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Vergessener Acker des Kommunismus

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In den Stunden, da diese Zeitung in Druck geht, wird die Veröffentlichung einer Botschaft (nicht eines Kommuniques) ven über achtzig kommunistischen Parteidelegationen angekündigt, die sich anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution in Moskau versammelt hatten. Sie werden vor der Weltöffentlichkeit die neuen Marschziele des Kommunismus verkünden, über die es eine wochenlange Debatte gegeben haben muß. Das Dokument wird auch durch österreichische Kommunisten mitunterzeichnet sein. Wir wissen nicht, inwieweit es ihnen möglich war, zur Auseinandersetzung selbst einen eigenständigen Beitrag zu leisten. Es ist anzunehmen, daß sie sich für die Koexistenzlinie Chruschtschows und nicht für das Konzept der Chinesen erklärt haben ... wenn sie überhaupt gefragt wurden. Für alle Fälle werden die Moskauer Beschlüsse auch für die österreichische KP absolut und orthodox bindend sein, da sie kaum in der Lage sein dürfte, irgendwelche Extratouren zu steuern. Es erscheint uns gerade in dieser Stunde interessant, einen Überblick über das Instrument zu gewinnen, das dem internationalen Kommunismus in unserem Lande zur Durchführung seiner Ziele zur Zeit zur Verfügung steht. Wenn nicht alles trügt, dürfte es kaum eines der wirksamsten sein. Und es ist auch nicht anzunehmen, daß der österreichische Wähler in absehbarer Zukunft seine Schlagkraft verstärken wird. Aber die kommunistische Strategie operiert bekanntlich nicht nur mit den Wählerzahlen...

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In den Stunden, da diese Zeitung in Druck geht, wird die Veröffentlichung einer Botschaft (nicht eines Kommuniques) ven über achtzig kommunistischen Parteidelegationen angekündigt, die sich anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution in Moskau versammelt hatten. Sie werden vor der Weltöffentlichkeit die neuen Marschziele des Kommunismus verkünden, über die es eine wochenlange Debatte gegeben haben muß. Das Dokument wird auch durch österreichische Kommunisten mitunterzeichnet sein. Wir wissen nicht, inwieweit es ihnen möglich war, zur Auseinandersetzung selbst einen eigenständigen Beitrag zu leisten. Es ist anzunehmen, daß sie sich für die Koexistenzlinie Chruschtschows und nicht für das Konzept der Chinesen erklärt haben ... wenn sie überhaupt gefragt wurden. Für alle Fälle werden die Moskauer Beschlüsse auch für die österreichische KP absolut und orthodox bindend sein, da sie kaum in der Lage sein dürfte, irgendwelche Extratouren zu steuern. Es erscheint uns gerade in dieser Stunde interessant, einen Überblick über das Instrument zu gewinnen, das dem internationalen Kommunismus in unserem Lande zur Durchführung seiner Ziele zur Zeit zur Verfügung steht. Wenn nicht alles trügt, dürfte es kaum eines der wirksamsten sein. Und es ist auch nicht anzunehmen, daß der österreichische Wähler in absehbarer Zukunft seine Schlagkraft verstärken wird. Aber die kommunistische Strategie operiert bekanntlich nicht nur mit den Wählerzahlen...

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„Die Furche“

Fünf Tage vorher kam die Absage; nicht aus dem ZK der KPÖ, sondern aus Moskau. Die österreichische Delegation, die zu den Oktoberfeierlichkeiten nach Moskau gefahren war und als Zaungast während der Parteibesprechungen blieb, erklärte, daß der XVII. Parteitag der KPÖ am 8. Dezember nicht stattfinden könne. — „Die ideologischen Probleme, die dem Parteitag unterbreitet werden sollten, sind noch nicht völlig ausgereift.“ — Mit dieser Begründung gab man die Anordnung den höheren Funktionären weiter. Sie verstanden. — Der in Moskau geschlossene Kompromiß zwischen den einander bekämpfenden Fraktionen war zu locker ausgefallen, um einen ganzen Parteitag darauf aufzubauen, auch wenn es nur der Parteitag der KPÖ ist. Den unteren Funktionären gab man in traditioneller Verschlossenheit keine Begründung. Dort hieß es nur: „Der Parteitag ist verschoben.“ Das mußte genügen.

VIEL WÄRE ES OHNEHIN NICHT GEWESEN

Der Vertagungsbefehl kam der KPÖ wie gerufen. Die organisatorischen Vorbereitungen zum Parteitag waren schon Mitte November zusammengebrochen, und man mußte einsehen, daß der Organisationsapparat der KPÖ zu schwach ist, selbst für die Vorbereitung eines Parteitages bescheideneren Kalibers. In der letzten Novemberwoche hatte die Hälfte der Parteiorganisationen ihre Parteitagsversammlung nicht abgehalten, und Anfang Dezember war nur ein Bruchteil der Delegierten nominiert. Wenn der Parteitag zur Zeit abgehalten worden wäre, wäre er zu einer öffentlichen Demonstration der organisatorischen Schwäche der KPÖ geworden und hätte enthüllt, daß diese „Partei der Avantgarde des Proletariats“ in einigen großen Industriebezirken kaum noch über eine Organisation verfügt. Wie hätte man Delegierte aus den Kreisen Neunkirchen und Ebensee auf die Beine bringen sollen, wenn es dort keine aktiven kommunistischen Gruppen mehr gibt, die halbwegs repräsentative Delegationen entsenden können. So befreite der Befehl der Moskauer Delegation der KPÖ das ORG-Büro von dem Alpdruck, daß der Parteitag zu einem Zeugnis der Isolierung und der organisatorischen Schwäche der Partei werden könne.

SELBSTKRITIK ZIEHT NICHT MEHR

Die Gründe für die Verschiebung des Parteitages sind symptomatisch für die Situation der KPÖ. Sie ist ideologisch die unselbständigste unter den kommunistischen Parteien. In dieser Partei, die in den zwanziger Jahren von ernsten Fraktionskämpfen zerrissen war und mit ihren grundlegenden Diskussionen und Beschlüssen oft die ideologische Entwicklung in der Komintern beeinflußte, gibt es heute keine Auseinandersetzungen mehr. Aber es ist nicht „proletarische Disziplin“ oder grundsätzliche Einigkeit, die es verhütet, daß die KPÖ von Diskussionen, Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten zerrüttet ist, wie sonst der internationale Kommunismus von heute, sondern die ideologische Friedhofsstille auf einem vergessenen Acker des Kommunismus.

Künstlich wollte das Agitprop-Ressort im ZK zur Vorbereitung des Parteitages eine „Diskussion im Parteimaßstab“ über die Beschlüsse der Bukarester Kommunistenführerkonferenz im Juni dieses Jahres als Vorbereitung des Parteitages aufziehen. Diese „Diskussion“ — das Wort ist hier im bolschewistischen Sinn gebraucht, der darunter keinen Wettstreit von Meinungen, sondern die dialektische Begründung eines vorgefaßten Beschlusses versteht — fiel flach und versickerte im Sand einer allgemeinen Interesselosigkeit unter den Parteifunktionären.

Nachdem der Versuch einer „Diskussion“ über ideologische und politische Fragen fehlgeschlagen war, versuchte die Partei, das Zentralkomitee mit einer „Selbstkritik“, die es unter dem Titel „Zur Diskussion des XVIII. Parteitages“ veröffentlichte. Aber auch das verfing nicht. Die alte Zugkraft des „dialektischen Masochismus“ gibt es nicht mehr. Verbraucht und verflogen ist alles das, was die alte Kommunistische Partei Österreichs zu einer fehlgehenden, aber doch aus dem Österreich der Ersten Republik nicht wegzudenkenden Intellek-tuellensubstanz gemacht hat.

Das Zentralkomitee gesteht es in seinen „Diskussionsbeiträgen“ selbst ein: „Die Partei hat der Vorbereitung und Erarbeitung der programmatischen Leitsätze ... große Aufmerksamkeit gewidmet. Aber es muß festgestellt werden, daß nach der Veröffentlichung des endgültigen Textes... das Zentralkomitee nicht genügend Anstrengungen gemacht hat, um die .Leitsätze' in ihrer Partei und der Arbeiterschaft zu popularisieren, sie zu einem Hebel der politischen Massenarbeit zu machen.“

Die Diskussionsbeiträge des Zentralkomitees, die Thesen der Parteiführung zum XV1I1. Parteitag der KPÖ sind voll von Angriffen gegen die „Revisionisten“ und von Meldungen ideologischer Siege der Partetlinie über das Lager des Revisionismus. Die Parteiführung ist sogar bereit, Oppositionen zu erfinden, um Erfolge zu melden und ideologisches Parteileben vorspielen zu können. Aber umsonst: im österreichischen Kommunismus gibt es keinen Revisionismus mehr, auch keinen Doktrinarismus. Vom Zentralkomitee bis in die untersten Orts- und Bezirksgruppen lacht man über die Schattenvom internationalen Kommunismus verbunden. Viel zu unselbständig, um Diskussionen im eigenen Heim zu führen und eigene Beschlüsse fassen zu können, versuchten die österreichischen Kommunisten während des ganzen Jahres, Anschluß an die Entwicklung im internationalen Kommunismus zu finden. Das internationale Lager läßt aber die österreichischen Kommunisten liegen; links oder rechts oder, wo man will. Als in den mittleren Monaten dieses Jahres die Führer der Kommunistischen Parteien in Westeuropa nach Moskau eingeladen wurden, um an den Vorbereitungen zu einem sowjetischchinesischen Kompromiß mitzuwirken, warteten die österreichischen KP-Führer vergeblich auf eine Einladung. Um nicht vollständig abgehängt zu werden, flog Hexmann dann — nach Rom zu Togliatti. Er kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück und mußte eingestehen, daß der italienische Kommunistenführer über die Diskussionen, die er in Moskau geführt hatte, nicht sehr gesprächig gewesen war.

Die einzige internationale Informationsquelle größerer Bedeutung, die den österreichischen Kommunsten noch geblieben war, ist die Redaktion der internationalen KP-Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus“ in Prag. Die österreichischen Kommunisten hatten in der Komintern immer eine bedeutende Rolle in den Redaktionen der internationalen KP-Organe „Internationaler Kommunismus“ und „In-precorr“ gespielt. Sie klammern sich nun an diese Tradition und es gelang den führenden Parteifunktinären Hexmann und Dr. Glaubauf tatsächlich, sich in die Arbeit des Prager Bulletins einzuschalten und sich eng an den sowjetischen Chefredakteur Rumjanzew heranzuarbeiten. Das macht Hexmann zum wichtigsten Funktionär der KPÖ, dem einzigen, der heute noch Rang und Namen im internationalen Kommunismus hat, und der ein bißchen von der Atmosphäre der internationalen Diskussionen nach Wien bringt,

DAS ALTE LIED VOM NEUEN KADER

Seit Jahren versucht die KPÖ aus der Sackgasse der politischen Bedeutungslosigkeit innerhalb Österreichs und innerhalb des internationalen Kommunismus durch eine „neue Kaderpolitik“ zu kommen. Zumindest zweimal in jedem Jahr kommt die Parole „junge Kader in die führenden Funktionen“ heraus, und man erhofft sich Wunder — oder man tut wenigstens so. Aber junge Kader für den Apparat der kommunistischen Partei zu bekommen, erweist sich immer wieder als vollständg unmöglich. Die Freie Österreichsche Jugend hat eigene Kadersorgen und die Organisationen der Arbeiterjugend sind längst kein Reservoir mehr für den Funktionärapparat demokratischer Parteien, geschweige denn der kommunistischen Parteien.

So sieht man seit Jahr und Tag dieselben Gesichter in allen Ausschüssen und Leitungen. Sie werden grau und alt, und alles was sie sagen und tun ist nur noch Routine oder Reflex einer in völlige Erstarrung übergegangenen, ehemals revolutionären Partei! Ganz oben: Koplenig, Fürnberg, Lauscher, Glaubauf, und als Denkmal aus der Zeit des „internationalen Apparates“ — der alte Konspirateur Hexmann. Nicht einer ist dazu gekommen.

In der Mitte, wo der profilierteste, interessanteste und geistig wesentlichste immer saß, ist der Sessel leer. Ernst Fischer ist schwer krank. Aber auch seine Stimme hätte kaum mehr Leben in jene Partei gebracht, deren Zeit so offensichtlich vorbei ist.

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