6663860-1960_22_09.jpg
Digital In Arbeit

Vergebliche Hoffnung

Werbung
Werbung
Werbung

Keine politische Gruppe, welche hinter den Fronten des zweiten Weltkrieges zeitweise in Erscheinung trat, ist umstrittener als das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der damit gekoppelte „Bund Deutscher Offiziere“. Für viele gelten beide als Gruppierungen von „Verrätern“, und, wie Vorankündigungen eines westdeutschen Verlages erwiesen, als historische Zellenbildung des jetzigen ostdeutschen Regimes. Die vielschichtige Problematik des sogenannten „Verrates“ hat Margret Boveri in unserer Epoche der ideologischen Auseinandersetzungen schon vor Jahren untersucht. Deshalb ist eine wissenschaftliche Untersuchung eines deutschen Historikers, der den Berliner Professoren Herzfeld und Hofer besonders zu Dank verpflichtet ist, begrüßenswert, weil auf Grund der bisher vorhandenen Aussagen und Akten die Entstehung des Bundes Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943 bis 1945, so wie deren Einsatz im Rahmen der sowjetrussischen Politik geklärt wird, allerdings mit der vom Verfasser schon im Vorwort betonten Einschränkung, daß die Unterlagen der sowjetischen Archive nicht benutzt werden konnten. Immerhin aber konnte Scheurig wertvollste Aussagen der beteiligten Offiziere verwenden, und mit Unterstützung der Kongreßbibliothek Washington und der Hoover-Library in Stanford eine eindrucksvolle Darstellung liefern. Die Geburtsstunde einer oppositionellen Gruppe unter den deutschen Kriegsgefangenen in den sowjetischen Lagern war der Opfergang von Stalingrad, da eine Armee vom Oberbefehlshaber bis zum letzten Mann bewußt einem sinnlosen strategischen Gedanken und billiger Propaganda ausgeliefert wurde. Als Kontakt-' kader erwiesen sich ab Juni 1943 die kommunistischen, Emigranten, an der Spitze Ulbricht, die versuchten, zunächst ideologisch die Werbung unter den kriegsgefangenen Offizieren und Mannschaftspersonen durchzuführen. Deutlich erkennbar ist aber der Wunsch Stalins, vertreten durch ein Mitglied des Zentralkomitees der russischen KP, die Offiziere, und vor allem die Generäle der preußischdeutschen Wehrmacht zu aktiver Tätigkeit zu gewinnen. Hier konnte nicht mit den Parolen des Kommunismus gearbeitet werden, sondern nur mit den nationalen Ideen des Bismarck-Reiches, jener deutschen Staatsgründung, die vom Preußentum her so viele Bindungen zur zaristischen Armee besaß (Uniformen, Schulterklappen, Brauchtum, Mythos von Tauro?gen). Deshalb wurden die anfänglichen Versuche des sogenannten „Nationalkomitees“ auf kommunistischer Basis rasch überspielt durch nationale Parolen, durch Verwendung der schwarzweiß-roten Farben und bewußten Appell an die Mentalität der Offiziere. Es ist bezeichnend, daß die NKWD zunächst die Generalsgruppe zu gewinnen trachtete; dabei gab man Zusicherungen, daß Moskau sich für ein Reich in den Grenzen von 1938 mit Einschluß Österreichs einsetzen werde und die deutsche Wehrmacht bestehen bleiben solle (S. 57), falls es den deutschen Offizieren gelinge, von sowjetischem Boden aus die Wehrmachtsführung zu einer Aktion gegen Hitler zu gewinnen. Unter den begeisterten Mitarbeitern des sich nun bildenden „Bundes Deutscher Offiziere“ ist der General der Artillerie, Walther v. Seydlitz-Kurzbach der profilierteste Vertreter gewesen. Man glaubte offenkundig im Kreml an eine Verwirklichung der Propagandaparolen, die nunmehr bis zum aktiven Einsatz an der Front vorbereitet wurden, und gewann im Schreckensgespenst des Nationalkomitees und des Offiziersbundes eine wertvolle Waffe außenpolitischer Natur gegenüber den westlichen Verbündeten. Roosevelt und Churchill mußten, wie die inzwischen bekanntgewordenen russisch-deutschen Sondierungen des Kremls in den Jahren 1942 und 1943, ja bis 1944. über Schweden erweisen, annehmen, daß eine Neuauflage des Ribbentrop-Stalin-Paktes von 1939 jederzeit Wirklichkeit werden könnte. Somit enthüllt sich jetzt das komplizierte Spiel der russischen Politik, mit den Marionetten in der feldgrauen Uniform (mehr als ein zeitweiliger außenpolitischer Druck denn ein ernst gemeinter Versuch), die deutsche Opposition gewissermaßen vom Osten her zu unterstützen. Der tatsächliche Einsatz an den Fronten durch aktive Propaganda, ja sogar durch Kommandos des Bundes der Deutschen Offiziere und des Nationalkomitees, war enttäuschend, und das immer wieder auftauchende Gespenst einer deutschen Armee im Rahmen der sowjetischen Heere wurde nie Wirklichkeit. Der 20. Juli 1944 hatte insofern noch einen propagandistischen Effekt, als Feldmarschall Paulus unter der Einwirkung der Berichte über die Hinrichtung der führenden Männer des 20. Juli am 8. August 194,4 als höchster deutscher Offizier in sowjetischer Kriegsgefangenschaft sich an die Spitze des Nationalkomitees und des Offiziersbundes stellte. Aber sein Beitritt und die dann mehr und mehr die Reihen der Offiziersgruppe verstärkenden Generäle, welche nach dem Zusammenbruch der einzelnen Heeresgruppen im September 1944 in die Gefangenenlager kamen, konnten kaum noch wirksam werden, um so mehr, als die russischen Armeen sich dem Reichsgebiet näherten und nicht mehr auf die Hilfe der Opposition angewiesen waren. Mühelos vermochte die zeitweilig zurückgedrängte Gruppe der deutschen Kommunisten unter der Führung Ulbrichts ihren russischen Auftraggebern klarzumachen, daß das Ende einer möglichen Mitwirkung der kriegsgefangenen Generalität bei der Gestaltung der Geschicke im deutschen Raum gekommen war. Bezeichnenderweise wurden nur die ideologisch zum Kommunismus übergegangenen Offiziere für die zukünftige Arbeit in der DDR eingesetzt, während Idealisten, wie Seydlitz, aber auch Paulus, in jahrelanger Gefangenschaft Gelegenheit hatten, ihre Entscheidungen zu revidieren. Eine pauschale Verurteilung beider Bewegungen, sowohl des Nationalkomitees als auch des Offiziersbundes, ist primitiv; letzten Endes „traten sie in einer Ausnahmesituation hervor, die sich kaum wiederholen wird“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung