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Vatikan, Hitler und Mussolini

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Die Flut von Veröffentlichungen, die sich seit einem Jahre mit der schweren Schuld befassen, die die beiden Diktatoren Italiens und Deutschlands auf sich und ihre Völker geladen haben, droht die Aufmerksamkeit von den historisch so wichtigen und für die Menschheit so tröstlichen Bemühungen abzulenken, mit denen seit der wie ein Fanal wirkenden Besetzung Österreichs und seines nördlichen Nachbarn zunächst um die Verhinderung des leichtfertig heraufbeschworenen Krieges, dann um die Vorbereitung eines wahrhaft guten Friedens, immer aber um die Zurückdrängung des antichristlichen und antihumanitären Ungeistes, der damals nach der Weltherrschaft griff, unermüdlich gerungen wurde. In dem Kreise der Männer, deren Namen die Historiker mit höchster Achtung werden nennen müssen, ragt die erhabene Gestalt Papst Pius' XII. hervor. Viele Diplomaten aus allen Teilen der Welt waren seine Beobachter, und einer von ihnen hat kürzlich seine Stimme erhoben, um ein wertvolles Zeugnis abzulegen: der angesehene Franzose. Francois Charles-Roux, den damals eine wichtige diplomatische Sendung seines Vaterlandes in die Vatikanstadt geführt hatte. Sein Bericht, aus dem wir einige besonders interessante Teile festhalten wollen, läßt auf dem sich immer mehr verdüsternden Hintergrunde der weltpolitischen Entwicklung und der Greuel des totalen Krieges die mutigen Reden und Schritte des großen Papstes erkennen, die ihr dankbares Echo in manchen arg bedrohten Ländern fanden, deren Staatsmänner sich vor ihrer Nation und vor der Welt auf das Wort des Papstes beriefen. Schon am 3. März, gleich nach seiner Erwählung, begann er seine Bemühungen und setzte sie unermüdlich fort. Am 9. April forderte er die „vorbildliche Treue zum gegebenen Wort“ der Staatslenker, die Einhaltung der Verträge, die sie abgeschlossen hatten. Nun hören wir Francois Charles-Roux:

Die erste Demarche

„Am 5. Mai 1939 erfuhr ich, daß am gleichen Tage die Nuntien in Rom, Berlin, Warschau und Paris sowie Kardinal Hinsley in London eine bedeutsame Demarche unternehmen würden. Ihr Ziel war der Vorschlag einer Konferenz zur Uberprüfung der Streitfälle zwischen Deutschland und Polen sowie zwischen Frankreich und Italien. Die Antworten der fünf Regierungen waren sehr höflich, aber im großen und ganzen ablehnend. Hitlers Antwort war ein Meisterwerk der Heuchelei, er denke nicht an einen Krieg,... Sosehr dem Papste diese Versicherungen verdächtig erschienen, legte er doch Wert darauf, daß sie öffentlich bekanntgemacht würden.“

Italien und Hitler

„Wenn die Ereignisse sie auch widerlegten, so hielt er besonders das Ziel fest, Italien aus dem Kriege herauszuhalten. Von allem Anfang an war ihm das italienisch-deutsche Bündnis zuwider. Die Achse Berlin-Rom war durchaus nicht nach seinem Geschmack. Besonders aber mißfiel es ihm, als am 22. Mai 1939 der sogenannte ,S t a h 1 p a k t' diese Versuche überwölbte. Er fühlte, um wieviel größer dadurch die Kriegsgefahr für Europa und für Italien geworden war.“ Immerhin boten zwei Klauseln dieses Paktes, die Konsultationsklausel und der Dreijahrvorbehalt Italiens, diesem die Möglichkeit, aus den leichtfertig angenommenen Fesseln zu schlüpfen und Berlin zu bremsen. Der Papst wußte auch, wie Charles-Roux sagt, daß entgegen den Prahlereien Mussolinis Italien militärisch nicht vorbereitet war und daß die Volksmeinung gegen den Eintritt in den Krieg war. Diese Gründe benützte der Vatikan, um immer wieder den faschistischen Diktator zu ermahnen, den nazistischen Diktator zurückzuhalten und keinesfalls mit den Waffen zu unterstützen.

Hitler hatte den Krieg beschlossen

Wie in Rom, bemühte sich der Papst auch in den anderen Hauptstädten um den Frieden. Hitler und Ribbentrop wiederholten stereotyp, sie dächten an keinen Krieg. Am ' 11. August verhandelte in Salzburg Ribbentrop und dann Hitler in Berchtesgaden mit Ciano, der hier erfahren mußte, daß der Krieg beschlossen sei und noch vor dem Herbst ausbrechen werde! Diese Gespräche verliefen sehr bewegt, und der Vatikan war zufrieden, daß die Atmosphäre zwischen Faschisten und Nazis sich getrübt hatte, war aber sehr beunruhigt, daß der Krieg so nahe sei. Daher ermahnte er unaufhörlich die italienischen Regierungskreise, auf Berlin mäßigend einzuwirken und sich selber des Krieges zu enthalten. Gleichzeitig unterstützte der Heilige Vater seine Demarchen durch öffentliche Ansprachen. Der Abschluß des deutsch-russischen Vertrages vom 22. August 1939 zeigte die Gefahr, daß Polen zwischen zwei Feuer komme, was dem Heiligen Stuhle die größte Sotge bereitete. Am 26. und 29. August erhielt Charles-Roux Mitteilungen des Papstes, wonach Italiens Haltung noch immer schwanke. ,

Im Namen Gottes!

Noch am 31. August, 1 Uhr nachmittags, besdiwor der Papst, wie Charles-Roux erzählt, im Namen Gottes die Regierungen in Berlin und Warschau, die Verhandlungen nicht abzubrechen, und bat die

Kabinette von Paris, London und Rom, in diesem Sinne auf ihre Verbündeten Einfluß zu nehmen. „In London und Paris fand diese ergreifende Botschaft eine gute Aufnahme. Man trug ihr Rechnung, da man noch während drei Tage nach ihrem Empfang sich hütete, den Faden der Verhand-, lungen abzubrechen ... Ciano antwortete, indem er sich auf eine Demarche bezog, die er am gleichen Tage in Berlin hatte unternehmen lassen. In Warschau unterließ es Beck nicht, obwohl er die Gefahr des deutschen Agriffes fühlte, beim Empfang des päpstlichen Nuntius eine Bewegung der Ungeduld zu machen, die im Vatikan einen peinlichen Eindruck hervorrief. Was H i t-1 e r anbelangt, so erteilte er in derselben Nadit, die dem Tage folgte, an dem er den Aufruf des Papstes empfangen hatte, den Befehl zum Angriff! Das war seine Antwort auf die Beschwörung des Heiligen Vaters, der ihn im Namen Gottes angerufen hatte.“

Der gefürchtete Krieg war ausgebrochen. Nun galt es, Italien aus dem deutschpolnischen Konflikte und aus dem ihm folgenden Kriege herauszuhalten, der zwischen England-Frankreich und Hitler-Deutschland entbrennen mußte. Am 1. September gab die italienisdie Regierung die N o n-belligeranza bekannt, das heißt, sie erklärte, keine militärischen Maßnahmen in Aussicht zu nehmen, das Wort Neutralität wurde jedoch nicht ausgesprochen und auch kein Termin genannt, so daß niemand wußte, ob dieser Zustand vorübergehend oder dauernd gedadit sei. Die Zweideutigkeit des dem Völkerrecht unbekannten Ausdruckes erregte neue Sorgen. Am 4. September „erschien im ,Popolo d'Italia', dem alten Blatte Mussolinis“, berichtet Francois Charles-Roux weiter, „ein donnernder Artikel, dessen Feder man sofort erkannte. Der Ton dieses Artikels, schneidend und drohend gegenüber den Demoplutokratien von London und Paris, war nicht auf Neutralität abgestimmt“.

Am nächsten Tage beauftragte Papst Pius XII. den Jesuitenpater T a c c h i V e n t u r i, der als Unterhändler bei dent Lateranverträgen gedient hatte, Mussolini zu ermahnen, Italien dem Konflikte fernzuhalten. Mussolini fand einen Vorwand, um den Boten des Papstes nicht zu empfangen und wies ihn an den Grafen Ciano, der ihn am 6. September empfing. Ciano sagte zwar, die Erklärung Italiens gleiche einer Neutralität und sie solle bis zum Ende des Konfliktes bestehen, doch könne niemand voraussehen, ob nicht Ereignisse Italien zu einer anderen Haltung zwingen würden, er selbst wolle an der Politik der Neutralität festhalten. Im Vatikan verbarg man die tiefe Besorgnis nicht, welche diese Haltung der italienischen Regierung erweckte.

