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Unter dem Zeltdach

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Nicht nur das technisch nicht zu bewältigende Problem der Menschenunterbringung selbst im weitläufigsten und kolossalischen Kirchenbau hat den Eucharistischen Kongreß gezwungen, sich vom Herrn „ins Weite führen“ zu lassen (Ps. 17, 22). Gesetzt auch den Fall, es gäbe ein steinernes Rund, fast eine Million Menschen aufzunehmen: es wäre nicht der rechte Ort für diese Statio Orbis, für diese Christenversammlung, zu der grundsätzlich nicht nur die gefriedete „Urbs“, sondern der weite Erdkreis nach allen Himmelsrichtungen hin geladen ist. Die Führer und Richter des Alten Bundesvolkes schufen als irdische Raststatt des lebendigen Gottes das heilige Zelt. Selbst David war es noch verwehrt, den Tempel zu bauen. Erst Salomen, der verkünden ließ, daß „der Herr im Gewölk wohne“ (3 Kön. 8, 12), ließ den zweimaliger Zerstörung ausgesetzten prunkvollen Tempel von Gold und Zedernholz errichten. Nicht dem „Herrn im Gewölk“ gilt die Huldigung der Hunderttausende, sondern dem Mensch Gewordenen und Leben Spen [enden, der jedem einzelnen des Nejaen Bundesvolkes näher ist als in der Zeit des Wartens.

Wir Österreicher haben der herzlichen Einladung nach München mit ebenso besonderer i Freude Folge geleistet. Wir wissen, daß wir uns nicht in einer mauerumgürteten Trutzburg, in einer Gottesfestung versammeln werden, sondern daß wir unseren Brüdern aus aller Welt, allen voran den uns sprach- und kulturverwandten Gastgebern, unter dem Zeltdach begegnen werden. Der Beitrag, den unser Land zum gemeinsamen Feiern leistet, soll unter diesem Aspekt verstanden werden. Weit wird sich das Zelt nach allen Seiten, besonders nach dem Osten hin, öffnen, wenn der Kardinal von Wien am „Tag des Lichtes“, dessen Liturgie der Osternachtfeier nachgebildet ist, seine Predigt über die, Verwandlung, das Neuwerden des Erdkreises in Christo halten wird. Das große Gemeinschaftsamt wird im slawisch-byzantinischen Ritus gefeiert. Gerade bei unseren ostkirchlichen Brüdern ist die sakramentale Predigt ganz eng mit der Kommunionspendung verbunden, sie witd vom Altarraum aus gehalten und zuweilen als eine Lebensweisung erst nach dem Eucharistieempfang gesprochen. Nicht von der Rostra des Volksredners, nicht von der bewehrten Kanzel des streitbaren Disputaten, nicht vom Lehrpult des dozierenden Aufklärers aus wird unser österreichischer Kardinal zu den Menschen sprechen, sondern von der Tisch- und Mahlgemeinschaft der Brüder her. Der Gedanke des Kongresses, zu dieser, die vor und — Gott gebe es — auch nach der historischen Spaltung liegende tiefe christliche Einheit von Ost und West symbolisierenden Gemeinschaftsfeier den Hirten von Wien als Prediger zu laden, den Bischof der Stadt mit der Reliquie des Heiligen Josafat, der Heimstätte ostkirchlicher Kommunitäten seit vielen hundert Jahren, war bestimmt mehr als eine bloße Formalität.

Vielfältig werden aber auch die anderen Begegnungen unter dem Zeltdach sein: Sie werden sich in alle Teile dieser lebensfreudigen Stadt mit ihrem im guten altkatholischen Sinn liberalen Klima fortsetzen. Österreichische Redner, Männer des öffentlichen Lebens, werden das Wort ergreifen bei der großen sozialen Begegnungsstunde der Klassen und Stände, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer im gemeinsamen Überdenken der Zusammenhänge zwischen heiligem und täglichem Brot vereint. Österreichische Worte werden auch am Kreuzesfreitag bei der Einweihung der Sühnekapelle von Dachau gesprochen werden. Worte, die frei sein werden von versteinertem Haß und unchristlichem „Frontgeist“. Österreichs Kanzler wird dem ?roßen Schlußgottesdienst, als Beter unter den Hunderttausenden beiwohnen, nicht als Staatsbesuch und Honoratiore alten, überholten Stils. Die Katholischen Familienverbände Deutschlands und Österreichs, die beide vor ähnlichen gesellschaftlichen Problemen und Sorgen stehen, werden eine gemeinsame Kundgebung abhalten, nicht um eine neue „Burg“ zu bauen, eine überholte gemeinsame Umfriedung und Grenzmauer rundum zu errichten, sondern um sich “endlich wieder einmal unbefangen im gemeinsamen Zelt, das weder „Großdeutschland“ noch „Ostmark des Abendlandes“ heißt, sondern das weit offene des einen und lebendigen Herrn ist, über gemeinsame Anliegen und Arbeitsvorhaben auszusprechen.

Überall dort wird man in diesen Tagen Österreicher finden, wo sich die Christenmenschen unter dem bergenden und versöhnenden Dach versammeln, aber auch dort, wo sie sich-willig hinausfuhren lassen „ins Weite“.uns,. feststeht, daß die Zeit auch dann bliebe, was sie ist: nämlich Endzeit. Denn verbürgt wäre immer nur das Heute, niemals das Morgen. Und selbst das Heute nicht, und noch nicht einmal das Gestern, weil mit dem stürzenden Morgen das scheinbar verbürgte Heute mitstürzen würde, und mit diesem auch das Gestern.

Fest aber steht trotz allem Nichtfeststehenden, daß die Gewinnung des Kampfes zwischen Endzeit und Zeitende d i e Aufgabe ist, die uns heute, und von nun an unseren Nachkommen in jedem noch kommenden Heute, gestellt ist; und daß wir keine Zeit haben, diese Aufgabe aufzuschieben; und daß auch sie dafür keine Zeit haben werden, weil, wie es in einem früheren, aber nun erst völlig wahr gewordenen Text heißt, „in der Endzeit die Zeiten schneller laufen als in früheren Zeitläuften, und die Jahreszeiten und die-fafirelnr Rennen gefateri“ (I¥ Srär4?l fc Fest also steht, daß wir schneller laufen müssen alstdie •^Aemcheä: früheren Zeidätrfte,'jti'Jtogtf schneller als diese Zeitläufte selbst; damit wir diese überholen und ihre Plätze im Morgen immer schon gesichert haben, ehe sie selbst diese Plätze noch erreicht haben.

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