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Untersuchung einer Verstaatlichung

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Die Kohle ist sosehr d i e Sorge Europas geworden, daß selbst der Kampf um Lebensmittel zuweilen dahinter zurücktritt. Wie sehr die Kohle kritisch Objekt großer Politik sein kann, offenbaren die außerordentlich schwierigen Verhandlungen über die Ruhr, die sogar auf die glücklich begonnenen Arbeiten der Sechzehn und auf die Beziehungen zwischen den Westmächten Schatten werfen. Der Wiederaufbau in Europa steht und fällt mit der Kohrenversorgung. Nun ist die Kohlenförderung im Ruhrgebiet zurückgegangen und die schlesi-schen Gruben liegen im Einflußbereich der UdSSR. Der Plan Monnet für die wirtschaftliche Erneuerung Frankreichs fordert eine Steigerung der französischen Kohlenproduktion von 46 Millionen Tonnen im Jahre 1938 auf 75 Millionen Tonnen im Jahre 1955 — eine Steigerung, die nur denkbar ist, wenn die unzulänglichen oder veraltet gewordenen technischen Einrichtungen erneuert und ergänzt werden, wofür zu Lasten des Staates 120 Milliarden Francs vorgesehen sind. Die französische Volksvertretung war der Meinung, deren Richtigkeit allerdings bestritten wird, daß private Eigentümer ein solches Programm niemals hätten finanzieren können, und schritt daher zur Nationalisierung der Kohlengruben.

Belgien, dessen Produktionsdefizit viel geringer war als das französische (im Jahre 1937 bloß vier Millionen Tonnen gegen 31 Millionen in Frankreich), sieht sich doch auch genötigt, seine Kohlenförderung zu steigern, da auch in Belgien der Wiederaufbau ungeheure Forderungen stellt und die Abhängigkeit vom Ausland Uns: her-heiten in die finanzielle und in die Zeitrechnung bringt.

Belgien hat nun heuer *ne eigene Senatsdelegation nach Frankreich entsandt, um dort die bisher mit der Verstaatlichung gemachten Erfahrungen zu stu'dieren. In ihr waren alle drei Parteien vertreten. Angesichts der Tatsache, daß die Verstaatlichung förmlich eine allgemeine Forderung unserer Zeit geworden ist, haben die S t u-d i e n e r g e b n i s s e der belgischen Kommission — der umfängliche Kommissionsbericht ist in dem Brüsseler „Echo de la Bourse“ wörtlich abgedruckt — große Bedeutung für die ganze europäische Welt.

Das christlichsoziale und das sozialdemokratische Kommissionsmitglied ließen sich bei ihren Studien ausschließlich von dem Gedanken leiten: Wie kommen wir im Interesse des gesamten wirtschaftlichen Lebens unseres Landes zu den günstigsten Gestehungskosten, ohne in der ArS?it der Bergleute die Gesetze des sozialen Handelns und der Menschlichkeit zu verletzen?

Als Vorteile der Nationalisierung in Frankreich wurden die planmäßige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kohlengruben, die leichtere Aufbringung und Verteilung der Arbeitskräfte, die Konzentrierung der technischen Studien, die Vereinheitlichung der Löhne, die Zentralisierung der Einkäufe, Planmäßigkeit der sozialen Einrichtungen (so auch der Bau von Arbeiterhäusern und ganzen Arbeiterstädten) und nicht zuletzt das Aufhören der Arbeitskonflikte und Streiks erkannt. Diese aus der Zeit vom 14. bis 20. April 1947 geschöpfte Feststellung ist allerdings durch die Tatsache der Bergarbeiterstreiks in den verstaatlichten französischen Kohlengruben umgestoßen worden.

Im Gegensatz zu diesen Vorteilen macht der Kommissionsbericht — ein von dem christlichsozialen und dem sozialdemokratischen Mitglied der Kommission vertretenes Mehrheitsvotum — sehr erhebliche Nachteile geltend. Hauptsächlich stellt der Bericht die mit der Großverstaatlichung verbundenen Gefahren der Bürokrat i-sierung heraus. Es habe sich gezeigt, daß die Förderung in einem bestimmten Bergbausektor sofort sinkt, sobald ein zentralisierter Organismus die Lenkung übernehmen will. Es liege im Wesen des Bergbaus, daß er die Einschaltung nicht fachkundiger bürokratischer Instanzen in die Betriebsführung, wie sie die Verstaatlichung mit sich bringt, nicht vertrage. Besonders beanständet der Bericht die in einem verstaatlichten Betriebe sich vollziehende Veränderung des Verhältnisses zwischen Grubenarbeiterschaft und Arbeitgeber. In einem verstaatlichten Betrieb hat der Staat gegenüber der Arbeiterschaft eine ganz andere Stellung als der private Unternehmer. Er sei nicht nur Partei wie dieser, sondern gegenüber dem Arbeiter auch die Zivil gewalt und der Richter. Zudem sei es bei der heutigen Gestaltung der Demokratie nicht anders möglich, daß mit der Verstaatlichung eine Verpolitisierung der Verwaltung eintritt, die Grubenleitung parteipolitisch aufgespalten und die Führung des Betriebes jeweils nach politischen Motiven abgestimmt wird.

Abschließend urteilt der Bericht: Jeder Schritt auf dem Wege zur Verstaatlichung stelle eine Einbuße an Persönlichkeit, an Korpsgeist der Belegschaft, an Arbeitsfreude und gesunder fachlicher Führung dar. Der Sinn für Verantwortlichkeit gehe verloren, die menschliche Persönlichkeit, die sich der Staat unterworfen hat, gehe dabei zugrunde.

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