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Unter Kopten in Axum

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An einem herrlichen Spätsommermorgen rollte unser Auto auf einer der zwei von A s m a r a (2350 m), der Hauptstadt Ery-threas, südwärts führenden breiten Asphaltstraßen über A d i U g r i zum Mareb hinab. Der Fluß bildete bis zur Eroberung Abessiniens durch Italien auf weite Strecken hin die Grenze. Nördlich Mai Lahla führt eine neue Betonbrücke auf abessinisches Gebiet, ins Tigre, dessen Hauptstadt A d u a nur mehr in 1900 m Seehöhe liegt. Die Straße, die nach dem Überschreiten der Grenze immer schlediter wird, steigt westwärts 16 km zum Hochplateau an. auf dem die ehemalige Königs- und Residenzstadt Axum (2130 m) liegt, vom ersten bis fünften nachchristlichen Jahrhundert die Hauptstadt des christlichen axumitischen Reiches, des damaligen Abessiniens, und die wichtigste Handelsstadt Ostafrikas.

Es ist der 30. November, der Tag des großen Marienfestes, zu dem viele tausend Pilger aus ganz Aethiopien und den angrenzenden Gebieten Ostafrikas im koptisdien Mekka, in Axum, zusammenströmen. Vorbei an den axumitischen Königsgräbern, die auf dem Wüstenplateau von ferne als Erdhügel erscheinen, erreichen wir eine Monolithengruppe; ihr höchster Stein, 24 Meter aufragend, der größte Monolith der Welt, erhob sich durch mehr als eineinhalb Jahrtausende in Axum zum Himmel, Bruder der Obelisken Ägyptens, ehe ihn Faschisten nach Rom verschleppten und vor dem Kolonialministerium wieder aufrichteten.

Heiß brennt die Tropensonne auf das Gewühl der Massen, die sich auf den Straßen und Plätzen des Tempelbezirkes um die Kathedrale drängen. An diesem Festtage gewinnt Axum seine alte Bedeutung wieder, die, seit der Primat der abessinischen koptischen Kirche unter Haile Selassi nach Addis-

Abeba verlegt wurde, stark verblaßt war. Nach der Unterwerfung Abessiniens unter die Herrsdiaft des Liktorenbündels war die Unterstellung des Primats, des Abuna, von Abessinien unter das ägyptisdie koptische Patriarchat in Alexandrien aufgehoben worden. Die koptische Kirche in Abessinien erlangte damit den Charakter einer auto-kephalen Landeskirche, die 1939 in freier Wahl ein neues Oberhaupt, den Abuna Joannes, bestellte. Eine andere einschneidende Änderung ergab sich für die koptische Kirche in Abessinien dadurch, daß Italien ihre privilegierte Stellung als herrschende Staatsreligion aufhob und alle Religionsbekenntnisse in Abessinien für gleichberechtigt erklärte. Dieser Akt zugunsten der anderen, bis dahin teilweise unterdrückten, jedenfalls aber nur eine untergeordnete Rolle spielenden Religionen, kam praktisch am meisten dem Islam zustatten. Die koptische Kirche wurde aber auch direkt getroffen. Ihre Besitzungen wurden zunächst mit Beschlag belegt, so daß ihre Priesterschaft in eine schwierige materielle Lage geriet.

Der koptische Klerus Abe;siniens, die Kasd..es, ist überaus zahlreich. Axum zählt bei einer Einwohnerzahl von rund 30.000 ungefähr 1600 Kasdiies. In Dörfern mit 500 bis 600 Einwohnern finden sich oft 30 bis 40. Die Kaschies sollen etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie zu erhalten, ist ein sdrwerwiegendes volkswirtschaftliches Problem geworden, zumal die koptische Kirche den Zehent beansprucht, also ohne Rücksicht auf den Nettoertrag ein Zehntel des Bruttoeinkommens des ganzen Volkes.

Bekanntlich wird die koptische Kirche in Abessinien zu den christlichen Bekenntnissen gezählt; ihre Besonderheiten sind indes so zahlreich und auffallend, daß wenigstens bei oberflächlicher Betrachtung nur geringe Berührungspunkte mit den abendländischen christlichen Kulten zu entdecken sind.

Schon das Äußere der Gotteshäuser weicht von den uns geläufigen Formen sehr erheblidi ab. Mit Ausnahme der Kirche in Asmara und der Kathedrale in Axum, die sich von außen als ein rechteckiger Steinbau mit stockhohen Fenstern darstellt, sowie der Kathedrale in Addis-Abeba, die im Stile eines Rundtempels gebaut ist, folgen die Gotteshäuser dem Muster der Eingeborenenhütten, der Tukuls, Rundbauten mit konischen Spitzdächern auf Holzpfeilern, mit einem äußeren Umgang, in dem die Reittiere während der Gottesdienste untergebradit werden können, und einem inneren Umgang für die Versammlung der Gläubigen. Das Innerste des Gotteshauses, den Kultraum, dürfen nur die Kaschies betreten. In Axum finden die den Gläubigen zugänglichen Kulthandlungen ausschließlich im Freien auf der riesigen Terrasse vor der Kathedrale mit dem Sdiatzhause und den Kaschiehäusern und auf den tiefer liegenden akazienbeschatteten Rasenflächen des Tempelbezirkes statt. In das Innere der Kathedrale, das nur sehr wenige europäische Forscher betreten haben, gelangt man durch eine gegen den Hauptraum mit einer Mauer abgeschlossene Säulenvorhalle von geringer Tiefe. Hier stehen Reihe an Reihe die großen paukenähnbehen Gebetstrommeln, darunter die berühmte silberne, ein Ge schenk des Ras Mikael, eines ehemaligen abessinischen Thronprätendenten. Den eigentlichen Kultraum betritt man durdi eine verhältnismäßig kleine Türe, die erkennen läßt, daß der Zutritt nur einer sehr beschränkten Anzahl von Personen vorbehalten ist. Im Kirchenschiff, einem riesigen, hohen, rechteckigen, in keiner Weise gegliederten Saal mit fladier Decke, vermißt man sdion auf den ersten Blick christliche und kirchliche Symbole — es gibt keinen Altar, kein Kruzifix, keine Kanzel, kein Taufbecken, keine Kirchenstühle. Leer der Raum, kahl die Wände, bis auf wenige primitive Malereien heimischer Künstler. Dem Eingang gegenüber schließt den F-aum ein bis zur Decke reichender riesiger roter Samtvorhang ab. Zur linken Hand wird ein Bild Johannes des Täufers sichtbar, zur rechten eines der Gottesmutter mit dem Jesuskind — beide als Schwarze dargestellt. Mehrere prächtige orientalische Teppiche und Brücken von größtem Wert decken den Boden: das ist alles, was sich dem Blick des verwunderten Besuchers bietet.

Der rote Vorhang birgt das große Geheimnis, das bis heute noch nicht entschleiert wurde. Dieses Allerheiligste, die Cella, darf nur der Abuna mit zwei bis drei von ihm erwählten Gehilfen betreten, und nur diese •wenigen, durch furchtbare Eide zum Schweigen verbundenen Männer wissen, was selbst der Negus Negesti, der ..König der Könige“, nicht erfahren darf. Nach Mitteilungen eines Forschers, der aber nicht aus eigener Wahrnehmung berichten kann, soll in diesem Allerheiligsten die Bundeslade mit den zwei steinernen Gesetzestafeln Mosis verwahrt werden.

Am Nachmittag spielt sich die eigentliche Farbendurchflutete Feier des Marienfestes ab, • ngeleitet durch eine Prozession der kirchlichen Würdenträger und ihres Gefolges. In herrlichen roten Samtge rändern, überreich mit Gold bestickt, mit Hermelin verbrämt, breiten sie in feierlichem Zuge einher. Über den dunklen Gsichtern funkelt im Sonnen-^hst uralte goldene Kronen mit kostbaren Steinen besetzt, Kronen deren Herkunft den einstigen christlichen Königen von Axum zugeschrieben werden. Die landesüblichen Zeichen ihrer Würde, Sonnen--chirme von riesigen Ausmaßen aus -chweren Stoffen und verschwenderisch mit wold bestickt, schützen die Häupter. Zwischen den Gruppen der Kirchenfürsten werden schwere goldene Kreuze getragen, in der charakteristischen Form der vielfach durchbrochenen koptischen Kruzifixe. Mitten ;m Zuge schreitet ein Oberkaschie mit einem aufgeschlagenen uralten Evangeliar, Jossen Pergamente mit künstlerischen Miniaturen geschmückt sind. Es ist in der längst msgestorbenen Kirchensprache, in Gheez, verfaßt. Außer den Typen der Teilnehmer, von denen viele rein afrikanische Physiognomien zeigen, fällt dem Europäer an diesem prunkvollen Aufzug besonders auf, laß die höchsten Würdenträger barfuß l.iherschreiten. Es ist schwer, sich einen größeren Kontrast zur Pracht der Festgewänder vorzustellen.

Seltsame Musik begleitet den Zug. Da spielen die einen auf einem primitiven Saiteninstrument, das mit einer einzigen Saite bespannt ist, neben ihnen schreiten Flötenbläser mit meterlangen, an Schofare erinnernde Holzflöten, und Pauken&chläger, die die liturgischen Gebetstrommeln bedienen.

Der farbenleuchtende Zug drängt sich durch das wogende Gewühl der zehntausend Pilger. Etliche hunderte Leprakranke bewegen sich bettelnd vollkommen ungehindert unter den Andächtigen, ja ein gräßlich verstümmelter Kranker reitet auf einem Esel mitten im Gewühle. Andere wieder sitzen an den Rändern der Feststraße und stellen ihre furchtbar zerfressenen Gesichter und Leiber, ihre von schwärenden Wunden bedeckten Gliedmaßen zur Schau.

Den Höhepunkt des Festes bildet ein von Kaschies ausgeführter Tanz vor den höchsten Würdenträgern. In zwei Reihen führen sie in ihren langen weißen, hemdartigen Futahs eine Art von Gegentanz auf. Unter feierlichen, altertümlichen liturgischen Gesängen, begleitet von Flöten und Mono-kordklängen, bewegen sich die Reihen vor und zurück, in den Händen die langen weißen Stäbe, die Zeichen ihrer Würde. Man kann sich dem starken Eindruck der eigenartigen Zeremonie nicht entziehen.

Unverkennbar mischen sich in der koptischen Liturgie Abessiniens, des wieder befreiten Reiches des „Löwen von Juda“, mit den ursprünglichen christlichen Elementen semitische und typische afrikanische Einflüsse und verschmelzen sosehr zu einer Einheit, daß es heute nicht leicht fällt, noch ihre christlichen Züge zu erkennen.

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