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Vater nur am Ultimo

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DAS „TEMPELHÜPFEN“ IST GEFÄHRLICH GEWORDEN. Gemeint ist damit nicht das bekannte Kinderspiel, sondern die Kinder sind hier vielmehr die Leidtragenden: die unehelichen Kinder, deren Väter partout nicht zahlen. Als „Tempelhüpfer“ bezeichnet nämlieh ein salopper Amtsausdruck des Wiener Jugendamtes jene Männer, deren Vaterschaft zwar gerichtlich festgestellt worden ist, die aber von Alimenten nichts wissen wollen; und die, wenn ihnen schließlich der Lohn gepfändet wird, schnell den Arbeitsplatz wechseln — Arbeit gibt es ja in der Hochkonjunktur genug.

Dann muß man sie suchen, die Herren Väter, sie lachen sich inmitten des Todernstes der Sache ins Fäustchen: Der Lohn wird wöchentlich ausgezahlt, der Mann hat schon zweimal, dreimal Lohnzahlungen kassiert, bis er endlich wieder aufgespürt wird.

Mutter und Kinder zählen inzwischen die Groschen ...

Derlei also nennt man „Tempelhüpfer“ — von einem Arbeitsplatz zum anderen, vom Bau zum Kohlenschippen, vom Wagenwaschen zum Fensterputzen, immer auf der Flucht vor dem Pfändungsbefehl, vor dem Gerichtsvollzieher, vor dem eigenen Kind und dessen Mutter ...

Dieses Versteckenspiel war früher beinahe gefahrlos. Der Rabenvater konnte monate- und jahrelang davonkommen. Wenn man ihn endlich ergriff, war es zwar theoretisch möglich, ihn zu bestrafen, aber das „Tempelhüpfen“, die vorsätzliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht, galt gesetzlich bloß als Übertretung und wurde zumeist nur bedingt bestraft.

ES MUSSTE ETWAS GESCHEHEN. Erst wollte man ein Gesetz erlassen, das die zahlungsunwilligen Väter sogar zu Arbeitshaus verurteilt hätte. Arbeitshaushäftlinge aber verdienen zuwenig Geld, um Alimente zahlen zu können — die Strafe hätte also bloß wieder die Mütter und Kinder getroffen.

Deshalb entschloß man sich zu einem Kompromiß: kein Arbeitshaus, aber strenge Strafen — und vor allem unbedingte Strafen. So wurde ein neues Unterhaltsschutzgesetz beschlossen, das „Tempelhüpfen“ zu einem Vergehen macht und die nicht zahlenden Väter mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bedroht. Seither geht es strenger zu. Immer mehr Väter werden vom Jugendamt angezeigt.

Hunderte von unehelichen Vätern, die bisher nie gezahlt haben, werden sich das jetzt ganz sicher überlegen.

Glücklicherweise sind diese störrischen Väter eine verschwindende Zahl: In Wien gibt es zur Zeit 27.000 uneheliche Kinder — und die meisten Väter zahlen anstandslos, obzwar manchmal murrend.

Sie zahlen (das ist die Faustregel für das Pflegschaftsgericht) etwa 15 Prozent ihres monatlichen Nettoeinkommens — 15 Prozent für jedes einzelne Kind, wohlgemerkt! Bei zwei unehelichen Kindern macht das 30 Prozent, bei drei Kindern macht das 45 Prozent, bei vier Kindern . . .

Theoretisch könnte das bis ins Aschgraue gehen. Die obere Grenze dessen, was herausgeholt werden kann, ist das gesetzliche Existenzminimum. Es darf niemandem weggepfändet werden, nicht einmal einem sechsfachen unehelichen Vater.

Dieses Existenzminimum beträgt gegenwärtig 750 Schilling monatlich — zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenig. Wird einmal die Grenze erreicht, dann ist Hopfen und Malz verloren, dann kann auch das schärfste Unterhaltsgesetz den Vater nicht vom „Tempelhüüfen“ abhalten; dann geht es ihm vielleicht wirklich im Gefängnis besser als in seiner existenzminimalen Freiheit. In solchen Fällen bleiben Mutter und Kind bedauerlicherweise auf dem Trockenen sitzen und die Fürsorge muß einspringen.

WENN DER VATER ABER GROSSVERDIENER IST - steinreicher Industrieller, ein geld scheffelnder Großhändler, Bankdirektor?

Solche Männer schneiden wie auch sonst, so auch als uneheliche Väter am besten ab. Selbst falls ein unverheirateter (oder anderwärtig ehelicher) Vater monatlich 50.000 oder 100.000 Schilling rein verdient, muß er doch zumeist höchstens 1200 bis 1500 Schilling Alimente pro Kind zahlen. In den höheren Einkommenssphären wird die „Perzentregel“, die für das „gemeine Volk“ gilt, nur noch in seltenen Sonderfällen angewendet.

Daran ist der Alimentationspara-graph des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches schuld, der leider nur ziemlich unverbindlich vorschreibt, daß auch ein uneheliches Kind das Recht hat, von seinen Eltern eine ihrem Vermögen angemessene Verpflegung, Erziehung und Versorgung zu fordern. Von Prozenten ist in diesem § 166 ABGB nicht die Rede — und so übt die Praxis der Pflegschaftsgerichte mit der dicken Brieftasche alpendollar-schwerer Väter mitleidsvolle Nachsicht: 1500 Schilling ist das Äußerste, was ihnen in der Regel abverlangt wird, höher geht's nur selten.

Abgesehen von einigen Ausnahmen: „Wenn das Kind eines schwerreichen Vaters ein Wunderknabe wie Mozart ist, würden wir uns nicht scheuen, ihm auf Kosten des Herrn Papa in Zürich Musikunterricht bei Professor Paul Hindemith geben zu lassen“, sagt der Leiter des Wiener Jugendamtes, Professor Dr. Anton T e s a r e k. Unterrichtsstunden bei Hindemith kosten ...

Reden wir lieber nicht davon — die Honorarrechnung würde wahrscheinlich zehnmal mehr ausmachen, als Papa für ein weniger begabtes Kind zahlen müßte.

Ein Wunderknabe muß man sein ...

Darin liegt einer der wenigen Nachteile, die auch noch heute unehelichen Kindern reicher Väter anhaften; wäre das Kind legal, würde der Herr Vater wahrscheinlich auch seinen musikalisch minderbemittelten Sohn nach Zürich schicken, den Aufenthalt in einem Schweizer Pensionat bezahlen, für Hochschulstudium, Sportwagen und Taschengeld und Knize-Anzüge aufkommen.

Woraus hervorgeht, daß man nicht nur die richtigen Eltern haben muß, sondern auch richtig verheiratete Eltern ...

WIRKLICH REICHE VÄTER sind jedoch für das Jugendamt nur Sonderfälle. Auf dem Deckel ihres Aktes steht dann meist, mit Rotschrift dick hingemalt, das Wort „Diskret“. Dieser Vermerk ist ein Alarmzeichen für den Referenten — ähnlich wie beim Militär die Worte „Streng geheim“ oder „Geheime Kommandosache“. Niemand darf Auskunft geben, und schon wiederholt hat sich an dieser diskreten Amtsverschwiegenheit auch höchste Rathausprominenz die Zähne ausgebissen.

Wie kommt aber so ein diskreter Fall zustande?

Meist beginnt es damit, daß die uneheliche Mutter den Namen des Vaters verschweigt. Aha, denkt der Beamte, wahrscheinlich hat sie sich mit dem Vater privat ausgeglichen ...

Das Recht, die Aussage zu verweigern, steht der ledigen Mutter uneingeschränkt zu. In einem noch immer gültigen Hofdekret des Kaisers Joseph II. heißt es ausdrücklich: „Keine Frauensperson darf gezwungen werden, den Namen des Erzeugers (ihres unehelichen Kindes) anzugeben.“

Sie wird auch heute nicht dazu gezwungen — aber der Jugendreferent, der den Namen trotzdem wissen möchte, fängt dann doch ein wenig zu bohren an. Er hält der jungen Mutter vor, daß sie dann um 115 Schilling weniger Kinderbeihilfe bekommen werde — wo kein Vater, da keine Kinderbeihilfe;

daß dann die Eintragung des Vaters in der Geburtsurkundematrikel unterbleiben müsse — was üble Rückschlüsse auf den Lebenswandel aufdränge; eine Mutter, die nicht einmal den Namen des Vaters kennt. . .

daß sie vom guten Willen des Mannes abhängig sei. der jederzeit die Zahlungen einstellen könne;

und schließlich, daß ihr, der Mutter, doch auch einmal ein Unglück zustoßen könne. Dann werde niemand wissen, wer der Vater ihres Kindes sei, und niemand werde bezahlen ...

Solche Argumente öffnen meist auch der verschwiegensten Mutter den Mund. Dann entsteht also der diskrete Akt: Nach einigem Hin und Her läßt sich der Vater, wenn auch widerstrebend, aufs Jugendamt zitieren, er anerkennt die Vaterschaft und verpflichtet sich, Alimente zu überweisen. Aber das alles nur unter der Bedingung, daß sein Name „streng geheim“ bleibe.

Und dann tritt der Rotstift in Aktion...

VÄTER DIESER ART HABEN GUTEN GRUND, strengste Geheimhaltung zu verlangen. Ihnen geht es weniger ums Geld als um ihren Namen (und manchmal um den Frieden mit ihrer Ehefrau). Und was für Namen da manchmal in den Geheimakten des Jugendamtes zu Protokoll genommen werden ... !

In diesen Akten steht beispielsweise der Name eines ausländischen weltbekannten Politikers, der einmal vor Jahren eine Dienstreise nach Wien unternahm. Die Reise blieb nicht ganz dienstlich, er zahlt heute noch Alimente — natürlich „streng geheim“.

Da stehen Namen von berühmten Künstlern und hohen Diplomaten, auch sie zahlen — aber niemand darf es erfahren; da ist, ganz „diskret“, auch höchste österreichische Prominenz vertreten, Männer mit klangvollsten Titeln, in gesellschaftlich und beruflich hoher Position.

Soviel nun von der Juristerei.

UND WIE STEHT ES MIT DER MENSCHLICHEN SEITE? Früher war ein uneheliches Kind — ein Kind der Schande — ein „Bankert“, der im Leben herumgestoßen wurde, dem die gesellschaftliche Achtung versagt war, ungeeignet für honorige Arbeit, nur geduldet in öffentlichen Stellen, verfemt und verachtet. Das hat sich geändert. Mit Rechr. Das Kind ist schuldlos am Verfehlen der Eltern — des Vaters wie der Mutter: beide sind schuldig und sollten schon im Interesse des Kindes bestrebt sein, nach Möglichkeit geordnete, saubere Verhältnisse zu schaffen.

An den Kindern selbst haftet, wie gesagt, kein Makel mehr. Ihre Schulkameraden verspotten sie nicht mehr, der Lehrherr fragt nicht nach dem Vater, jede Laufbahn steht ihnen offen.

„Nur“ den Vater, den echten Familienvater, und damit das richtige Elternhaus müssen sie entbehren: seinen Schutz und seine Wärme kann keine Rücksichtnahme, kein Vormund und kein Amt ersetzen. Auch das sollten die Eltern bedenken, aber, nicht erst, wenn es zu spät ist.

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