert die Hitze der Kampagne für die bevorstehenden parlamentarischen Neuwahlen. Politische Wahlen wurden in Ungarn seit eh und je mit anderen Methoden und Systemen durchgeführt als in mittel-oder westeuropäischen Ländern. So war es zu den Zeiten der Koloman Tisza und Baron Banffy, so ist es auch heute, trotz demokratischer Einriditungen und verfassungsmäßig garantierter Freiheitsrechte. Aber diese Wahlen erhalten eine besondere Bedeutung: sie sollen vor der Welt die parlamentarische Legalisierung der jüngsten innerpolitischen Entwicklungen Ungarns gewissermaßen demonstrativ erbringen. Bei diesen Wahlen geht es der Linken nicht nur darum, zahlenmäßige Erfolge zu erringen. Das Antlitz einer Nation soll eine Umformung erfahren.

Es wäre nicht angebracht, heute schon sichere Prognosen über Wahlausgang und Wahlresultate zu erstellen, aber es muß die Tatsache festgehalten werden, daß es vor allem die Kommunistische Partei, aber auch die übrigen Linksparteien sind, die- in diesem Wahlkampf einen noch nie gesehenen Einsatz der Presse entfalten und diesmal die papierene Propaganda mit einer Macht auftritt wie noch nie. Weder an Zahl der Blätter noch der Auflage können die gegnerischen Parteien Gleichwertiges entgegenstellen.

Die Presse — in Ungarn zu allen Zeiten mehr politische Willensgestaltung als irgendwo — ist zu diesem Kampfe mit allem! Rüstzeug angetreten; ihre Fronten einer objektiven Betrachtung zu unterziehen, wird manches bisher Geschehene und noch zu Geschehende verständlich erscheinen lassen.

An erster Stelle führt die Kommunistische Partei. Ihr itehen unbegrenzte finanzielle Mittel sowie das in Ungarn ebenso rare Papier in jeder beliebigen Menge zur Verfügung. Durch keine Zensur gehindert, können die beiden größten, heute im Besitz der Kommunistischen Partei sich befindlichen Druck- und Verlagsanstalten Ungarns — Stadium und Pallas — ihre Kapazität nach jeder Richtung hin voll auswerten. An der Spitze des parteioffiziösen Blattes „Szabad Nep“ (Freies Volk), steht Josef Revai, der führende Ideologe des ungarischen Kommunismus. „Szabad-sag“ (Freiheit) stellt die Nachmittagsausgabe dar und ist auf dem in Budapest beliebten Boulevardton abgestimmt.

Eine ganz neue Note im Pressewesen bedeutet die Reaktivierung des alten Blattes „Friss Ujsag“ (Frische Zeitung) im Dienste der indirekten kommunistischen Parteipropaganda. Das Blatt war einst in den Kreisen des Kleinbürgertums stark verbreitet. Nun geht man daran, durch Beibehaltung optisdier Äußerlichkeiten, den Leserkreis zu gewinnen; jede Parteiverlautbarung oder andere Nachricht, die die Tarnung illusorisch machen könnte, wird vermieden. Ebenso vielgestaltig ist die kommunistische Wochenpresse. Eine sehr wichtige Rolle ist dem agrarkommunistischen Blatte „Szabad Földet“ (Freier Boden) zugedacht, das in erster Linie sich an die sogenannten „Neubauern“ wendet, denen die Felder des einstigen Großgrundbesitzes und der ausgesiedelten Volksdeutschen zugesprochen wurden Sie bilden die Avantgarde des Kommunismus im Dorfe und erhalten hier Weisung und Richtlinien. Das Blatt des Partisanenverbandes „Igaz Sz6“ (Wahres Wort) vertritt eine militante Richtung des radikalen Marxismus; es folgen die reichhaltigen und von den namhaftesten kommunistisch-marxistischen Theoretikern geleiteten Zeitschriften, Revuen, Magazine, die sich ausschließlich an die ■Intellektuellen Kreise wenden

Als namhaftestes Organ gilt „Tärsadalmi-Szemle“ (Gesellschafts-Revue), an seine Seite gesellen sich „Forum“ und „Valosäg“ (Wirklichkeit). Nach dem Muster französischer Wochenblätter ist „Toväbb“ (Weiter) aufgezogen, es bringt hauptsächlich Beiträge ausländischer marxistischer Autoren. Das B'att steht der Gruppe um Innenminister Rajk nahe.

Eine Besonderheit im ungarischen Pressewesen stellen die politisch-satirischen Witzblätter dar. Sie haben eine Vergangenheit, die bis auf 1848 zurückgeht.

„Ludas Matyi“ (frei übersetzt Gänse-Matthias) ist ein vielgelesenes Blatt dieses Genres, das sich die Kommunistische Partei zur Verfügung hält.

„Emberseg“ (Menschlichkeit), „Pesti Ize“ (Pester Sachen) und die Jugendzeitung „Pajtas“ (Freundchen) beschließen den kommunistischen Zeitungskreis.

Bescheidener präsentirt sich die Sozialdemokratische Presse.

Da ist als erstes die alte „Nepszava“ (Volksstimme). Als offizielles Organ der Partei wird sie von Arpad Szakasits, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten redigiert.

„Vilagossag“ (Licht) ist das Nachmittags-orgin der Partei; das Montagsblatt „Kos-suth N£pe“ (Kossuths Volk), bisher unabhängig, wurde in der allerletzten Zeit von der Partei erworben und in den Wahlkampf eingeschaltet. Die Partei kontrolliert noch zwei illustrierte Zeitungen „Dolgoz6k Viläglapja“ (Weltblatt der Schaffenden) und „Szivarvanyi“ (Regenbogen); für die Jugend ist „Uttörök“ (Wegbereiter) bestimmt. An Wochen- und Monatsschriften besitzt die ungarische Sozialdemokratische Partei den jahrzehntealten „Sozialismus“, in dem der wissenschaftliche Marxismus seine Interpretation findet, und „Alkotas“ (Das Schaffen), das auf gutem Niveau stehende Organ des Kulturrates der Partei, dessen geistiger l^iter der populäre „Pro-letarier“-Schriftstel!er Ludwig Kassak ist; seine tiefschürfenden Gedanken und seine Offenheit gegen jedwede Bedrückung brachte die Parteileitung schon in manche Verlegenheit. — Zu dem Kreise um Kassak gehört auch der heute kalt gestellte, langjährige Parteivorsitzende Karl Payer, der jetzt gegen die Partei mit einer Neugründung auftreten möchte.

„Gazdasag (Die Wirtschaft) wird von dem Theoretiker sozialistischer Wirtschaftslehren Dr. Paul Sandor editiert.

Als Blätter der kommunistisch-sozialisti' sehen Zusammenarbeit sind „SzakszervezetiKözlöny“ (Gewerkschaftsnachrichten) und , „Müvelt Nep“ (Geschultes Volk) anzusprechen, die beide eine sehr rege Propaganda für die marxistische Einheitsrichtung im Schatten von Sichel und Hammer entfalten.

Als dritte Linkspartei gilt die „N ationale Bauernparte i“. Mit einer Morgen- und Abendausgabe des „Szabad Szö“ (Offenes Wort) ist sie in der linken Tagespresse vertreten. Unter ihrer Patronauz erscheint noch die Wochenschrift „Valasz“ (Antwort), kulturpolitisch aufgezogen, kommen in ihr jene gewissen Kreise der kalvinistischen jungen Schriftstellergarde des Donau-Theißraumes zu Wort, die sich gerne n maßlosen Angriffen gegen die römisch-katholische Kirche erschöpfen.

