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Unter dem Joch

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Die Beobachtungen und Erlebnisse der täglichen Vorgänge lassen allzuleicht deren Grundursachen wie die wahren Motive unbeachtet, weil due rasche Vergänglichkeit des Augenblicks über sic hinwegsieht oder vergißt, ihnen auf den Grund zu gehen. So konnte in den Februar- und Märztagen des Jahres 1938 scheinbar plötzlich hcreänbredien, was führende Männer in ahnungsvoller Weise oft schon angedeutet hatten, und dessen sie sich bewußt waren. Wie tief die katholische Kirche von diesen Ereignissen ergriffen wurde, davon legt vorliegendes Buch in unaufdringlicher. aber klarer Weise ein gewichtiges Zeugnis ab. Es bietet ein erlebtes Stück Kirchengeschichte, an dem wir alle aktiv und passiv teilgenommen haben. Das ideologische Vorspiel zeichnet der Verfasser in kurzen, aber sicheren Zügen, indem er die Entwicklung der. geistigen Situation darstellt, in der sich schon der Widerstand gegen die nationalsozialistischen Ideen vor 1938 abzeichnet. In einem sachlich referierenden Ton werden alle wichtigen Tatsachen festgestellt. Gerade diese ruhige Art wirkt klarer als leidenschaftliche Anklagen und sich überschlagende Proteste. Heute erkennt man deutlich die Systematik jener Kirchenfeindlichkeit, der kein Mittel zu schlecht und keine Verleumdung zu grob war, um zu täuschen und einzuschüchtern. So stand die österreichische Kirche plötzlich in den Märztagen auf sich allein gestellt und konnte nicht einmal zum päpstlichen Nuntius in Berlin eine Verbindung erhalten. Da findet nun auch das leidige Gerede um Besuch des Wiener Kardinals im Hotel Imperial eine authentische Darstellung und jener von Gauleiter Bürckel böswillig inszenierte Propagandatrick, um die Erklärung der österreichischen Bischöfe zur Volksabstimmung. Was Prälat Fried über die einzelnen Bischöfe berichtet, sind vielfach nur Andeutungen von jenen persönlichen Injurien, Schikanen und Haßausbrüchen, denen sie ausgesetzt waren. Das Bild kann sich erst in dem Moment runden, wenn man den stillen und schwierigen Kleinkrieg von Briefen, Protesten und Eingaben hinzunimmt, von denen der zweite Teil eine Auswahl wörtlich wiedergibt und die historischen Wert besitzen.

Dazu wurde der Organismus der Kirche an den empfindlichsten Stellen am allermeisten verletzt. Hier sprechen die Zahlen für sich: Im Sommer wurden in der Gesamtheit 1417 katholische Privatschulen aller Kategorien mit einem Federstrich aufgelöst; 1500 Priestern war es zum Schlüsse verwehrt, den gesetzlich zugelassenen Religionsunterricht zu erteilen,- dem noch obendrein alle erdenklichen Hindernisse bis zum offenen Boykott entgegengesetzt wurden; 6000 katholische Vereinigungen und Werke wurden aufgelöst;, elf katholische Tageszeitungen und alle katholischen Druckereien wurden eingezogen. In der Erzdiözese Wien allein wurden 700.000 Bücher aus den katholischen Bibliotheken weggeschleppt und größtenteils vernichtet; 120 Kirchen und Kapellen geschlossen und 792 kirchliche Gebäude enteignet; 26 große Stifte und Klöster aufgehoben oder beschlagnahmt. Das gleiche Schicksal traf 188 Männerund Ffauenklöster.

Neben den vielen Sachschäden vergißt die Zusammenstellung nicht jene Bekenner und Märtyrer, die für ihren Glauben bis zum Tode einstanden. Eine lange Liste, angefangen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaft, bis zu jenem einfachen Bauer aus Oberösterreich, der offen und heroisch sein Haupt den Henkern darbot …

Und da spricht Prälat Fried ein offenes Wort über die Haltung des Klerus: „In Österreich gab es unter allen Welt- und Ordenspriestern kaum ein halbes Dutzend, die Parteimitglieder waren. Ob ein Dutzend Parte i-- anwärter waren, möchte ich nicht behaupten.” Wohl aber waren 724 Priester im Kerker, von denen sieben starben; 110 waren im KZ, von denen 20 den Tod fanden, und 15 wurden zum Tod verurteilt und hingerichtet, 877 waren zum Militärdienst eingezogen worden, von denen 88 gefallen sind. Von 612 Theologen fielen 157.

Die beigegebenen Dokumente aus dieser schweren Zeit für sich genommen, reden eine eindringliche Sprache. Sie geben keine, persönliche Meinung wieder, sondern sind Akten und Amtsstücke. Wer in ihnen liest, wird hinter den toten Buchstaben das System in seinem zähen und beharrlichen Kampf erspüren, das vielfach die Öffentlichkeit scheute und mit geheimer Macht die Öffentlichkeit wie das Leben der Kirche in seinem Sinn umzugestalten bestrebt war.

