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Verbundenheit in Heimsuchung und Trost

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Deutscher Katholikentag Essen 1932: Die Heerschau der 300.000 Teilnehmer an dem Festgottesdienst am Baldeneyer Berg, das eindrucksvolle Bekenntnis von 40.000 katholischen Männern und Jungmännern, did sich in Sechserreihen im Kerzenschein schweigend durch die nächtlichen Straßen der Kruppstadt bewegten, die imposanten Frauenversammlungen und die Massenkundgebungen der katholischen Arbeiter im Herzen des Ruhrreviers vermochten vorübergehend, eben im Anblick der glanzvollen Manifestationen der mobilisierten Kräfte des deutschen Katholizismus, den schweren Druck zu erleichtern, der auf der 71. Generalversammlung der deutschen Katholiken lastete. Die seelisch-geistige Not eines von politischer Leidenschaft gepeitschten Volkes war allenthalben spürbar, die Symptome einer der Entscheidung zutreibenden Krise deutlich wahrzunehmen. Die auffallend kühle Aufnahme eines Begrüßungstelegramms des Reichskanzlers an das Präsidium des Katholikentages war Ausdruck der Stimmung, die das katholische Volk mit seinen Führern in jenen Tagen beherrschte. Eine glückliche Fügung, daß Herr von Papen dem Katholikentag ferngeblieben war! Erwartet wurde in Essen ein anderer, ein würdigerer Repräsentant des deutschen politischen Katholizismus — Dr. Heinrich Brüning, dessen Lauterkeit und Verantwortungsbewußtsein, dessen Mut zur Unpopularität ihn in Widerspruch setzte zu den Meistern der Überheblichkeit und Demagogie. Das katholische Volk wollte ihn im Rahmen seiner repräsentativsten Jahresveranstaltung feiern, ihm danken für die entsagungsvolle Arbeit, deren Frucht ein anderer ernten sollte. Um die Harmonie des Katholikentages nicht zu stören, entzog sich Heinrich Brüning der verdienten Ehrung..,

Das Schauspiel des Glaubens, der christlichen Solidarität, das sich in jenen Tagen entrollte, erreichte seinen Höhepunkt mit dem feierlichen Bekenntnis des Justizministers Dr. Kurt von Schuschnigg beim Ausklang des Katholikentages: „Wir Katholiken deutschen Sprachgebietes reichen freudig die Hände all denen, die mit uns in wahrhaft aktivem, lebensgestaltendem Christentum zur großen Einheit sich zusammenschließen wollen, um die drohende Zeitnot zu bannen!“ Als dann Dr. von Schuschnigg die Einladung überbrachte, „in naher Zeit den Deutschen Katholikentag in unserer Heimat begrüßen“ zu dürfen, setzte ein Sturm der Begeisterung ein, der kein Ende nehrhen wollte, als er abschließend erklärte, daß „der einigen, deutschen, katholischen Front eine wesentliche Aufgabe zufallen muß für den Neubau Mitteleuropas und somit für die Befriedung der Welt"! Spontan erhoben sich die Massen in der riesigen Halle und brachten dem Sprecher und dem erschienenen österreichischen Bundeskanzler Dr. Dollfuß Ovationen dar. Die gedämpfte Atmosphäre, von der die Beratungen von Essen überschattet waren, löste sich, vorübergehend, in der Freude und Genugtuung, daß im befreundeten Österreich Männer die Geschicke ihres Landes führten, die sich als Hüter edelsten christlichen Erbgutes bewähren, „bereit, wie in der Vergangenheit, so auch für alle Zukunft, mitzubauen an der gemeinsamen Front des einigen, gesamtdeutschen Katholizismus“ (Dr. v. Schuschnigg)-

Fünf Monate nach dem Deutschen Katholikentag in Essen, auf dem in geistreichen Betrachtungen und eindringlich ernsten Auseinandersetzungen das wegweisende Prinzip herausgearbeitet wurde, daß „der so heiß ersehnten Erneuerung der Gesellschaft eine tief innerliche Erneuerung im christlichen Geist voraufgehen muß", daß „Radikalismus im Sinne von Grundsatztreue für uns Katholiken selbstverständlich ist und daß wir in diesem Sinne radikal bleiben müssen, vor allem auch dann, wenn uns die politischen Machtverhältnisse zum Zusammengehen mit weltanschaulich entgegengesetzten Richtungen zwingen" (Graf von Quadt); fünf Monate nach Aufstellung der selbstbewußten These, daß „eigentlich nur Christen durch die moderne Großstadt schreiten können, nur Menschen des ganz großen, aber auch gesunden Risikos“, daß „eigentlich nur Christen in der modernen deutschen Politik ausharren, eigentlich nur Christen im modernen Staatsleben handeln können" (Dr. Schnippenkötter); fünf Monate nach dem stolzen „Bekenntnis zu einer neuen Gesellschaftsordnung, einer wahrhaft sittlichen Ordnung, befreit von Willkür und menschlichem Machtwillen“ — hielt Adolf Hitler seinen Einzug in die Reichskanzlei

Das deutsche Volk war da an einer entscheidenden Wende seiner Geschichte angelangt; für den deutschen Katholizismus aber brach eine Zeit harter Prüfung an: völlige Ausschaltung der Kirche und des Katholizismus aus dem öffentlichen Leben, Diffamierung, Verfolgung und sogar blutiges Martyrium.

Wer sich von dem Glanz des Deutschen Katholikentages Essen 1932 nicht hat blenden lassen, den hat die deutsche Tragödie nicht überraschen können, zutiefst mit verursacht von dem Kleinglauben, dem Halbglauben, dem Unglauben derer, die sich gläubig nennen, die der Entscheidung ausweichen, wenn sie an sie herantritt. Die bange Sorge der Sehenden, ob der deutsche Katholizismus, der Absolutheitsanspruch des Glaubens dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch im Ernstfall gewachsen sein würde — das war die Ursache der seeli

schen Gedrücktheit von Essen! Es war nicht resignierender Pessimismus, der die seelische Gedrücktheit in Essen verbreitet hatte, es waren die Wachsamen, die Aufrechten, die für Glaube und Kirche einsatzbereiten Kräfte, denen nicht Prunk und Fassade imponiert, die sorgenvoll und mit Erschrecken die schweren Ereignisse kommen sahen. Sie waren es gewesen, die voll Zuversicht und Hoffnung ihren Blick nach W i e n, in das christliche Donauland richteten, als die Heimsuchung über den deutschen Katholizismus hereingebrochen war.

Auf dem Allgemeinen deutschen Katholikentag Wien 1 9 3 3 wollten sich die Bedrängten und

Verfolgten Kraft und Mut holen, wollten sie sich stärken, um den ihnen aufgezwungenen Kampf gegen die Macht des Bösen, zu bestehen. Unter einem Vorwand wurde ihnen auch diese Möglichkeit genommen. Nicht einmal ein Abgesandter des deutschen Episkopats durfte dem Allgemeinen deutschen Katholikentag von 1933 in Wien beiwohnen!'

Auslandsreisen „politisch unzuverlässiger Kantonisten" wurden nur befürwortet, wenn ihre Überwachung jenseits der Grenze des Dritten Reiches sichergestellt war. Die hermetische Abriegelung der Grenze gegen Österreich sollte freilich nicht nur die Unzufriedenheit in den von der Sperre betroffenen Wirtschaftskreisen wecken und nähren, sie sollte vor allem

auch jeden Gedankenaustausch zwischen deutschen Oppositionellen und ihren Freunden in Österreich unterbinden.

So war es denn auch für die aus ganz Deutschland zur Jahresversammlung des Deutschen katholischen Akademikerverbandes 1934 nach Gleiwitz (Oberschlesien) erschienenen katholischen Akademiker eine Überraschung, als sie hörten, daß der österreichische Episkopat unmittelbar vorher in einem Hirtenwort die nationalsozialistische Häresie in einer Form verurteilte, die jede Zusammenarbeit mit dem Nazisystem ausschließen mußte. Vizekanzler von Papen bediente sich der katholischen Akademikertagung, um in heftigen Ausfällen über die österreichischen Bischöfe herzufallen und sie der Störung des „Friedens“ mit Hitler zu bezichtigen. Die Reaktion auf v. Papens maßlose Polemik gegen den österreichischen Episkopat war wachsende Versteifung der Opposition im Lager der deutschen katholischen Akademikerschaft. „Nun sind wir doch nicht hoffnungslos den dämonischen Mächten eines totalitären Systems ausgeliefert" — das war die übereinstimmende Meinung der Aufrechten, die seit der Tagung der katholischen Akademiker in Maria-Laach 1933 an Zahl und innerer Stärke gewachsen waren.

Der Widerstand, den Österreich, seine Regierung und die Kirche der nationalsozialistischen Infiltration entgegensetzten, die aktive Gegenwehr, mit der sie der Maulwurfsarbeit begegneten, weckten im Lager des freiheitlichen deutschen Katholizismus selbst dann Genugtuung, wenn der Abwehrkampf gegen die Zersetzung das Risiko von Rückwirkungen in Form neuer Unterdrückungsmaßnahmen erhöhte, überzeugungstreue und Vertrauen waren in den Jahren des deutschen Niederganges Voraussetzung jeglicher Bewährung I

Der 11. März 1938, der die Unterwerfung Österreichs durch das Dritte Reich brachte, wurde dann ein schwarzer Tag für den deutschen Katholizismus. Ein deutscher Bischof, den ich nach dem Zusammenbruch 1945 in seiner halbzerstörten Residenz aufgesucht habe, bekannte mir: „Als ich Schuschniggs Abschiedsworte am Radio hörte, brach ich in Tränen

aus und war den Tag über für niemanden mehr zu sprechen.“

Das war nicht Ausdruck einer sentimentalen Neigung, der Fall Österreichs war für ihn und für eine ansehnliche Zahl Gleichgesinnter gleichbedeutend mit dem unwiederbringlichen Verlust einer Kraftquelle abendländischen Geistes und deutscher Kultur! Was nachkam, übertraf die allerschlimmsten Befürchtungen.

Die geistigen Träger des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in der Staatsführüng, in Parlament und Ver-

waltung, in Schrifttum und Presse wurden gefangengesetzt, mundtot gemacht und füllten fortan die deutschen Konzentrationslager. Im KZ trafen sie mit der deutschen Opposition zusammen. Hier richteten sie sich gegenseitig auf, und beide verloren nicht ihre Hoffnung, daß ihr Opfer der Heimat die Befreiung bringen würde. Am Ende stand die Befreiung, aber unter welchem Zeichen!

Solche Erinnerungen geben ein besseres Bild von der Einstellung der Völker zueinander als theoretische Untersuchungen. Die Nöte und Sorgen der deutschen und österreichischen Katholiken in einer Zeit schlimmsten Niederganges und trübster Erfahrungen vermochten Uns nicht den Glauben an den edlen und festen Kern gemeinsamen Kulturerbes zu rauben, im Gegenteil, sie haben uns in dem Willen bestärkt, die bewährte Notgemeinschaft zum Ausgangspunkt einer geistigen Zusammenarbeit zu nehmen, die keine Ideo

logie zu stören vermag und keinen modernen Cäsar zu fürchten braucht, einer geistigen Zusammenarbeit, die sich in einer Sphäre abspielt, die Bestand für längere Dauer hat als alle politischen Gebilde in ihrer Schwäche und Vergänglichkeit!

Der deutsche Katholizismus ist im Neubau begriffen. Gleich den bombenzerstörten Gotteshäusern, die in Stadt und Land wiedererstehen, vollzieht sich der Aufbau der religiösen Einrichtungen und Organisationen im Bereich der Bildung und Kultur und nicht Zuletzt auf sozialem Gebiet. Die Auseinandersetzung über die endgültigen Formen einer neuen Sozialordnung hält unvermindert an. Das Gesetz des Handelns wird aber nicht sozialradikalen Ideologen überlassen! Neue Arbeitsmethoden ermöglichen heute dem geistlichen Sozialpionier bis in die Fabriken vorzudringen und über das soziale Gespräch in direkten Kontakt mit Arbeitern zu kommen, die längst der Kirche

den Rücken gekehlt haben. Diese nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft 1945 eingeleitete, in verständnisvollem Zusammenwirken mit aufgeschlossenen Fabrikdirektoren und Unternehmern bewährte Sozialarbeit allein rechtfertigt das Bemühen um die Intensivierung und Aktivierung einer Gesinnungsgemeinschaft zwischen dem deutschen und dem Österreichischen Katholizismus als Basis eines verheißungsvollen Erfahrungsaustausches auch auf kulturellem und religiösem Gebiet.

In den Jahren der Schmach, des organisierten, staatlichen, legalisierten Terrors, des hemmungslosen Hasses gegen Glaube und Kirche, der ständigen Bedrohung unserer gesellschaftlichen Ordnung und systematischen Zerstörung christlicher Kulturwerte haben sich die Kräfte der Abwehr des militanten Nihilismus hüben und drüben gelobt, dereinst eine Welt mit Gott, ihre Heimat für Christus, eine staatliche und Wirtschaftsordnung in Freiheit und christlicher Sitte aufzubauen.

Der Katholikentag Wien 1952 sollte der gegebene Anlaß sein, sich dieses Gelöbnis in Erinnerung zu rufen. Die Pflege der österreichisch - deutschen Gesinnungsgemeinschaft ist Teil dieses Gelöbnisses!

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