Betrüblich gestaltet sich die Lage der ■ Presse im Räume der derzeit noch zahlenmäßig stärksten Klein-Landwirte-Partei. Die aus den verschiedenartigsten Schichten der nichtmarxistischen Wählerschaft zusammengesetzte Partei war leider nie in der Lage, sich eine durchschlagskräftige Presse zu gestalten. Organisationsmängel und das geringere Verständnis der bäuerlichen Abgeordneren für die Notwendigkeit einer politisch konkurrenzfähigen Parteipresse cind die Gründe für diesen Mangel; seine Wirkungen werden sich in der aller-nädisten Zeit deutlich bemerkbar machen.

Das Parteiorgan ist nach wi* vor „Kis Ujsag“ (Kleine Zeitung), ein Blatt, das im Wandel der Zeiten die verschiedensten Veränderungen durchgemacht hat. Einst stand es der alten Katholischen Volkspartei des Grafen Ferdinand Zichy nahe, dann wurde es liberal-kleinbürgerlich, um nach dem Kriegsende^ zu der Klein-Landwirte-Partei zu stoßen. Heute vertritt sie den linken Flügel der Partei um Ministerpräsident Dinnyes.

„Magyar Nemzet“ (Ungarische Nation), in deren Spalten der mutige, bekannte Publizist Georg Parragi so oft jedem Unrecht gegenübertrat, ist durch die Aufspaltung der Partei nicht mehr als Organ der Klein-Landwirte-Partei anzusehen. Für die städtische Intelligenz schreibt „Hirlap“ (Nachrichtenblatt), das rein äußerlich an die großen Traditionen der von der Verlegerdynastie Legrady herausgegebenen Blätter anknüpft.

„Igazsag“ (Wahrheit) und „Politika“ sind Wochenzeitungen, die letztere steht dem Außenministerium nahe. Auch die Klein-Landwirte-Partei verfügt über ein politisch-satirisches Witzblatt, „Szabad Szaj“ (Freier Mund), das den linksgerichteten Blättern gleicher Art doch einige Konkurrenz macht.

Die bürgerlichen Splitterparteien verfügen über den Rest der ungarischen hauptstädtischen Presse. Rein publizistisch sind sie vollwertig, da in ihren Redaktionen alte, gewiegte Journalisten der zwanziger und dreißiger Jahre sitzen, aber auf ihrer Seite ist nicht das politische Gewicht.

Im „Huszadik Szazad“ (Zwanzigstes Jahrhundert) manifestiert sich die Demokratische Volkspartei (Barankovich-Bewegung). Nach den neuesten Berichten stehen den neugegründeten Parteien, die aus der Klein-Landwirte-Partei hervorgegangen sind, zwei namhafte Tageszeitungen zur Verfügung, „Holnap“ (Morgen) und „Magyar Nemzet“. Erstere wurde Organ der Unabhängigen Partei Zoltän Pfeiffers, des Nachfolger Sulyoks und seiner Freiheitspartei, in letzterer wirbt Monsignore Stefan B a 1 o g h für die von ihm geführte „Unabhängige Demokratische Partei“.

Bezeichnend für die herrsdienden politischen Strömungen ist die Tatsache, daß von dem einst so reichgestalteten katholischen Pressewesen ein einziges Wochenblatt, „Uj Ember“ (Neuer Mensch) erhalten blieb.

Daneben führt noch das .Kirchenblatt „Sziv“ („Herz“) ein schlichtes Dasein in dem Vorraum der Kirchen, während „Vi-gilia“ als periodische Schrift sich auf wissenschaftlich-theologische Fragen beschränkt.

Sicher werden bei der psychologischen Massenwirkung der modernen Presse jene Parteien gewisse Resonanzen erzielen, in deren Diensten die großen Trommeln wirbeln.

Ob die von der Linken erhofften Wirkungen bis zu den Massen der bäuerlichen Wählerschaft dringen, und diese sind in einem Agrarland noch immer die Ausschlaggebenden, ist das interessante und politische Problem der kommenden Wahlentscheidung.

Für die katholischen, transdanubischen Teile Ungarns darf man diese Wirkung noch bezweifeln.

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