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Unruhe im Herzen Tirols

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Am 18. Dezember des vergangenen Jahres behandelte der Ministerrat einen Gesetzesantrag, dessen Endzweck die Führung der Autobahn Innsbruck — Brenner als Mautautobahn vorsieht.

Dieser Beschluß hat in Tirol eine geteilte, im Wipp- und im Stubaital eine ausgesprochen ablehnende Aufnahme gefunden. Schon vor einem Jahr, am 16. Jänner 1963, fand im Innsbrucker Landhaus unter dem Vorsitz des verstorbenen Landeshauptmannes Dr. Tschiggfrey eine Beratung über den Ausbau und die Finanzierung der Brennerautobahn statt. Damals sprachen sich Landes-baudirektor Dipl.-Ing. Pacfc, die Vertreter der Tiroler Handelskammer, Präsident Menardi und Kom-merzialrat Dr. Fink, Bürgermeister DDr. Lugger und Landesrat Zechtl mehr oder weniger energisch gegen die Einhebung von Mautgebühren aus, da eine Maut — nach damals einheitlicher Auffassung — mit schwerwiegenden Nachteilen für Wirtschaft und Bevölkerung verbunden und außerdem zur Deckung der Kosten nicht zielführend wäre. Zu dieser Zeit bestand noch der Plan, die ganze Strecke von Kufstein bis zum Brenner als Mautautobahn zu führen, ein Gedanke, der dann von Dipl.-Volkswirt Ingenieur Dr. Karl FantI in sein „Tiroler Straßenbaukonzept“ übernom-men wurde.

Die erste Reaktion gegen die Mautautobahn kam naturgemäß aus dem Wipp- und Stubaital. Schon am 5. Juni 1963 wurde bei einer Bürgermeisterkonferenz des Bezirkes Innsbruck-Land eine Resolution gegen die Einführung einer Maut auf der Brennerautobahn einstimmig beschlossen. Offiziell zum erstenmal hörte man anläßlich einer Pressekonferenz, die von Staatssekretär Dr. Kotzina eine Woche vor Eröffnung der Europabrücke abgehalten worden war, von einer Änderung des Mautplanes, derzufolge nur noch für die Strecke Innsbruck — Brenner Maut eingehoben werden soll. Damit glaubte man das Ei des Kolumbus entdeckt zu haben, und auf alle Fälle wurde der Kreis der Mautgegner wesentlich eingeschränkt. Die Befürworter der Maut gehen vom einleuchtenden Standpunkt aus, daß die Deutschen, die Tirol schnell durchrasen wollen, mit einer Maut zu „bestrafen“ seien. Da dies sogar von zuständigen deutschen Stellen ohne Widerspruch hingenommen wurde, war man sich der Sache sicher und befürchtete keinen weiteren Widerstand. Dieser Plan sieht also die Gründung einer Gesellschaft vor, die das Baukapital von rund drei Milliarden Schilling aufzubringen hätte. Dafür wird der Gesellschaft das Recht eingeräumt, Maut einzuheben, und außerdem werden ihr allein Konzessionen für Rasthäuser und Tankstellen an der Autobahn zugesichert. Für einheimische Autofahrer gibt es weder Im Innerstaatlichen noch im Überland-verkehr irgendwelche Begünstigungen. Mit einem Wort: Die Einheimischen sollen Maut zahlen oder eben, so wie bisher, auf der alten Brennerstraße fahren. Allein diese letzte Bedingung hätte genügt, um der Bevölkerung Tirols den Plan einer Mautautobahn zu verleiden. Zu sehr und zu oft wurde der Bau der Europabrücke und der Autobahn als österreichisches Werk gepriesen und zu groß war die Anteilnahme der Gesamtbevölkerung, die mitgebangt und sich mitgefreut hat. Aber diesen mehr von Herzen kommenden Argumenten setzen die Verfechter der Mautautobahn anscheinend harte Tatsachen gegenüber. Es wird behauptet, daß die Autobahn Kufstein— Brenner in vier Jahren vollendet sein müsse und daß internationales Geld nur auf Mautbasis zu haben sei. Eine genauere Begründung für diese Behauptungen war allerdings bisher nicht zu erfragen.

Die Brennerautobahn als einzige Mautautobahn Österreichs wäre eine schwere und — in Anbetracht der Stellung Tirols im Fremdenverkehr — unverdiente Zurücksetzung Tirols gegenüber allen anderen Bundesländern und außerdem eine Zurücksetzung des Wipptales gegenüber dem oberen Oberinntal (Re-schenpaß).

Die Reduzierung der Anschlußstellen, die sich zwangsläufig bei jeder Mautstraße ergeben muß, um die Verwaltungskosten so niedrig wie möglich zu halten, führt zur schnellen Durchfahrung des Landes und schädigt daher den Fremdenverkehr des Durchzugsgebietes.

Eine nur vierjährige Bauzeit wäre:

• Von vornherein in Anbetracht der technischen und administrativen Schwierigkeiten ausgeschlossen;

• unwirtschaftlich und eine Schädigung der österreichischen Bauwirtschaft, deren Kapazität nicht ausreichen würde, so daß ausländische Unternehmen und ausländische Bauarbeiter in verstärktem Maße herangezogen werden müßten. Welche Gefahren größere Kontingente ausländischer Bauarbeiter für die einheimische Bevölkerung mit sich bringen, das kann man unschwer in Westdeutschland erfahren. Und schließlich

• ist eine so kurze Bauzeit nicht einmal notwendig, da Italien auf der dreimal längeren Südtiroler Brennerstrecke noch keinen Stein bewegt hat, obwohl die Strecke Bozen — Brixen (Kuntersweg) größte technische Schwierigkeiten bereitet.

Es wird daher vorgeschlagen, die Brennerautobahn vorläufig nur auf der 9,4 Kilometer langen Strecke von Schönberg bis Matrei, günstigenfalls bis Steinach (14 Kilometer), auszubauen und mit der Autobahn im Raum Kufstein zu beginnen. Diese Bauten könnten technisch und finanziell aus eigener Kraft in vier Jahren bewältigt werden. Mit dem Bau der Strecke Steinach— Brenner, die einen großen finanziellen Aufwand erfordert, braucht dann erst begonnen zu werden, wenn italienischerseits auf der 86 Kilometer langen Brennerstrecke gleichwertige Baufortschritte festzustellen sind. Es wurden außerdem Berechnungen angestellt, die ergeben haben, daß für ein Personenauto eine Maut von 50 Schilling für die einfache Fahrt Innsbruck — Brenner eingehoben werden müßte, wenn das Baukapital verzinst und amortisiert werden soll. Dadurch bestünde sogar die Gefahr, daß in Anbetracht der hohen Kosten die Autobahn nicht einmal den Durchzugsverkehr aufnehmen würde. Außerdem wurde aus der Verkehrsstatistik errechnet, daß auf den Durchzugsverkehr nicht mehr als 40 Prozent des Gesamtbrennerverkehrs entfallen. Die Einhebung einer Maut schädigt nicht nur das Wipptal, sondern auch Südtirol. Nördlich der Alpen bemüht sich Bayern durch den Bau der Autobahn München — Lindau der Ausklammerung aus dem großen europäischen Nord-Süd-Verkehr zu entgehen; südlich der Alpen hat Italien dieser Absicht durch die bereits fertiggestellte Autobahn Venedig — Mailand entgegengearbeitet. Die Gefahr der Umfahrung Tirols wird um so größer, da in der Schweiz die Einhebung einer Maut gesetzlich untersagt ist. Auch der St.-Berhard-Tunnel, der im Jahre 1966 fertiggestellt sein wird, wird ohne Maut durchfahren werden können.

Leider hat man sich bisher fast keine Mühe gegeben, diese einleuchtenden Argumente zu widerlegen.. -So -kam es--bei der-letzten •Bürgermeisterkonferenz des Bezirkes Innsbruck-Land am 16. Dezember zu einer neuerlichen Stellungnahme gegen die Maut. Geradezu leidenschaftlich sprachen sich Bürgermeister des Wipptales, des Ober-und Unterinntales in Anwesenheit des Landeshauptmannes gegen die Einhebung einer Maut auf der Brennerautobahn aus. Zum Schluß machte sich der aus dem Oberinntal stammende Abgeordnete Dr. Weber zum Sprecher des Bezirkes und bat den Landeshauptmann unter dem Beifall der Bürgermeister, in letzter Stunde das Blatt zu wenden. Diese Einmütigkeit des größten Bezirkes Tirols läßt befürchten, daß die Mautfrage nicht zur Ruhe kommen wird. Schuld daran ist nicht nur das Mautproblem, sondern ebenso die mangelhafte Information der Öffentlichkeit, was zu unsinnigsten Gerüchten Anlaß gibt. Es wäre daher so schnell wie möglich zu klären:

• Handelt es sich bei der zu gründenden Gesellschaft um eine österreichische oder um eine ausländische?

• Wie wird — wenn es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt — die Souveränität Österreichs gewahrt? Besteht tatsächlich die Gefahr, daß der einzige absolut wintersichere Ubergang der Ostalpen in ausländische Hände gegeben wird?

• Wieviel Geld bekommt Tirol und zu welchen Bedingungen? Wieviel und an wen sind Provisionen für die Vermittlung des Darlehens zu zahlen?

• Wie stellt man sich die Bemau-tung einer nur 30 Kilometer langen Strecke vor und wie sollen die zu erwartenden wirtschaftlichen Schäden für das Wipptal kompensiert werden?

• An welche Bauzeit glaubt man wirklich, da doch Fachleute erklären, daß eine nur vierjährige Bauzeit utopisch ist?

Die offene und ehrliche Beantwortung dieser Fragen könnte viel zur Beruhigung der Gemüter beitragen; sie könnte aber auch dem Baufortschritt dienlich sein, da unter den gegenwärtigen Umständen im Wipptal kein Interesse für den Weiterbau der Autobahn mehr besteht.

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