6588410-1952_10_03.jpg
Digital In Arbeit

Unterricht — heute

Werbung
Werbung
Werbung

Was für jedes Unternehmen gilt, daß es nämlich ohne die richtigen Arbeitsmittel nicht ordentlich durdigeführt werden kann: dies gilt auch für das Lehren und Lernen. Diese Tatsache, die als zu selbstverständlich von Technikern und Medizinern gar nicht betont werden dürfte, wird bezeichnenderweise weder in der Theorie noch in der Praxis des Unterrichts richtig gewürdigt. So kämpft man wohl für neue Unterrichtsverfahren, versäumt jedoch, die Lehrmittel zu erfinden und zu erzeugen, die da sein müßten, wenn die neuen Methoden mit Erfolg angewendet werden sollen. Ohne die geeigneten Lehrmittel steht der Lehrer vor unlösbaren Aufgaben. Wie würde man lachen, wenn jemand beauftragt werden würde, Schüler im Geigenspiel zu unterweisen, ohne daß diesen eine Geige in die Hand gegeben wird! So befremdend es klingen mag: in der Schule gäbe es häufig Grund zu solchem Lachen. Daher kommt es, daß ein Unterrichtsver fahren mißlingt, aber nicht, weil dieses an sich ungeeignet wäre, sondern weil es mit untauglichen Mitteln versucht wurde.

Die Entwicklung der Lehrmittel würde den Stoff für ein interessantes Kapitel der Schulgeschichte bieten, und ein geistreicher Schriftsteller könnte vom Lehrmittel her fesselnde Ausblicke in viele Gtebiete der Kulturgeschichte erschließen. Wie lange dauerte die Alleinherrschaft des Buches! Dann kam das Bild und die Zeichnung, später die Schausammlung, und als die Naturwissenschaften in die Bildungsstätten Eingang fanden, entstanden die Laboratorien mit den hunderterlei Geräten, und jetzt verlangen auch die Lehrer der Kulturfächer Schallplatten, den Film und Rundfunk als unentbehrliche Hilfe für ihre Unterrichtsarbeit. Der La- teimįnterricht kommt zur Not mit Texten und Bildern aus. Der Unterricht in den Naturwissenschaften kann, wenn die Not drängt, auf Bücher verzichten, niemals aber auf Mikroskope, Retorten, Schalttafeln usw. Und der Geschichtslehrer, der seine Schüler zum selbständigen Denken erziehen will, also sich nicht mit der Verbreitung des Wissens zufrieden gibt, der wäre verloren, wenn ihm nur das übliche Lehrbuch zur 'Verfügung stünde. Er braucht eine Menge von Hand- und Quellenbüchern, Karten, Statistiken, Bildern, Musiknoten, Münzen usw. Alle diese neuen Dinge sind nicht bloße Zutaten, die den Unterricht von außen berühren. Sie erwachsen aus einer gewandelten Bildungsgesinnung und werden zu Aus- drucksformen dieser Gesinnung und somit des Zeitgeistes, der ohne sie der jungen Generation nicht denkbar sein würde.

Die neuen Lehrmittel erweisen sich darin als Gebilde des technischen Zeitalters, daß ihre Herstellung sozusagen in der Werkstatt des Pädagogen nicht mehr erfolgen kann. Während das Buch da ist, wenn sein Verfasser einen Verleger fin det, sind an dem neuen Lehrmittel neben dem Lehrer, der dessen unterrichtlichen Zweck erkannte, Erfinder und Techniker beteiligt, die den Gedanken des Lehrers verwirklichen.

Das größte Interesse nimmt die breite Öffentlichkeit an den Lehrbüchern. Dies ist begreiflich. Denn das Buch stellt oft, leider und weniger begreiflich, das einzige Band zwischen Eltern und Lehrer her. Die Seiten im Lehrbuch, die das Kind während des Schuljahres hinter sich bringt, geben zu Hause Kunde von der Arbeit, die die Schule verrichtet. Gelegentlich erfahren die Lehrbücher scharle Kritik, die auch in der Zeitung erscheint. Hiezu darf wohl ganz ehrlich gesagt werden, daß sich die Schulbehörde wie Verfasser und Verleger über die kritische Anteilnahme freuen. Denn die Genannten erlebten es, daß es keine Kritik gab, einfach deswegen, weil überhaupt keine Lehrbücher vorhanden waren.