Erlittenes Unrecht bringt oft Verbitterang und dunkle Leidenschaft. Von diesen ist in dem vorliegenden Buche nichts zu merken. Der Autor selbst, der ob seiner Haltung vieles zu erdulden hatte, verstand sich und sein Werk davon freizuhalten. Und das macht das Buch auch persönlich so ansprechend .Einfluß auf die deutsche Theatersituation aus. Minister, Oberbürgermeister und Dezernenten, Ausschüsse, Beiräte, Gewerkschaften, Betriebsräte, kurzum: Personen und Gremien, deren Veto über Wohl und Wehe auch des Theaters entscheidet, sind nicht alle mit umfänglichem Kunstverstand ausgezeichnet. Dies Minus möchten sie zumeist durch ein Plus an Kleingeisterei und Engherzigkeit aus- gleichen. Die vielen Intendantenkrisen beweisen es; die Bühnenleiter wissen kaum noch, wem eigentlich sie es recht machen sollen. Hier darf kein Märchen aufgeführt werden, weil das Vorkommen von König und Prinz angeblich monarchistische Neigungen aufpeitscht. Dort muß ein Regisseur immer wieder um die Erlaubnis einkommen, Werke von Wilder, Anouilh und Sartre aufzuführen. Die zumal deutsche Einbuße an geistiger Substanz einerseits und das sprudelnde Vermögen jenseits des Atlantiks andererseits werden gern verkannt. Amtliche Stellen halten das neue amerikanische Drama für „zu extremistisch”, auch’ wenn es, wie Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen”, auf eine neue Kunst des Religiösen zielt. Anderwärts reitet Prüderie den Amtsschimmel: ein heiteres Spielchen wird heftig umstritten, weil es sich im Vorhof des Vatikans begibt. Vereinzelt spricht man bereits von einer neuen Welle der Intoleranz, die durch Deutschland gehe. Die mit viel Moralin durchtränkte stadtväterliche Weisheit, die mit Vorliebe in die Personalpolitik der Bühnen hineinfunkt, sei gar nicht berührt. Fast möchte man bitten, der Schuster solle bei seinem Leisten bleiben. Im übrigen scheint es, der Engländer Trevok habe im Bereich des Theaters den Eindruck gewonnen, den er nach seiner Deutschlandreise in die Worte kleidete: „Alte Männer stehen hilflos vor revolutionären Ideen.”

Andererseits wartet das deutsche Theater jedoch auf den Durchbruch derer, die nach Trevoks Meinung „noch im Hintergrund” verharren. Das Fehlen revolutionärer Kräfte der Dramaturgie und der Regie ist nicht ausnahmslos mit mangelhafter Ernährung zu entschuldigen. Auch die überraschende Distanz zwischen Schauspieler und Wesenskern der klassischen Diditung hat andere Ursachen. Eine gründliche Wissensbildung wäre vonnöten, aber ihr müßte eine grundlegende Wesensbildung voraufgehen. Entpersönlichung und Isolierung des einzelnen auf der einen, geistige Proletarisierung und Vermassung auf der anderen Seite zogen gefährlich weite Kreise. Der Kampf jedes gegen jeden, aufgeputscht von Hunger und Verelencįjmg, wird — das ist ein offenes Geheimnis — selbst unter den Künstlern mit beklagenswerter Erbitterung ausgefochten. Entsetzliches Mißtrauen vermauert den Zugang zueinander. Diese Tatsachen arbeiten der so vordringlichen Ensemblebildung unablässig entgegen. Dazu tritt — und das mag wohl eine der unseligsten Erbschaften jüngerer Vergangenheit sein — der Hochmut und die Selbstüberschätzung, die zur fast völligen Ächtung der „kleinen Rolle” geführt haben, die Nachäffung sogenannter „Prominenz” und ihrer „Starallüren”. Alle diese Erscheinungen sind letztlich Symptome eines inneren Krankseins, einer gewaltigen innerlichen Unordnung, die Max Picard „Diskontinuität” nennt. In ihr dürfte auch die Scheu vor der Einsamkeit wurzeln, die ein so namhafter Freund des Theaters wie Herbert Ihering mit großer Besorgnis feststellte. So scheint es denn für die Zukunft des deutschen Theaters von entscheidender. Bedeutung, das geistige und seelische Fundament des Schauspielers, ja des Künstlers schlechthin, neu zu verankern. Von daher wird sich dann allmählich ein von gesundem Geist durchwehter gesunder Spielkörper entwickeln lassen.

Zugleich stellt sich die Aufgabe einer Aufbesserung des handwerklichen Rüstzeugs der Künstler immer drängender. Jene, die behaupten, am deutschen Theater werde nicht gut gespielt, sind durchaus nicht lauter Banausen. Besonders in den einstigen Kulturzentren, in den Hauptstädten der deutschen Theaterlandschaft, wird wahrhaftig nicht überragend gespielt. Anscheinend ist „der Kammerton” verlorengegangen, das Gespür für das Innige, Leise, Schwerelose, das Kaum- zu-Sagende. Das Gefühl scheint ertaubt. Die gedehnte Szene ist offensichtlich beliebter als die zügige. Manche schieben die Schuld dem unseligen Jahrzwölft in die Schuhe. Paul Fechter dagegen, einer der hervorragendsten deutschen Theaterkritiker, sieht die wirklichen Ursachen dieses Sachverhalts in der Wesenlosigkeit des modernen Menschen und so auch des Künstlers.’ Nach Fechter haben sie unter den Einwirkungen des Radios das Hören verlernt. Daneben sei ihnen durch die Ereignisse im Äußeren der Ansdiluß an den zeitbedingten und damit natürlichen Wesensausdruck des Jahrzehnts verlorengegangen. Hinzu treten die vielen persönlichen Gründe: der mangelnde Kontakt zwischen Schauspieler und Schauspieler, die unzulängliche Ausbildung, die spärlichen Vorbilder, die allzu schonungsvolle Selbstkritik, die Jagd nach Brot, die allgemeine Ungewißheit und Be- drohtheit. Das alles macht deutlich, welcher liebevollen Obsorge der Künstler eigentlich bedürfte. Aber davon ist im allgemeinen bitter wenig zu spüren, und es ist kaum anzunehmen, daß die deutschen Bühnen von ihrer Bedrängnis so bald befreit werden.

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