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Unterirdischer Schulkampf in Ungarn

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Die Wogen der Kirchenverfolgung in Ungarn, künstlich hoehgepeitscht vor den Verhandlungen mit den Bischöfen, um diesen die Allgewalt des Staates sinnfällig vor Augen zu führen, sind abgeebbt. Unter der Oberfläche aber geht der Kampf gegen die Kirche, im besonderen gegen den katholischen Schulunterricht, weiter.

Vergeblich hatte man, von einem Trommelfeuer der Presse unterstützt, das Volk vom Episkopat und den niederen Klerus vom Vatikan zu trennen versucht. Der Episkopat hatte es abgelehnt, den Treueid auf die Regierung zu leisten, der als Voraussetzung für die Aufnahme weiterer Verhandlungen dargestellt wurde. Offen wurde die Verhaftung einiger als „faschistische Verräter“ bezeichneten

Oberhirten verlangt. — Vor allem nannte man da: den Bischof von Vicz, Josef Peteri, den Bischof von Szombathely, Kovics, den Bischof von Csanid, Ham-vas, und den Bischof von Stuhlweißenburg, Shvoy. Sie waren bereits alle in ihren Residenzen interniert und nur ihre nächsten Vertrauten durften sie besuchen. Doch die Bischöfe beharrten dabei, den Eid „unter den gegebenen Umständen“ nicht leisten zu können. Darunter verstanden sie: die Verurteilung des Fürstprimas, die Ermordung und fortdauernde Verschleppung zahlreicher Seelsorger, die Verstaatlichung aller kirchlichen

Schulen und, nicht zuletzt, die systematischen Behinderungen des Religionsunterrichts.

In diesen Tagen der Spannung trat in Ungarn das katholische Volk in imposanter Größe in Aktion. In unübersehbaren Scharen knieten die Gläubigen in den Kirchen, erfüllten oft ganze Straßenzüge vor den Gotteshäusern. Selbst Kommunisten warnten die Regierung vor weiteren Gewaltmaßnahmen. Die Regierung lenkte ein. Es kam zum Abkommen vom 30. August 1950, in dem sich der Staat unter anderem verpflichtete, volle Religionsfreiheit und vollkommene Betätigungsfreiheit für die Kirche zu gewähren.

Als das Abkommen abgeschlossen war, verstummten die „amtlichen“ Angriffe. Auch die Aktionen gegen die Ordenst-geistlichen wurden eingestellt und in den Dörfern schwiegen die Parteifunktionäre. Nur die Residenzen der Bischöfe wurden weiter von der Exekutive „geschützt“.

Dann kam im Frühherbst 1950 der Schulbeginn. In der 38. Nummer des katholischen Organs: „Uj Ember“ erschien eine Verordnung des Kultusministeriums, von Joboru Magda, die eine Atheistin ist, unterzeichnet, die wir in ihren wesentlichen Absätzen wiedergeben:

... Religionsunterricht kann durch „selbständige“ und „Gelegenheits“- („stivndeii-lohnemplangende“) Religionslehier erteilt werden.

Der selbständige Religionslehrer darf außer dem Religionsunterricht keiner anderen Beschäftigung nachgehen. Die Eltern, die den Religionsunterricht ihrer Kinder wünschen, müssen diesen Wunsch anmelden, das gemeinsam Gesudi wird durch den Komitatsrat (Megyei tancs) bis aum 15. September in das Ministerium für Religion und Unterricht w e 1 I e r g e-leitet. (Die Nummer des „Uj Ember“ erschien aber erst am 24. September!) In jenen Orten, in denen kein selbständiger Religionslehrer ist, gibt ein Gelegenheitslehrer (öradijas) Religionsstunden. Alle Religionslehrer werden auf Grund kirchlichen Vorschlags vom Rat der Komitatsexekutive ernannt. Religionsunterricht kann nur- durch solche Personen erteilt werden, weiche die nötige Fachbildung besitzen. Wo diesbezüglich ein Zweifel entsteht, entscheidet das Ministenum für Unterricht. Wenn sich der Religionslehrer gegen den Staat, das volksdemokratische System äußert oder fjeäußert hat oder gegen dieses handelt, - wird ihm sofort die Lizenz für seine weitere Betätigung entzogen.

Der Religionslehrer hat sich an den Lehrplan des Ministeriums zu halten und hat genaue Rechenschaft über seine Unterrichtsmethode und seinen Stundenplan zu geben. Er darf nur in der Zeit des Religionsunterrichts mit den Schülern sprechen und sich nur in dieser Zeit, im Schulgebäiide aufhalten. Religionsstunden dürfen nur nach der letzten Unterrichtsstunde abgehalten werden, auch wenn diese etwa um M2 Uhr endet. Aus

Religion bekommen die Schüler weder Noten noch Zeugnis. Wenn sich die Schüler während der Religionsstunde schlecht benehmen oder dieser fernbleiben, darf sie der Religionslehrer nicht bestrafen. Der Religionsiehrer untersteht der Kontrolle des Elternkomitees und der Gewerkschaft der Pädagogen.

Diese Anweisungen des Amtsblattes geben ein Bild, in welch unfreundlicher Atmosphäre der Religionsunterricht in Ungarn sich jetzt vollzieht. Tatsächlich ist die Teilnahme am Religionsunterricht gleichbedeutend mit dem Verlust aller Vorteile, die dem Schüler die Schule in der Freizeit zu bieten pflegt. Die Eltern solcher Schüler gelten als regimefeindlich, ihre Namen kommen auf die „schwarze Liste“. Die Schüler selbst verlieren den Anspruch, späterhin eine höhere Schule, eine Militärakademie und selbst nur Schnellkurse zu besuchen.

Zwischen den Zeilen der zitierten amtlichen Verordnung steht eine Station des Leidensweges eines alten abendländischen Kulturvolkes geschrieben, dessen heutige Verfolger jetzt nicht ihre Pläne, nur ihre Taktik geändert haben.

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