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Verhaftung in Bonn

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uie vernartung des angesehenen ausanner Rechtsanwalts und Wie- er Verlegers Prof. Dr. Hans Deutsch :hlug in der vergangenen Woche in onn wie eine Bombe ein. Dem achanwalt für Fragen der jüdi

schen Wiedergutmachung wird vor geworfen, durch Manipulationen m falschen eidesstattlichen Erklären gen die Bundesrepublik um 17 Mil lionen Mark betrogen zu haben. Da Bonner Finanzministerium, ebens wie das Auswärtige Amt von diese Affäre äußerst peinlich berührt, ver sicherte sehr schnell, daß es sich hie um einen besonderen „Einzelfall handle.

Die Gemäldesammlung Hatvanyi

Das Bundesfinanzministerium ha sich sehr lange Zeit gelassen un umfangreiche interne Untersuchun gen angestellt, ehe die Festnahm erfolgte.

Im Hintergrund der ganze: Aktion steht die aus Ungarn ver schleppte Gemäldesammlung de Barons Ferenc Hatvanyi. Der 1955 i der Schweiz verstorbene Baron wa ein international renommierte Sammler impressionistischer Bildei Die Erben Hatvanyis beauftragte: den Stuttgarter Rechtsanwalt Dok tor Tibor Calles, in der Bundes republik einen Wiedergutmachungs antrag zu stellen. Der Schade: wurde hier mit 2,800.000 DM ange geben. Die zuständigen deutsche: Behörden mußten aber den Wieder gutmachungsantrag der Hatvanyi Erben ablehnen, da weder sie nocl Rechtsanwalt Dr. Calles einen Be weis dafür antreten konnten, da die in Ungarn geraubten Bilder i; die heutige Bundesrepublik gebrach wurden. Alles was jetzt kommt um sich über einen Zeitraum von runi acht Monaten erstreckt, ist noch ii Dunkelheit gehüllt. Dr. Calle brachte zwei Zeugen bei, einei früheren Oberst der ungarische; Gendarmerie und einen in West Berlin lebenden ehemalige! SS-Obersturmbannführer, die eides stattlich versicherten, daß Baro; Hatvanyi die größte und wert vollste Sammlung impressionist! scher Bilder in Ungarn besessei habe, und daß diese Sammlung naci München ausgelagert wurde. Weiter hin gelang es den Hatvanyi-Erbei einen Vorkriegskatalog der Samm lung aufzutreiben. Darauf und au die beiden eidesstattlichen Erklärun

en gestützt, beantragte Rechtsanwalt >r. Calles die Wiederaufnahme des rerfahrens.

Vert: 400 Millionen Mark

Mit einem Male hatte die ver

schwundene Gemäldesammlung nicht mehr den im ersten Verfahren bezifferten Wert von nur 2,8 Millionen Mark. Der Stuttgarter Anwalt bezifferte den Wiedergutmachungsbehörden gegenüber den Wert auf 400 Millionen Mark. Diese schwindelerregende Summe wurde sofort dem Bundesfinanzministerium zur Kenntnis gebracht. Auch der SPD- Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Dr. Martin Hirsch erfuhr sie sehr schnell. Zwischen der ersten Wiedergutmachungsforderung und der Summe von 400 Millionen Mark liegt nun der Hintergrund der jetzt erfolgten Verhaftung von Professor Deutsch!

Dr. Calles war mit dem ganzen Komplex nicht weitergekommen und wandte sich an den in Lausanne lebenden Deutsch, der wiederholt erfolgreich in Wiedergutmachungsfragen gearbeitet hatte und bei den zuständigen deutschen Stellen hohes Ansehen genoß. Prof. Deutsch war der Verhandlungspartner zwischen der Pariser Familie der Rothschilds und Stellen der deutschen Regierung und hatte die sehr hohen und rechtmäßig einwandfreien Wiedergutmachungsforderungen der Bankiersfamilie durchgesetzt. Was nun kommt, bedarf noch intensiver Prüfungen der Finanzbehörden und der Staatsanwaltschaft. Prof. Deutsch hatte mit den Erben des Barons Hatvanyi und Dr. Calles ein Erfolgshonorar ausgemacht. Nach einer vertraulichen Aktennotiz über den Fall sah die Vereinigung wie folgt aus. Deutsch verlangte ein Erfolgshonorar von 25 Prozent für die ersten eingeklagten und gezahlten zehn Millionen Mark und 50 Prozent von allen Zahlungen, die zehn Millionen Mark übersteigen würden. Ob sich diese „Vereinbarung“ beweisen läßt, ist Augenblick noch fraglich, da die Akten von Deutsch in Lausanne liegen und die Ermittlungsbehörden es hier recht schwer haben. Bonner Stellen behaupten jedenfalls, auf das Konto von Prof. Deutsch in der Schweiz seien 17 Millionen Mark eingezahlt worden. Aber wieso nur 17 Millionen Mark?

Das Ministerium schweigt

Leiter der Abteilung VI im Bundesfinanzministerium, Ministerialdirektor Koppe, zuständigkeitshalber in die Angelegenheit eingeschaltet und den beiden Anwälten einen Vergleich in der Höhe von 30 Millionen Mark angeboten. Wurde diese Zahlung geleistete und auf das Konto von Prof Deutsch überwiesen? Im Bundesfinanzministerium weiß man

Logischerweise muß die Zahlung iber erfolgt sein, da sonst nicht die schweren Beschuldigungen gegen Deutsch erhoben werden könnten.

Es gibt nun eine Version, die der ,Münchner Merkur“ am vergange- ren Freitag veröffentlichte, wo- iurch Deutsch in Schwierigkeiten geraten sein soli. Das Blatt behauptete unter anderen: „Was den

’rofessor in Schwierigkelter prachte, ist die Tatsache, daß de; ehemalige SS-Sturmbannführer, des- ;en Name in Bonn nicht genann vird, der aber gleichfalls in Haf ein soll, plötzlich nicht mehr wahr- laben wollte, was er früher untei Did ausgesagt hatte. Er widerrie: eine Aussage und beschuldigt' ’rof. Deutsch, ihn zum Meineid an- estiftet zu haben.“

leit über zwei Jahren bekannt

Die ganze Angelegenheit in aller hren Verästelungen ist seit übei wei Jahren prominenten jüdischer Vertretern und einigen Journalister lurchaus bekannt gewesen. Vollei Empörung äußerte sich vor zwe ähren in New York der Präsiden' les Jüdischen Weltbundes, Doktoi Jahum Goldmann, über den „Ver- ;leich“ zwischen den Hatvanyi-

Erben und der Bundesregierung. Dr. Ernst Katzenstein, Vertreter der jüdischen Wiedergutmachungskonferenz in der Bundesrepublik, erklärte (zum gleichen Zeitpunkt wie Doktor Goldmann), die ganze Angelegenheit sei ein Skandal. Mitglieder des „Zentralrates der Juden in Deutschland“ waren ebenfalls empört.

Weshalb wurde erst jetzt zugegriffen? Der erwähnte Ministerialrat Koppe ging in Pension, er ist jetzt 65 Jahre alt. Spielt außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit der Beamte eine Rolle in Jem Gesamtkomplex? Tatsache ist auch, daß ebenfalls voi- zwei Jahren ein Mitglied des höchsten jüdischen Gerichts der- Bundesrepublik, der hochangesehene Journalist Ernest Landau aus München, voller Empörung von einem „großen Korreptionsskandal“ sprach. Bereits damals wurde eine Veröffentlichung des Falles erwogen. Es ist anzunehmen, daß die Bonner Behörden von der peinlichen Affäre aus jüdischen Kreisen informiert wurden.

Bedenken und unbeantwortete Fragen

uem genannten rersuueiuueiä, vor allem den Vertretern der jüdischen Weltorganisation kam die Angelegenheit „spanisch“ vor. Eine so bedeutende Bildersammlung kann nicht spurlos vom Erdboden verschwinden. Es gibt nicht den geringsten Beweis — von den beiden eidesstattlichen Erklärungen abgesehen —, daß die Sammlung Baron Hatvanyis jemals in die heutige Bundesrepublik oder in das alte Reichsgebiet gebracht wurde. Anderseits ist kaum anzunehmen, daß die SS-Dienststellen in Ungarn die Sammlung übersehen hätten. Alle bedeutenden jüdischen Vermögen und Sammlungen in Ungarn wurden durch den SS-Führer Becher und seine Mitarbeiter genau registriert. In allen von den Alliierten beschlagnahmten SS-Akten ist nie von einer

Sen Abtransport durch deutsche Stellen gibt es keinen Beweis. Ein anderer Verdacht ist aber schon vor ängerer Zeit aufgekommen: Sollte nicht die Rote Armee die Sammlung verschleppt haben? In Ungarn selbst sind offensichtlich bis heute keine Recherchen angestellt worden.

In einer vertraulichen Aktennotiz, die im Februar 1963 ein Vertreter hoher jüdischer Organisationen zu dem Gesamtkomplex anfertigte, befindet sich ein interessanter Gedankengang. Wörtlich heißt es hier: „Jüdische Kreise argumentieren, sum Transport eines solchen Kunstschatzes nach Deutschland wäre es irforderlich gewesen, Waggons ab- :ustellen; keineswegs hätte dieser auf Lastautos erfolgen können. Sie bezweifeln sowohl die Behauptung,

laß ein so wertvoller Kunstschatz orhanden gewesen sei, als auch lie weitere Behauptung, daß er nach Deutschland kam. Sie werfen dem Sachbearbeiter im Finanz- ninisterium vor, er habe, entgegen llen Gepflogenheiten, keine Er- nittlungen in dem erforderlichen laße geführt.“

Irfolgshonorare „üblich“

Eine ganze Reihe von in- und ausindischen Rechtsanwälten haben in Viedergutmachungsfragen die in Deutschland unüblichen Erfolgs- lonorare gefordert und erhalten. Diese Tatsache ist eine unerfreuliche Randerscheinung der jetzt aus- aufenden Wiedergutmachung für ationalsozialistisches Unrecht an en Juden. Prof. Hans Deutsch ist ur einer der Anwälte, die solche ‘orderungen stellten und hiermit Irfolg hatten.

Die Bundesregierung will aus rein lolitischen Gründen keine „Wieder- utmachungsaffäre“. Aber intern rregt es nun Aufsehen, daß die Jamen zweier sozialdemokratischer ’olitiker in dem Deutsch-Hatvanyi- Complex unter der Hand genannt i erden: Dr. Martin Hirsch und Dr. Growe-Hannover. Haben sie zur Aufklärung des Falles beigetragen? st durch sie das Bundesfinanzministerium informiert worden? der, eine dritte Frage: Hatte einer on ihnen mit Prof. Deutsch anwalt- chaftliche und freundschaftliche Contakte? Bei dem Schweigen der uständigen Bonner Behörden und es Bundesrückerstattungsamtes in Jerlin ist mit einer Beantwortung licht sehr schnell zu rechnen.

Vorerst sind die schweren Be- chuldigungen gegen Prof. Hans Deutsch noch nicht bewiesen. Polnische Kreise in Bonn sind peinlich >erührt, zumal bis jetzt noch nicht bzusehen ist, ob nicht eine Ketten- eaktion erfolgt, die deutsche Politi- :er und Ministerialbeamte kompromittieren kann.

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