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Verfall eines Niveaus...

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Die Wiener Tagespresse befindet sich seit langem in einer Krise. Von den neun Tageszeitungen werden sieben subventioniert, was keines weiteren Kommentars bedarf. Was aber noch bedenklicher stimmt, ist die Tatsache, daß von den vier Boulevardzeitungen gleichfalls zwei subventioniert werden müssen, was im Grunde ein Unfug ist, weil Boulevardzeitungen nach rein kommerziellen Überlegungen gestaltet werden. Defizitäre Boulevardzeitungen besitzen deshalb keine Daseinsberechtigung.

Doch nicht die Boulevardzeitungen sind die eigentliche Crux der Wiener Tageszeitungen. Sie gehören einfach in das Bild einer Großstadt und sind teilweise sogar besser als in der Ersten Republik. Was eigentlich schwerer wiegt, ist die Tatsache, daß keine einzige Wiener Tageszeitung, die auf den Boulevardcharakter verzichtet, finanziell frei von parteipolitischen Instanzen bleiben konnte. Diese Entwicklung hat mehrere historische Wurzeln. In der Ersten Republik stand den Boulevardzeitungen eine auflagenstarke, unabhängige und meinungsbildende Presse gegenüber, von der insbesondere die „Neue Freie Presse“ internationales Ansehen genoß. Aber auch die Parteizeitungen mit ihren profilierten Führungskräften wie beispielsweise Friedrich Austerlitz und Otto Bauer in der „Arbeiter-Zeitung“ und Friedrich Funder in der „Reichspost“ hatten einen starken Anteil an der Meinungsbildung der österreichischen Bevölkerung. Die unabhängige Presse befand sich fast zur Gänze in jüdischen Händen, und jüdische Redakteure prägten größtenteils das Gesicht der Zeitung. Begabt mit einem kritischen Verstand, sorgten sie für politische Übersicht, wirtschaftliche Aufgeschlossenheit und kulturelles Engagement.

1938 erfolgte dann der große Einschnitt. Die Redaktionen wurden von den jüdischen Mitarbeitern „gesäubert“ und die Zeitungen insgesamt gleichgeschaltet. Obwohl der nationalsozialistische Staat gesetzlich ein abgeschlossenes Studium für die führenden Schriftleiter, wie nun die Redakteure hießen, verlangte, wirkte sich dies nicht positiv auf das Niveau der Presse aus, weil es keine Meinungsfreiheit gab, ohne die es keine gute Zeitung geben kann. 1945 folgte die nächste Säuberung, dieses Mal von den nationalsozialistischen Schriftleitern. Rechnet man noch das Jahr 1934 dazu, so erfolgte in Österreich dreimal eine Auswechslung der Journalisten aus politischen Gründen, ein Aderlaß, der sich bis in die Gegenwart auswirkte. Besonders einschneidend aber war, daß die Alliierten in Wien zunächst nur den drei Parteien Zeitungslizenzen gewährten und als Novum eine von allen Parteien herausgegebene Zeitung, das „Neue Österreich“, zuließen. In den von den Westalliierten besetzten Bundesländern hingegen wurde eine andere Pressepolitik eingeschlagen. Hier kamen unabhängige Zeitungen heraus, was für die Entwicklung des Zeitungswesens im Westen und Süden Österreichs als Gewinn gewertet werden kann. In Wien jedoch war die Entwicklung anders und führte zu dem unerfreulichen Zustand von heute. Finanzielle und politische Unabhängigkeit erhielten sich nur die Boulevardzeitungen „Kurier“ und „Kronenzeitung“, während alle übrigen Wiener Tageszeitungen, von der „Amtlichen Wiener Zeitung“ abgesehen, parteipolitischer Finanzihoheit unterworfen wurden. Am bedauerlichsten ist diese Entwicklung bei der noch immer angesehensten Wiener Tageszeitung, der „Presse“, die aus finanziellen Gründen aus privatem Besitz in den der Bundeswirtschaftskammer überging, weil sich kein Privatmann fand, der jährlich für ein Millionendeflzit aufkommen wollte. Nun hat die Geschichte des Zeitungswesens bewiesen, daß Einzelpersonen und Gremien als Herausgeber wesentlich besser für das Klima von Redaktionen sind als Parteibüros und Interessenvertretungen wie Kammern und Gewerkschaften.

Die heutige Entwicklung ist um so bedauerlicher, als sie gleichzeitig mit dem Niedergang der Parteizeitungen erfolgt, was bedeutet, daß politische Meinungsbildung außer Kurs gerät. Damit aber büßen die Zeitungen in Wien eine ihrer wichtigsten Aufgaben ein. Rein optisch zeigt sich dies, daß an Stelle des meinungsbildenden Leitartikels und Kommentars die Rubriken treten, die geradezu zu einer Zeitungsseuche geworden sind. In ihnen vermittelt der Redakteur nur ganz selten mehr seine persönliche Meinung, sondern redet dem Leserpublikum um den Mund. Eine Demokratie ist aber auf die Dauer nur haltbar durch eine aktive Teilnahme der Bevölkerung, wozu Diskussion und Meinungsbildung gehören.

Der Trend zur Massenzeitung bringt gleichzeitig einen Abfall des Niveaus mit sich. War der gebildete Redakteur in der großen jüdischen Presse der Ersten Republik eine Selbstverständlichkeit und im Dritten Reich eine gesetzliche Einrichtung, so ist er heute eine Seltenheit. Der Sportjargon setzt sich auch im politischen Teil und im Kulturteil der Zeitung durch.

Ob hier ein Wandel möglich ist? Kaum! Immerhin würden gewisse Maßnahmen einige Verbesserungen mit sich bringen. Zunächst könnte die schon so oft angekündigte Reform des Pressegesetzes dem Berufsstand des Journalisten eine Aufwertung verschaffen bei gleichzeitiger Erhöhung seiner Verantwortung. Weiters würde eine Gesundschrumpfung notwendig sein, das heißt, es müßten vor allem jene Boulevardblätter vom Markt verschwinden, die subventioniert werden. Was die Parteizeitungen betrifft, so ist ihr Weiterbestand eine politische Notwendigkeit, doch sollten sie, da sie ohne Subventionen kaum mehr auskommen, auf einem höheren Niveau gehalten werden. Sie würden deshalb keine Leser verlieren, wohl aber an Ansehen gewinnen. Die „Presse“ jedoch müßte auf jene finanzielle Basis gestellt werden, die sie zumindest von Parteistrategie und Parteitaktik unabhängig macht. Ob sich diese Maßnahmen allerdings durchführen lassen, steht auf einem anderen Blatt. Notwendigkeiten werden in Österreich noch lange nicht als solche auch gewertet.

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