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Unsere „Verstaatlichte”

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Die verstaatlichte Industrie Österreichs, die mit zur Zeit 131.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 22 Milliarden Schilling (1960) etwa ein Viertel der gesamten industriellen Wertschöpfung unseres Landes hervorbringt und mit Exporten im Werte von insgesamt 7,9 Milliarden Schilling auch im vergangenen Jahr wieder 27,1 Prozent der gesamten österreichischen Ausfuhr bestritt, hat sich, zum Unterschied von anderen Zweigen der österreichischen Wirtschaft, keineswegs erst seit dem Inkrafttreten des EWG-Vertrages am 1. Jänner 1958, sondern schon seit viel längerer Zeit auf die Realität einer zollpolitischen Integration der westeuropäischen Wirtschaft einstellen müssen: Denn schon seit der Schaffung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Montanunion im Frühjahr 1953, also seit nunmehr acht Jahren, sieht sich die verstaatlichte österreichische Eisen- und Stahlindustrie auf dem Montansektor einem geschlossenen westeuropäischen Markt gegenüber, innerhalb dessen alle Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen für den Austausch von Kohle, Eisenerz, Schrott und Stahl beseitigt worden sind, während nach außen hin, gegenüber den sogenannten „Dritten Ländern”, diese handelspolitischen Schranken weiterbestehen und den in diesen Ländern arbeitenden Industrien den Zugang zu dem Gemeinsamen Markt der Montanunionstaaten erschweren. Diese frühzeitige Konfrontierung der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie mit den ernsten Problemen, die sich aus der Außen- seiterstellung unseres Landes gegenüber den sechs Montanunionländern ergeben, hat für die österreichische verstaatlichte Industrie aber auf jeden Fall einen Vorteil mit sich gebracht: Nun, da sich nach dem Scheitern der Pläne zur

Schaffung einer gesamteuropäischen Freihandelszone und der zweigeleisigen Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Integration Europas im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der als EFTA bekannten „kleinen” Europäischen Freihandelszone sämtliche Zweige der österreichischen Wirtschaft mit den neuen europäischen Marktverhältnissen vertraut machen müssen, haben zahlreiche Unternehmungen der verstaatlichten Industrie aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre schon einen gewissen Überblick über die neue Lage gewonnen und vermögen schon heute aus den gewonnenen Erkenntnissen die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Versucht man diese Erkenntnisse und die daraus gezogenen Schlüsse in wenigen Worten zusammenzufassen, so könnte man für die Exportpolitik der verstaatlichten Industrie folgende grundsätzliche Feststellung treffen:

1. Ebenso wie für die gesamte österreichische Wirtschaft stellen die EWG-Länder auch für die verstaatlichte Industrie bisher noch die wichtigsten Absatzgebiete dar. Während der EWG- Anteil an der gesamten österreichischen Ausfuhr jedoch in den Jahren 1958 bis 1960 gleichbleibend rund 50 Prozent betrug, belief sich der Anteil des EWG-Exports der verstaatlichten Industrie am Gesamtexport der verstaatlichten Werke im gleichen Zeitraum auf nur etwa 35 Prozent. Diese bemerkenswerte Stabilität des EWG-Exportanteils sowohl an der gesamtösterreichischen Ausfuhr als auch am Gesamtexport der verstaatlichten Industrie hängt jedoch sicher in erster Linie damit zusammen, daß sich die Zolldiskriminierung der EFTA- Länder durch die EWG erst im Anfangsstadium befindet und darüber hinaus die anhaltende Hochkonjunktur in den EWG-Staaten auch den Außenseitern weiterhin einen gewissen Marktanteil im EWG-Bereich sichert. Bei schrittweiser weiterer Vergrößerung der Diskrepanz zwischen den Binnenzöllen und dem gemeinsamen, einheitlichen Außentarif der EWG wird die Diskriminierung der EFTA-Länder eine zunehmende Verschärfung erfahren, so daß mit einem effektiven Rückgang der Exporte nach den EWG- I ändern gerechnet werden muß. Als Beispiel für die Auswirkungen dieser Diskriminierung sei auf die Entwicklung der österreichischen Edelstahlausfuhren nach Italien verwiesen, die von 41.000 Tonnen im Jahre 1954 auf 18.000 Tonnen im Jahre 1959 zurückgegangen sind, weil sich die österreichische Edelstahlindustrie angesichts des harmonisierten Außenzolls der Montanunion nicht mehr gegen die zollfreien Edelstahllieferungen der Montanunionländer nach Italien zu behaupten vermochte.

2. Um für diesen zu erwartenden Terrainverlust im EWG-Bereich einen Ausgleich zu finden, wird sich die verstaatlichte Industrie zweifellos um eine Vergrößerung ihrer Exporte nach den EFTA-Ländern zu bemühen haben, die im Jahre 195 8 10,5, im Jahre 1959 11,6 und im Jahre 1960 12,5 Prozent der gesamtösterreichischen Ausfuhr aufnahmen, während sich der Exportanteil der verstaatlichten Industrie nach diesen Ländern im Jahre 1959 auf etwa 14 Prozent des Gesamtexports der verstaatlichten Unternehmen belief. Angesichts der nicht aufeinander abgestimmten Wirtschaftsstruktur der EFTA-Länder und der nach den verschiedenen EFTA-Relationen auflaufenden beträchtlichen Kosten für den Gütertransport, darf sich die verstaatlichte Industrie von der intensiveren Bearbeitung dieser Märkte und den Auswirkungen der zollpolitischen Integration des EFTA- Bereichs jedoch keine allzu großen Erfolge erhoffen, wie überhaupt hinsichtlich der Möglichkeiten für eine Umlenkung der seit Jahrzehnten in eingefahrenen Bahnen laufenden Warenströme von einer Relation in die andere eine gewisse Skepsis berechtigt erscheint.

3. Ein tatsächlicher Ausgleich für den zu erwartenden Rückgang des Absatzes nach den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft scheint dagegen in einer Verstärkung der österreichischen Ausfuhr nach den Ostblockstaaten möglich zu sein, die im Jahre 1958 12,4, im Jahre 1959 13,3 und im Jahre 1960 bereits 14 Prozent der gesamtösterreichischen Ausfuhr auf sich vereinigt haben, während vom Gesamtexport der verstaatlichten Industrie etwa 25 Prozent auf Exporte nach diesen Ländern entfielen. Noch deutlicher wird die hohe Einschätzung der Möglichkeiten des Ostgeschäftes durch die Unternehmungen der verstaatlichten Industrie aber daraus ersichtlich, daß schon in den Jahren 1958 und 1959 der Anteil der verstaatlichten Industrie am österreichischen Gesamtexport nach den Oststaaten mehr als 50 Prozent betragen hatte. Die Intensivierung des Ostexports wird durch die zum Teil traditionellen Wirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern und die vorteilhaften Frachtverbindungen — besonders über die Donau — erleichtert. Die Realisierbarkeit einer weiteren Ausweitung der Ostexporte hängt jedoch auf Grund des mit diesen Ländern bestehenden bilateralen Handels- und Zahlungsverkehrs im besonderen Maße von den Möglichkeiten zur Hereinnahme von Gegenlieferungen ab, die auf dem österreichischen Markt oft nur unter Schwierigkeiten untergebracht werden können. Es steht außer Zweifel, daß gerade der verstaatlichten Industrie mit ihrem beträchtlichen Importbedarf an Rohstoffen m vor allem an Kohle und Erz — in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zukommt und die Rohstoffeinfuhren der verstaatlichten Unternehmungen aus den Oststaaten vielfach überhaupt erst die Voraussetzung für die Exporte auch anderer Industrieunternehmungen nach diesen Ländern geschaffen haben.

4. Ganz bedeutende Chancen für eine Steigerung der österreichischen Ausfuhr — und damit für eine Kompensation eines Terrainverlustes im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — bestehen schließlich noch im Export nach den überseeischen Entwicklungsländern, in denen die verstaatlichte Industrie schon seit einigen Jahren ihre großen Möglichkeiten erkannt und — man denke nur an das Stahlwerk

Rourkela in Indien — dem Namen Österreichs und der Leistungsfähigkeit seiner Industrie besondere Geltung verschafft hat. Als Beispiel für die dominierende Rolle der österreichischen verstaatlichten Industrie bei der Erschließung überseeischer Absatzgebiete sei nur erwähnt, daß der Anteil der verstaatlichten Industrie am österreichischen Gesamtexport nach den südamerikanischen Staaten von 36,5 Prozent im Jahre 1955 auf 47,9 Prozent im Jahre 1959 gestiegen ist und sich bei den österreichischen Exporten nach Indien von 16,1 Prozent im Jahre 1953 auf rund 66 Prozent im Jahre 1959 erhöht hat. Zu der günstigen Ausgangsstellung der österreichischen Exportindustrie im Handelsverkehr mit den überseeischen Entwicklungsländern trägt zweifellos in besonderem Maße die Tatsache bei, daß das Verhältnis Österreichs zu den jungen Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Südamerika durch keine Schatten einer kolonialen Vergangenheit unseres Landes getrübt wird. Hinzu kommt, daß Österreich — zum Unterschied von anderen bedeutenden Industriestaaten — diesen Entwicklungsländern zugleich mit der Lieferung von Industrieanlagen und Fertigerzeugnissen keine bestimmten politischen Ideologien als Rezepte für eine erfolgreiche wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung zu „verkaufen” sucht. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß diese günstigen psychologischen Voraussetzungen allein nicht für einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den überseeischen Entwicklungsländern genügen, sondern Mittel und Wege gefunden werden müssen, um vor allem den gewaltigen Kreditbedarf dieser Länder zur Durchführung ihrer Entwicklungsprogramme zu decken.

Soll die verstaatlichte Industrie unseres Landes im Export nach den überseeischen Entwicklungsgebieten weiterhin die Funktion eines echten Schrittmachers der österreichischen Wirtschaft erfüllen, so wird man auch in Österreich nach neuen Möglichkeiten zur Exportfinanzierung zu suchen haben und es der verstaatlichten Industrie nicht verwehren dürfen, sich eine gewisse Einflußnahme auf die Vergebung der für diese Zwecke zur Verfügung stehenden Mittel zu sichern.

Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, daß sich die verstaatlichte Industrie auf Grund ihrer Erfahrungen mit der Montanunion über die Auswirkungen der zweigeleisigen wirtschaftlichen Integration Europas, über die Gefahren einer zollpolitischen Teilung der europäischen Länder in einen EWG-Bereich und einen EFTA-Verband keinen Illusionen hingibt — der Realität der politischen Tatsachen aber schon frühzeitig durch eine Anpassung ihrer Exportpolitik an die neuen Gegebenheiten, das heißt durch eine gleichmäßigere Streuung ihrer Exporte auf die verschiedenen Relationen, Rechnung zu tragen versuchte. Die Tatsache, daß sich die Außenhandelsinteressen der verstaatlichten Industrie damit nicht einseitig auf ein bestimmtes Absatzgebiet, sondern ungefähr zur Hälfte auf den EWG- und EFTA-

Bereich und zur anderen Hälfte auf die Ostblockstaaten und die übrigen Länder verteilen, wird von der verstaatlichten Industrie unseres Landes aber keineswegs als eine Garantie dafür angesehen, daß sie von den Auswirkungen einer zollpolitischen Spaltung Europas unberührt bleibt: Gleich allen anderen Zweigen der österreichischen Wirtschaft ist man auch in der verstaatlichten Industrie davon überzeugt, daß eine wirklich befriedigende Lösung der handelspolitischen Probleme Europas nur durch einen „Brückenschlag” zwischen dem EWG-Bereich und der Kleinen Europäischen Freihandelszone, nur durch eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller europäischen Länder erreicht werden kann. Die verstaatlichte Industrie ist sich aber darüber im klaren, daß diese erhoffte Lösung des derzeitigen Hauptproblems der Integration der europäischen Wirtschaft nicht auf der rein wirtschaftlichen, sondern wohl nur auf der politischen Ebene gefunden werden kann, auf der wahrscheinlich auch der Haltung der Vereinigten Staaten große Bedeutung zukommen wird.

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