Die Schrecken des totalen Krieges

„Der Feldzug in Polen lehrte uns den Blitzkrieg kennen. Während dieser sich in atemraubender Weise seinem Gipfel näherte, verwünschte Pius XII. den Krieg und klagte diejenigen an, die ihn entfesselten, sagte die katastrophalen Folgen voraus, beklagte und tröstete die Opfer. Am 14. September, als er das Beglaubigungsschreiben des neuen Botschafters von Belgien entgegennahm, sprach er vom Kriege ,als von einem unberechenbaren Sturm'. Keine menschliche Voraussicht könne die Größe des Blutbades absehen noch voraussagen, welches seine Ausdehnung und seine in ihm beschlossenen Folgen sein werden.“ Der Papst sprach ausdrücklich über die Verantwortung Deutschlands, in dem er grundsätzlich eine Haltung verurteilte, die auf

Verhandlungen verzichtete, um zu den Waffen zu greifen. Er verfocht die Rechte der Schwachen gegen den Egoismus der Starken. Ebenso verlangte er die Anwendung jener internationalen Konventionen, welche das Verfahren des totalen Krieges untersagen, von dem die Deutschen in Polen .soeben eine Probe gaben. Am 18. September erklärte er, anläßlich seiner Ansprache an den neuen Gesandten von Litauen, Europa müsse sein christliches Erbe verteidigen, das im Nordosten besonders gefährdet sei. Das tiefe Mitgefühl mit dem Schicksal Polens und die Zuversicht, daß es wiedererstehen werde, sprach der Papst bei wiederholten Ansprachen an polnische Besucher aus, er bestellte auch einen Vertreter bei der neuen polnischen Regierung.

Apostolischer Freimut

Das Blatt des Vatikans, „L'Osservatore Romano“, kommentierte die Ereignisse anders als die italienische Presse. Dank der mutigen Offenheit seines Urteils stieg die Auflage des Blattes wie niemals vorher und wurde ein Mittel für den Heiligen Stuhl, auf die öffentliche Meinung des Landes einzuwirken. Dagegen erhob Mussolini heftige Vorhalte durch seinen Botschafter. Der Kardinal-Staatssekretär Maglione verteidigte jedoch mit ruhiger Würde und Festigkeit die Freiheit des päpstlichen Blattes. Auch die am 27. Oktober veröffentlichte Enzyklika vom 20. Oktober 1939, die mannhaft gegen Nationalismus, Totalitarismus, Rassenlehre, Kult der Gewalt und gegen die Verachtung internationaler Verträge als die charakteristischen Zeichen des hitlerischen Systems sich wandte und zugunsten Polens an die Welt appellierte, erweckte in Italien beim Volke so großen Widerhall, daß die Regierung erschrak. Sie zog aber keine Lehre daraus.

Hätte der König auf den Papst gehört!

„Am 21. Dezember besuchten der König und die Königin von Italien in feierlicher Weise Pius XII. im Vatikan. Ciano begleitete das Königspaar. Der Papst richtete an sie eine Ansprache, deren Thema wiederum der Frieden bildete. Er riet ihnen zu einer Politik nicht der vorübergehenden Nichtkriegführung, sondern zu einer der entschiedenen Neutralität.“

Papst und Präsident

„Am 24. Dezember, am Vorabend von Weihnachten, sprach der Papst in einer Ansprache an die Kardinäle über das Problem des Weltfriedens. Am gleichen 24. Dezember empfing der Heilige Vater eine sensationelle Neuigkeit: Präsident Roosevelt hatte ihm einen persönlidien Vertreter im Range eines Botschafters zu entsenden beschlossen. Das wurde ihm durch ein Telegramm des apostolischen Delegierten in Washington und durch einen langen persönlichen Brief Roosevelts gemeldet. Dieser Brief mit seiner geistlichen und biblischen Einleitung hat wohl in der ganzen diplomatischen Literatur nicht seinesgleichen. Er erfüllte Pius XII. mit Freude und mit Dankbarkeit. ,Keine Nachricht', so sagte er, .konnte uns für Weihnachten willkommener sein'.“

„Am 7. Jänner 1940 antwortete Pius XII. an Roosevelt. Er betonte die Gemeinsamkeit ihres Ideales. Am 27. Februar erschien Mister Myron Taylor und wurde vom Papst feierlich empfangen. Von diesem Augenblick an vereinigten Washington und der Vatikan ihre Aktionen, sooft sich hiefür in der bestehenden Lage eine Rechtfertigung ergab.

Nur wenige Leute in Europa wissen, wie eng die geistige Zusammenarbeit zwischen USA und dem Heiligen Stuhl sich gestaltete. Ihr erstes gemeinsames Ziel war, Italien vom Kriege fernzuhalten. Ununterbrochen hatte Pius XII. darauf hingewirkt. Kein Besuch des Nuntius bei Ciano, wo man nicht über diesen Gegenstand gesprochen hätte. Ciano brannte keineswegs darauf, daß sein Land an der Seite Deutschlands in den Krieg eintrete. Seit Februar gab er zu verstehen, daß der Gegenwind immer stärker werde. Am 29. Februar machte er darauf aufmerksam, daß die Deutschen nidrt mehr zögern würden, an der Westfront die Offensive zu eröffnen und daß sie deshalb ihren Druck auf Italien verstärkten, um es in Marsch zu setzen. Nach dem Zusammentreffen zwischen Mussolini und Hitler, das am 18. März auf dem Brenner stattgefunden hatte, gestand er, daß sich zwar in der Hauptsache nicht viel geändert habe, daß jedodi die Solidarität der beiden Achsenmächte gefestigt wurde. Zu den Besprechungen zwischen Ciano und dem Nuntius gesellten sich jene des Kardinals Maglione mit Alfieri. Der Staatssekretär des Papstes nahm den italienischen Botschafter ebenso ins Gebet, wie der Nuntius den Minister des Äußeren. Überdies wies er ihm die Schranken, wenn sich Alfieri zum Spradirohr für die Beschwerden des D u c e über die neutrale Haltung der italienischen Bischöfe und über den Pazifismus der Katholiken machte.“

Ribbentrop fällt in Ohnmacht

„Am 11. März kam Ribbentrop nach Rom, um mit Mussolini und Ciano zu spredien. Der deutsche Außenminister wurde auch vom Papst und vom Kardinal Maglione empfangen. Er erklarte vor beiden, es sei absolut sicher, daß Deutschland noch vor dem Ende des Jahres 1940 den Endsieg errungen haben werde. Pius XII. ließ ihn so harte Wahrheiten über die Beschwerden der Kirche gegen die Nazi im Reich und in Polen vernehmen, daß Ribbentrop, bevor er sich zum Kardinal Maglione begab, ohnmächtig wurde und beinahe das Bewußtsein verlor. Als er zu sidi gekommen war, hatte er nach dem bitteren Tadel des Heiligen Vaters noch jenen des Staatssekretärs zu ertragen.“

Mussolinis zweideutiges Zögern

„Eine Wodie später erschien S u m n e r W e 11 e s in Rom. Auch er besuchte Pius XII. und den Kardinal Maglione. Beide sagten ihm, daß das Verhalten Mussolinis nicht beruhigend sei, daß sie immerhin jedoch auf die öffentliche Meinung hofften, um ihn von einem Kriegsabenteuer abzuhalten, in welchem die Interessen Italiens tödlich gefährdet wären. Da die öffentliche Meinung für Mussolini als Zügel wirken konnte, sprach Pius XII. am 24. März, dem Ostertage, in St. Peter. In seiner Predigt verurteilte er neuerlich die Verletzung des Rechtes, die Verachtung der Verträge, den internationalen Terrorismus, kurz und gut die politischen Methoden und die Kriegsmethoden der Deutschen.

Weniger als einen Monat später entschloß er sich, da die Nachrichten immer beunruhigender wurden, zu einer ungewöhnlichen Demarche. Er richtete am 2 1. April an Mussolini einen persönlichen Brief, worin er an sein Verantwortungsbewußtsein als Regierungschef appellierte, um ihm davon abzuraten, zu den Waffen zu greifen und ihm vorzustellen, weldi nützliche und vorteilhafte Rolle die Neutralität für Italien bedeuten würde. Mussolini ließ neun Tage mit der Antwort warten. Am 30. April kam sein Brief. Dieser begann mit einer kurzen Auseinandersetzung über die politische Berechtigung des Krieges in be-

