Vermächtnis Toleranz

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Letzten Freitag ist Bernhard Häring, Wegbereiter der nachkonziliaren Moraltheologie, im 86. Lebensjahr gestorben. In einem soeben erschienen Buch setzt er sich für Toleranz ein: das leidenschaftliche Vermächtnis eines Großen der modernen Theologie.

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Letzten Freitag ist Bernhard Häring, Wegbereiter der nachkonziliaren Moraltheologie, im 86. Lebensjahr gestorben. In einem soeben erschienen Buch setzt er sich für Toleranz ein: das leidenschaftliche Vermächtnis eines Großen der modernen Theologie.

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Mehr als 65 Länder der Welt befinden sich derzeit im Krieg oder kriegsähnlichen Zuständen. Die Ursache für diese tragische Tatsache sieht der Moraltheologe Bernhard Häring vor allem in der Intoleranz. In Europa wächst zudem die Angst der Menschen vor den Ausländern, vor den Flüchtlingen, Asylanten und Gastarbeitern und auch damit die Intoleranz denen gegenüber, die Hilfe brauchen.

Der am letzten Wochenende verstorbene Wegbereiter einer "neuen" Moral in der katholischen Kirche hat deshalb gemeinsam mit seinem Schüler Valentino Salvoldi ein leidenschaftliches Plädoyer für die Toleranz verfaßt: "Toleranz, Solidarität und Brüderlichkeit sind die drei Momente eines einzigen Weges zu Gott und zu unserer vollen Selbstverwirklichung als Menschen!" Häring will gemeinsam mit Salvodi einsichtig machen, daß im Zusammenleben der Menschen und Völker Austausch, Begegnung und die Suche nach gemeinsamen Werten das Gebot der Stunde sind.

Der Doyen der Moraltheologie und sein Schüler beschreiben die verschiedenen Ausdrucksformen der Intoleranz auf allen Ebenen menschlichen Lebens: Kompromißlosigkeit, Unduldsamkeit und Streit, aber auch Nationalismus und Rassismus. Sie legen die Wurzeln diese Verhaltensweisen in einfachen Worten frei, machen aber ebenso unmißverständlich deutlich, daß trotz aller verstehbaren Angst vor dem Fremden das Streben nach Gemeinsamkeit die einzige Überlebenschance der Menschheit ist. Toleranz ist für sie der Wert, den es zu verwirklichen gilt, will die Menschheit nicht zugrunde gehen.

Gerade in der Einfachheit von Argumentation und Sprache wird sichtbar, daß das Anliegen Härings noch immer höchst aktuell ist. Und wahrscheinlich führt angesichts der Lage der Welt wohl kein Weg daran vorbei, eindeutig, klar und ohne Umschweife moralische Imperative auszusprechen, die keiner weiteren Begründung bedürfen als der Tatsache, daß alle Menschen gleich sind, die gleichen Schwächen und dieselben Sehnsüchte nach Glück haben. Die Autoren bringen außerdem noch einen Überblick über biblische Grundlagen für eine Philosophie der Toleranz - eher ein Tugendkatalog denn philosophische Analyse.

Toleranz ist für Häring und seinen Schüler Salvodi kein passives Ertragen von Widrigkeiten und Fremdheit, sondern ein alltägliches Mühen um Gemeinsamkeit, das dort spielerische Züge bekommen kann, wo die Vielfalt der Menschen und Kulturen als Bereicherung erlebt werden kann. Glaubt man Häring, ist es bis dahin freilich ein weiter und harter Weg. Auf diesem Weg gilt es, Dialog mit allen Kulturen und Religionen zu pflegen - und die Verfasser zeigen Berührungspunkte, wie dies möglich sein könnte. Häring und Valentino sprechen sich außerdem für das gemeinsame Ringen um eine moralische Weltautorität aus, die allerdings nur zugleich mit dem Subsidiaritätsprinzip zu verwirklichen sein wird - auch innerhalb der Kirche. Schließlich geht es in der gemeinsamen Suche nach Frieden auch um die Wahrheit - und diese Suche muß keinesfalls zur Intoleranz führen.

Nicht zuletzt diese Schlußfolgerung macht das Buch auch zum Vermächtnis eines der letzten großen Neuerer der Theologie im 20. Jahrhundert.

Mit Bernhard Häring verstarb einer der Impulsgeber des II. Vatikanums. Der 1912 in Schwaben Geborene trat bei den Redemptoristen ein, von 1957-87 lehrte er in Rom Moraltheologie. Schon sein 1954 veröffentlichtes Werk "Das Gesetz Christi" war von Härings Überzeugung beseelt, einem moralischen Rigorismus gegenüber die Gewissensentscheidung des einzelnen zu betonen. Auch sein Hauptwerk "Frei in Christus" (1979) war dieser Frage gewidmet. Johannes XXIII. berief Häring zum Konzilsberater, wegen seiner Ansichten geriet er mehrmals in Konflikt mit den Glaubenshütern, insbesondere wegen seiner Kritik an "Humanae vitae"; zu einer Verurteilung kam es allerdings nicht. Seit 1988 lebte der an Kehlkopfkrebs Erkrankte im bayrischen Gars am Inn. Trotz seiner Krankheit war Häring bis zuletzt als engagierter und kirchlichen Zentralismus scharf kritisierender Autor und Vortragender tätig. ofri TOLERANZ. Eine tägliche Herausforderung. Von Berhard Häring und Valentino Salvodi. Aus dem Italienischen von Helmut Machowetz. Verlag Styria, Graz 1998. 128 Seiten, brosch., öS 181,

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