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Verbrüderung über den Rhein

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Mit einer prominent besetzten Konferenz feierte das Center for European Studies (CES) an der Harvard Universität sein 25-Jahr-Jubiläum.

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Mit einer prominent besetzten Konferenz feierte das Center for European Studies (CES) an der Harvard Universität sein 25-Jahr-Jubiläum.

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Kein bilaterales Verhältnis hat soviel zur Stabilisierung Westeuropas und zur multinationalen Integration Europas beigetragen, wie die Uberwindung der alten Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen. So war es dann auch mehr als symbolisch, daß mit Alfred Grosser und Joseph Rovan (einem Überlebenden von Dachau, er hat sich erst unlängst an den deutsch-polnischen Gesprächen anläßlich der Leipziger Buchmesse beteiligt, Furche 19/1996, Seite 17) zwei der prominentesten Gründungsväter der Nachkriegsannäherung bei der CES-Ju-biläumskonferenz anwesend waren. Grosser betonte, wie wichtig der Aufbau einer breit angelegten „Infrastruktur zwischen den Menschen” als Stützpfeiler der zunehmenden politischen Entente nach dem Krieg war. In keinem bilateralen Verhältnis gibt es heute soviele enge menschliche Kontakte wie zwischen Deutschen und Franzosen. Die engen Freundschaften zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und Valery Giscard d'Estaing sowie zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterrand waren nur Spitzenbeispiele für dieses zwischenmenschliche Verständnis.

Bobert Picht, Leiter des Ludwigsburger Instituts für deutsch-französische Beziehungen, betonte mit Becht, daß es vor allem dieses politische deutsch-französische Bapprochment war, welches im Elysee-Vertrag von 1963 zu einer engen Achse verdichtet wurde, das den wirtschaftlichen europäischen Integrationsprozeß in der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft” vorantrieb. Der sorgfältige und langwierige Prozeß eines Herantastens an eine europäische Identität ermöglichte den Deutschen Ausweg und Flucht aus einer von der Geschichte so belasteten deutschen Identität. Die von Kanzler Willi Brandt so brillant eingefädelte Ostpolitik, so meinte der prominente Bonner Politologe Karl Kaiser, der als junger Forscher von Anfang an mit dem CES in Verbindung stand, habe der Bonner Bepublik mehr Autonomie in ihrer Außenpolitik gegeben, ja die Bundesrepublik zu einem treibenden Subjekt in der internationalen Politik gemacht. Der vorausschauende Brandt erkannte früh, daß nur eine Überwindung der deutschen Teilung zum Ende der Teilung Europas führen konnte. Die so erfolgreiche deutschfranzösische Annäherung wäre ohne den Druck und das Wohlwollen Washingtons undenkbar gewesen. Robert Bowie, in den 50er Jahren einer der Chefberater von Präsident Ei-senhowers Außenpolitik, betonte die weltpolitisch so entscheidende Entkrampfung des deutsch-französischen Verhältnisses in den Jahren 1945 bis 1955, die ohne die Präsenz der Amerikaner auf dem Kontinent undenkbar gewesen wäre. Josef Joffe, der Leitartikler der „Süddeutschen Zeitung”, als Student von Henry Kissinger und Stanley Hoffmann selbst ein Produkt des CES, meinte, das „Duo” Frankreich-Deutschland sei in der Tat ein „Trio” und ohne die Bolle Washingtons nicht zu begreifen.

Der Vortrag Jacques Delors, des zweimaligen Präsidenten der Europäischen Kommission in Brüssel, stand im Mittelpunkt dieser Tagung. In seinen ergreifenden Ausführungen rückte die Bedeutung der deutschfranzösischen Vorreiterrolle im andauernden europäischen Einigungsprozeß ins Zentrum. Zwar skeptisch gegenüber einem durchschlagenden Erfolg der vor kurzem begonnenen Turiner Regierungskonferenz (Maastricht II, Furche 14/ 1996, Seite 2 und 3), meinte er, die gegenwärtigen Verträge müßten noch mehr differenzierende Zugeständnisse machen, um eine Öffnung für künftige Mitglieder zu ermöglichen und so den Integrationsprozeß weiter voranzutreiben. Als Zukunftsvision stellte er eine „Föderation von Nationalstaaten” zur Debatte, um die Öffnung zu den Osteuropäern zu ermöglichen.

Wie soll es nach Deutscher Einigung, dem Ende des Kalten Krieges und einer festzustellenden Frustration mit europäischer Währungsunion und Einigung nun weitergehen? Sowohl der französische Spitzendiplomat Jean-Marie Guehenno als auch Christoph Bertram, Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit” hielten aufrüttelnde Plädoyers für die nach wie vor zentrale Bedeutung guter deutsch-französischer Beziehungen. Für die zukünftige Intensivierung des europäischen Integrationsprozesses gäbe es keine Alternativen, weshalb auch das Tempo der Währungsunion nicht verlangsamt werden dürfe.

Guehenno meinte, die Verbrüderung über den Bhein hinweg sei nach dem Ende des Kalten Krieges in gewissem Sinne ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden, da die Nachkriegsgenerationen den Erfolg der engen deutsch-französischen Ehe zunehmend als gegeben hinnehmen. Dadurch bestehe die Gefahr, daß das früher so intensive emotionale Element in der Beziehung im Begriffe sei, verlorenzugehen. Bertram hingegen betonte, daß Deutschland in einer Welt mit Atomwaffen nie mehr allein sein dürfe, weshalb der amerikanische Beitrag nach wie vor von entscheidender Wichtigkeit sei.

Nicht auf dem Tagungsprogramm, aber im Mittelpunkt zahlreicher Kaffeegespräche stand das kontroversiel-le Buch von Daniel Goldhagen „Hit-ler's Willing Executioners”(furche 18/1996, Seite 2 und 3), der ebenfalls dem Center für European Studies seit langem verbunden ist.

Für da? CES und die Gründerväter Stanley Hoffmann und Guido Goldman war die Tagung ein Triumph ihrer langjährigen Bemühungen um das Studium Europas in den USA. Dominique Moisie, einer der führenden französischen Experten der internationalen Politik, zollte dann auch den beiden den schönsten Tribut. Als junger Student lernte er auf dem neutralen Boden des CES die ersten Deutschen selber persönlich kennen und schätzen, und konnte so seine Vorurteile abbauen. Viele frühere „fellows” bestätigten, daß in diesem Sinne das Center in der Tat oft zur persönlichen „Brücke über den Bhein” wurde.

Umgekehrt lernten auch mehrere Generationen amerikanischer Studenten - heute meist die führenden US-Europaspezialisten auf den Universitäten und den diversen „think tanks” und Regierungsstellen - hier zum ersten Mal Europäer kennen und entwickelten so einen tieferen Einblick, wie der gegenwärtige Direktor Charles Maier bestätigte. In einer Zeit, in der nicht nur der amerikanische Isolationismus wieder zunimmt, sondern die Amerikaner aus wirtschaftlichen und geopolitischen Motiven auch vermehrt ihren Blick vom atlantischen auf den pazifischen Baum werfen, wird die herausragende Vordenkerrolle dieser Harvard Paradeinstitution notwendiger denn je sein.

Der Autor hat in den Jahren 1982 bis 1989 an der Harvard Universität sein Doktorat mit einer Arbeit über „Österreich im frühen Kalten Krieg” gemacht und war auch ein fellow des CFS, das mit einem Stipendium der deutschen Krupp-Stiftung seine Archivarbeit wesentlich unterstützt hat.

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