Der Kämpfer um das Staatsrecht und Völkerrecht ist kein anderer als der um's Privatrecht; dieselben Eigenschaften, die er in den Verhältnissen des letzteren sich angeeignet hat, begleiten ihn auch in den Kampf um die bürgerliche Freiheit und gegen den äußeren Feind — was gesäet ist im Privatrecht, trägt seine Früchte im Staatsrecht und Völkerrecht. In den Niederungen des Privatrechts, in den kleinen und kleinsten Verhältnissen des Lebens muß tropfenweise sich jene Kraft bilden und sammeln, sich jenes moralische Kapital anhäufen, dessen der Staat bedarf, um für seine Zwecke im großen damit operieren zu können. Das Privatrecht, nicht das Staatsrecht ist die wahre Schule der politischen Erziehung der Völker, und will man wissen, wie ein Volk erforderlichenfalls seine politischen Rechte und seine völkerrechtliche Stellung verteidigen wird, so sehe man zu, wie das einzelne Mitglied im Privatleben sein eigenes Recht behauptet.

Rudolf v. Ihering : „Der Kampf ums Recht“ stimmten Fällen und er schloß mit der Versicherung: ,Wenn Italien morgen in die Arena hinabsteigen muß, dann würde es nur geschehen, wenn es seine Ehre, seine Interessen und seine Zukunft sonnenklar verlangen würden.' Als mich Pius XII. am 7. Mai in Privataudienz empfing und mich darüber unterrichtete, schloß ich, daß die ,Sonnenklarheit' aus den Augen Mussolinis leuchten werde, wenn wir uns eines Tages in einer schlimmen militärischen Lage befinden würden. Ich bin überzeugt, daß der Papst die Antwort Mussolinis nicht anders aufgefaßt hat als ich. Trotzdem verzichtete er nicht darauf, auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Am 5. Mai richtete er von der Kanzel der Kirche Santa Maria sopra Minerva einen flammenden Appell für den Frieden, insbesondere für den Frieden Italiens.“

Italien tritt dennoch in den Krieg ein!

„Kaum hatte der Papst die Invasion Belgiens, Hollands und Luxemburgs erfahren, so telegraphierte er an den König von Belgien, an die Königin der Niederlande und an die Großherzogin in Ausdrücken, die seinen Protest gegen 'diesen dreifachen Angriff zum Ausdruck brachten. Er ließ diese drei Telegramme veröffentlichen. Mussolini und die hundertprozentigen Faschisten waren außer sich. Sie ließen ihren Zorn am ,Osser-vatore Romano' aus, dessen Verkäufer und Leser sie angriffen. Ebenso tadelten ihre

Blätter aufs heftigste den Papst. Ja, sie richteten die wildesten Angriffe gegen ihn. Dann kam die offizielle Beschwerde des Duce, vorgetragen durch Alfieri persönlich. Den Papst ließ das ungerührt. Er erklärte, er lasse sich weder durch Kundgebungen noch durch Drohungen einschüchtern und zittere nicht davor, ,in ein Konzentrationslager zu gehen'.

Eine Woche später wurde unsere militärische Lage sehr schwierig. Am Abend des 17. Mai kam mir ein Brief zu, damit ich ihn dringend dem Papst überreiche. Er stammte von Kardinal S u h a r d, der jüngst zum Erzbischof von Paris ernannt worden war. Geschrieben im Kabinett des Ministerpräsidenten Paul Reynaud, begann er mit den Worten: ,H eiliger Vater, unsere Armee ist im Wanken begriffen.' Er fuhr fort, Pius XII. um seine Intervention bei Mussolini zu bitten, damit uns Italien nicht angreife in einem Augenblick, wo wir uns nur schwer gegen die Deutschen halten können. Noch in der Nacht ging idi in den Vatikan. Der Papst ließ mir antworten, daß er aus eigener Initiative vorgehen werde. Tatsächlich sprach sein Nuntius bei Ciano vor, der ihm nicht verhehlte, daß der Eintritt in den Krieg unvermeidbar sei und daß die verrücktesten Minister ihm erklärt hatten, der Heilige Stuhl ergreife. Stellung gegen ganz Europa.“

(Hier bricht der Bericht ab, weil Charles-Roux von Reynaud als Generalsekretär des Quai d'Orsay nach Paris berufen wurde.)

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