Sie erinnern sich der Jahre, in ebenen unter härtesten Entbehrungen die Manuskripte geschrieben werden mußten. Waren diese fertig, dann fehlte das Papier. War dieses, man muß sagen, erkämpft, so war kein Licht, kein Blei da oder Druckereimaschinen waren zu Schaden gekommen und es bedurfte vieler Mühen, um Ersatzteile zu beschaffen. Dies muß erwähnt werden, um die Freude zu rechtfertigen, daß wieder kritisiert werden kann, weil die Gegenstände der Kritik geschaffen werden konnten. Die allgemein bildenden Schulen sind fast zur Gänze mit den notwendigen Lehrbüchern versorgt worden, und es wird nicht mehr allzulange dauern, so werden auch die noch fehlenden Bücher zur Stelle sein. Warum gerade diese bisher noch nicht erschienen, bedürfte eines eigenen längeren Artikels. Es geht nur um Schulbücher, von hoch und niedrig kaum beachtet, und doch würde uns der Artikel, der erklären soll, warum gerade dieses oder jenes Buch nicht veröffentlicht wurde, hineinführen in das schwere innen- und außenpolitische Ringen des österreichischen Volkes, und weil hinter diesem Ringen letzte Seinsfragen stehen, würden wir dabei auf die tiefsten Schichten eines schwer verwundeten Geschichtsbewußtseins stoßen. Nichts kommt von ungefähr, und auch Lehrbücher haben ihre Schicksale.

Wenn darauf hingewiesen wird, daß bisher vier Millionen Lehrbücher, Hilfsbücher, Lesestoffe, Atlanten herausgebracht wurden, dann dürfen wohl alle, die zu dem Erfolg beigetragen haben, den Anspruch auf Anerkennung des Geleisteten erheben und den Vorwurf, den mancher erhebt, der bei jener Arbeit nicht dabei war, daß es keine Lehrbücher gäbe, als zumindestens etwas übertrieben zurück- weisen.

Man hört: Die neuen Lehrbücher sind nicht so gut wie die alten. Dazu sei vorerst vorgebracht, daß das Verfassen von Lehrbüchern zu den schwierigsten Aufgaben gehört. Dies gilt für die Lehrbücher der Volksschule ebenso wie der Hochschule. Einer, der eine solche Arbeit auf sich nimmt, muß nicht nur ein hervorragender Kenner auf seinem Fachgebiete sein, er muß außerdem in der Lehrkunst es zum Meister gebracht haben, und er muß schließlich die Fähigkeit besitzen, Inhalt und Form des Unterrichtsverfahrens in vollendeter Sprache wiederzu- gebep... Wie selten kann sich jemand jener drei Gaben im gleichen Maße rühmen. Daher kömmt es, daß die wirklich guten Lehrbücher der letzten dreißig Jahre an den Fingern abzuzählen sind und wenige vollkommene Bücher immer wieder aufgelegt werden, weil keiner es sich zutraut, . sie zu verbessern. Was nun die neuen Lehrbücher anbelangt, so sind, dies liegt in der Natur der Sache, nur einige aus- geireichriefe Werke darunter, aber der Großteil der übrigen ist,nicht .schlechter als die von den Kritikern gelobten alten. Was tadelt man denn? Kaum erklärt einer, die Bücher seien zu umfangreich, so steiht ein anderer auf und findet zu wenig in ihnen für-- seinen Unterricht. Dieser will nur ein Lehrbuch für das ganze Bundesgebiet, damit sie billiger gemacht werden können, , jener erhofft sich niedrigere Preise, wenn mehrere Bücher zum Wettbewerb zugelassen werden. Dem einen paßt das Buch nicht, weil es einen Lehrgang einschlägt, der ihm nicht gefällt, der andere lehnt dasselbe Buch ab, weil es den Lehrgang zu wenig deutlich sichtbar werden läßt. Jedem ablehnenden Urteil könnte man ein zustimmendes entgegenstellen. Wie könnte es anders -sein? Ein Budi ist, für Hunderte von Lehrern bestimmt, und driese unterscheiden sich an Wissen, Geschmack, Lehrgeschick, Berufsauffassung eben auch hundertfach. Nur in ganz seltenen Fällen wird über ein Buch ein einhelliges Urteil gesprochen.

Behörden und Verleger nehmen die Kritiker sehr ernst. Was kann aber geschehen, um bessere Lehrbücher zu schaffen? Es gibt, dies lehrt die Erfahrung, eigentlich nur ein wirksames Mittel: es müssen neue Leute gefunden werden, die sich an die' mühsame und meistens un- bedankte Arbeit wagen. Sowohl die Behörden wie die Verleger suchen seit Jahren solche Wagemutige. Sie tun dies ein- fach aus Gründen der Selbsterhaltung. Denn gelingt es nicht, v neue. Autoren zu gewinnen, dann wäre der Fortschritt im Unterricht gefährdet und damit auch die Lage des Verlegers. Bei dem Bemühen um neue Autoren steht, man einer Erscheinung gegenüber, die man auf vielen anderen Gebieten des kulturellen Lebens mit Schaudern beobachten muß. Die alte Generation muß eine,Bürde tragen, die leichter und besser Jüngeren übergeben werden sollte. Diese Jüngeren aber sind nicht da, aus Gründen, die so bekannt sind, daß sie hier nicht erörtert werden brauchen. Der Mangel an Pädagogen zwischen dreißig und fünfzig Jahren, die Lehrbücher schreiben wollen und können, stellt eines der bedrohlichsten Probleme des Unterrichtes daT, eine Tatsache, die wahrscheinlich viel zu wenig bedacht wird.

Der traurige Mangel darf bestimmt nicht allein aus dem Unvermögen, Lehrbücher zu verfassen, abgeleitet werden. Er hängt zutiefst mit dem Elend des geistig Schaffenden zusammen. Es wären schöpferische Pädagogen da, aber es ist bitter, dies sagen zu müssen, gerade die Tüchtigen können sich einfach den „Luxus“, ein Buch zu schreiben, deswegen nicht leisten, weil sie die Zeit, die ihnen ihre Schule freigibt, aasnützen müssen, um zusätzliche Mittel zum Unterhalt ihrer Familien herbeizuschaffen. Die Abfassung eines Lehrbuches nimmt Jahre in Anspruch. Vielleicht würde einer das Opfer auf sich nehmen,1 wenn am Ende ein klingender Gewinn die Opfer lohnte oder wenn, wie es in früheren Zeiten der Brauch war, das Lehrbuch als eine Leistung anerkannt werden würde, drie dem Verfasser einen gehobenen Posten sichert. Keines von beiden trifft zu. Das Autorenhonorar steht in keinem Verhältnis zur Plage, und der gehobene Posten ... jedermann kennt das garstige Lied. Wenn man schon den Idealisten nicht belohnt, so dürfte man ihn nicht dem Gelächter derjenigen aussetzen, die auf billigere Art ans Ziel gelangen.

Noch ein Umstand, der in der österreichischen Kulturpolitik wurzelt, hemmt die Unternehmungslust der Verfasser und Verleger. Lehrbücher müssen im Hinblick auf die vorgeschriebenen Lehrpläne ge staltet werden. Diese aber stehen nicht fest, weil wir bis heute unser Schulwesen gesetzlich nicht geregelt haben, und so muß der’ Autor fürchten, daß sein Buch, wenn er es endlich fertiggestellt hat, nicht mehr verwendet werden kann, falls inzwischen Schulgesetze beschlossen wurden, die veränderte Lehrpläne bedingen, Die ' Unsicherheit im Schulwesen — seit dem Ende des ersten Weltkrieges wurden viermal die Lehrpläne umgemodelt -— trägt viel dazu bei, daß unsere Lehrbücher nicht so beschaffen sind, wie alle gern wünschten. Das Gute reift langsam. Die Arbeit an den Lehrbüchern mußte in dem vergangenen Vierteljahrhundert notgedrungen in Hast getan werden.

Die Lehrbücher sind zu teuer: so lautet ein weiterer Vorwurf. Auch dieser ist nur zur Hälfte begründet. Denn die Preise auf dem Schulbüchermarkt sind beiweitem nicht so hoch gestiegen wie die anderen Waren. Sagen wir lieber statt: Die Schulbücher sind zu teuer, die Einkommen deT Eltern sind zu niedrig. Das kommt anscheinend auf dasselbe hinaus, eröffnet aber doch eine bessere Schau auf die gesellschaftliche Seite des pädagogischen Problems und unterstützt vor allem stärker die Forderung der Lehrer, daß das Menschenmögliche getan werde, um die Jugend mit den Lehrmitteln auszustatten, damit sie imstande sei, das kulturelle Erbe der Eltern zu übernehmen, oder schlichter aus- gedrüdct, um ordentlich lernen zu können. Eine Frage der Kulturpolitik mündet hier in die Familienpolitik.

Es wird durchaus nicht vom Thema abgewichen, wenn in einem Artikel über Schulbücher mehrmals von Politik und anderen Dingen gesprochen wurde, die,

wie es scheinen mag, nur entfernt mit unserer Frage Zusammenhängen. Es geschah mit Absicht. Denn gerade diese Seiten sind wenig bekannt und sie bestimmen doch den Wert der Arbeit ganz wesentlich. Das Unterrichtswerk ist, selbst wenn nur ein einziger verantwortlich zeichnet, das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit, an der sich viele Personen und Kräfte be-1 teiligen, die ungenannt bleiben und doch letzten Endes die Güte des Werkes bestimmen. Wenn die Wissenschaft einen Gegenstand nicht in vollkommener Klarheit herausarbeitet, dann müht sich der Lehrer vergebens, ihn dem geistigen Auge vorzustellen. Wenn die Öffentlichkeit die Bedeutung der guten Lehrmittel nicht in gebührender Weise schätzt, dann fällt der Anreiz weg, sie zu erzeugen. Wenn die Politik sich nicht darum kümmert, daß die Tüchtigen sich dem Verfassen, von Lehrbüchern widmen können, dann weiden die leeren Stellen die weniger Geeigneten einnehmen. Es sollte gezeigt werden, daß auch das Schulbuch als Teil der gesamten Kulturarbeit verstanden weiden muß, wenn man es richtig beurteilen will. Auch das Schulbuch steigt und fällt an Wert im Wellengang des großen kulturellen Lebens.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung