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Unruhe auch bei Ulbricht

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Die politische Opposition in der sowjetischen Besatzungszone

Deutschlands ist — so kurios das erscheinen mag — ein Vorgang, der gesamtdeutsch gleichermaßen behandelt wird: weder in der Bundesrepublik noch in der „DDR“ wird darüber in der Öffentlichkeit berichtet. Moskaus Forderung an die SED, nach dem Mauerbau die Sowjetzone als ein befriedetes Gebiet zu präsentieren, ist erfüllt. Von einzelnen geglückten oder mißglückten Fluchtversuchen abgesehen, erscheint die „DDR“ der Welt gegenüber ruhig. Die öffentliche Debatte über sie hat sich innerhalb eines Jahrzehnts grundsätzlich gewandelt. Man stellt die Existenz der Diktatur nicht mehr in Frage, sondern diskutiert, auf welchen Ebenen Kontakte zu ihr hergestellt werden können. Unausgesprochen liegt dem die Meinung zugrunde, die Verhältnisse der Dik tatur hätten sich gefestigt und es gebe dort keine politische Opposition mehr. Vor allem wird behauptet, die SED habe die Jugend auf ihre Seite gebracht und alle politischen Kräfte zu ihren Gunsten aktiviert. Tatsächlich ist die Lage anders. Der bei allen Parteien der Bundesrepublik gepflegte Slogan von „Ruhe und Ordnung“ beeindruckt politisch interessierte Menschen in der „DDR“ überhaupt nicht, da die SED — wenn auch aus anderen Gründen — dasselbe verlangt. In der Sprache der Opposition herrscht das Wort „Veränderung“ vor. Bedeutsam ist dabei, daß das nicht nur auf die eigenen inneren Verhältnisse, sondern auch auf die Bundesrepublik bezogen wird. Die Jugend nimmt vor allem das Pauschalurteil übel, sie habe sich mit der Diktatur abgefunden und toleriere sie aus materiellen Gründen. Westlichen Besuchern gegen über ist gerade das während der letzten Zeit in verschiedenen Städten der „DDR“ als diskriminierend bezeichnet worden. Übereinstimmend sagten Besucher hierzu, entsprechende westdeutsche Kommentare in Funk und Fernsehen hätten zu heftigen Attacken bei ihren Gesprächspartnern geführt.

Integrierte Opposition

Die jungen Leute in der „DDR“ betonten: Vollständig unbekannt scheine es im Westen zu sein, daß die kommunistische Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) längst nicht mehr so parteifromm ist wie früher. In Magdeburg und Stralsund kam es in diesem Sommer bei den dortigen FDJ-Grundorganisatio- nen zu heftigen politischen Auseinandersetzungen, die zur Ablösung der meisten Jugendführer führten. Einfache Mitglieder hatten Debatten über die Diktatur an sich begonnen und schließlich die Diktatur des Proletariats in Frage gestellt. Manche Beobachter meinen, die Opposition wirke in der „DDR“ nicht mehr illegal, sondern innerhalb der' vorhandenen politischen Organisationen. Eine Parallelentwicklung ist bei der Generation der etwa 45 jährigen SED-Mitglieder zu beobachten. Auch sie äußern Zweifel an der Parteiführung und der Politik der sowjetischen Führungsmacht. Dabei werden, auf deutsche Verhältnisse angewandt, sowohl tschechische als auch mao- istische Ideen vorgebracht. Da Diskussionen nicht einfach verboten werden können, beschränken sich die Funktionäre auf eine massive Vertretung des Regimestandpunkts.

Die in den verschiedensten Bezirken der Sowjetzone eingesetzten sowjetischen Konsuln sind bereits auf diese Vorgänge aufmerksam geworden. Die zur Verbindung mit Organen der „DDR“ eingesetzten sowjetischen Offiziere und Funktionäre zeigen Nervosität. Die SED-Führung kann sich Moskau gegenüber nicht mehr auf ominöse Hintermänner und äußere Einflüsse hinausreden.

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