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Versäumte Aufklärung

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Besser, schneller und vor allem billiger zu produzieren, ist das große Problem, dem Österreich derzeit zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz gegenübersteht. Das Ziel ist gesteigerter Absatz seiner Erzeugnisse im In- und Ausland durch deren Verbilligung. Erreicht soll es werden durch Anpassung an die amerikanische Fabrikationstechnik. Es ist eine gewaltige Aufgabe, an deren erfolgreicher Lösung die ganze Bevölkerung direkt oder indirekt teil hat. Allerdings ist sie sich dieser in weitem Umfang noch nicht bewußt.

Das Wort Produktivität ist die nicht besonders glücklich gewählte Interpretation des amerikanischen Wortes efficiency. Für dieses gibt es kein voll zutreffendes deutsches Gleichwort. Es bedeutet Tüchtigkeit, hohes Leistungsvermögen. Die Unterschiedlichkeit der beiden Begriffe ist keine Haarspalterei, sondern sehr wesentlich. Efficiency bezeichnet eine persönliche und sachliche Eigenschaft. Unter Produktivität versteht man jedoch bei uns etwas anderes, was geeignet ist, Verstehen zu hemmen und Mißverständnisse herbeizuführen. Abgesehen von der häufig beobachteten irrtümlichen Gleichsetzung von Produktivität und Produktion, trifft man vielfach, bis tief in die Reihen der Nächstbeteiligten hinein, die Auffassung, Produktivität beziehungsweise deren Steigerung sei lediglich eine Frage der Beschaffung amerikanischer Hochleistungsmaschinen und deren zweckentsprechende Verwendung, also im Wesen eine Angelegenheit von Dollars und nicht viel anderem.

Darin liegt ein schwerwiegender Irrtum. Lediglich auf sachlichem Wege, also durch die Anpassung unserer Fabrikseinrichtungen an die amerikanischen, kann das Problem der Produktivitätssteigerung nicht gelöst werden. Wer der staunenswerten Entwicklung nachgeht, die in kaum mehr als hundert Jahren die Vereinigten Staaten aus einem Pionierland, das noch recht deutlich die Züge einer früheren Kolonie trug, zur ersten Wirtschaftsmacht der Welt machte, wird unschwer erkennen, daß der hohe Leistungsstand seiner Industrie nicht allein aus dem Bereich des Materiellen erwuchs, sondern daß dabei ein ideelles, eigentlich psychisches Moment entscheidend mitwirkte: der Geist des mächtigen Ansporns, den das Wort efficiency beinhaltet.

Dieser Ansporn entsprang dem Druck höchst ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse, die der Prosperität des jungen Staates im Wege standen, dem Mangel an Arbeitskräften, den dadurch bedingten hohen Löhnen und den daraus resultierenden überhohen Kosten seiner Erzeugnisse. Österreich spürt zur Zeit einen ähnlichen Druck, nur ist bei uns nicht ein Mangel an Arbeitskräften oder hoher Lohn dafür verantwortlich, sondern unser ungenügender sachlicher und individueller Leistungsstandard. Erst als aus schwieriger Lage in Amerika der Geist des Wortes efficiency erwuchs und zum Leitmotiv der gesamten Nation wurde, setzte sein Aufstieg ein. Dieser Geist kann jedoch mit ERP-Millionen nicht erkauft werden, und er ist keine automatische Zugabe von Maschinenimporten. *

Eine überaus lehrreiche Erinnerung drängt sich dabei auf. Zwischen den zwei Weltkriegen pachtete der große amerikanische Konzern der General Mot die Opel-Werke in Rüsselsheim, um auf deutschem Boden die Automobilfabrikation aufzunehmen, mit den gleichen Maschinen und Arbeitsmethoden wie in Amerika sowie unter amerikanischer Leitung. Man hatte in Detroit gerechnet, daß unter gleichen Verhältnissen, jedoch mit den viel niedrigeren deutschen Löhnen — sie waren damals noch nicht halb so hoch wie die amerikanischen —, das Produkt wesentlich billiger hergestellt werden könne als in Amerika. E s w a r ein Irrtum, die Rechnung ging nicht auf und das Experiment wurde abgebrochen.

Die hohe Stufe der amerikanischen Produktivität war das Resultat einer allmählichen Entwicklung. Ausschlaggebend für den Erfolg war, daß es dort gelang, die werktätige Bevölkerung zur vollen Einsicht dafür und für eine willige Mitarbeit zu gewinnen, indem in ihr die Erkenntnis erweckt wurde, daß die starke Verbilligung der Produktion der einzige gesunde Weg zum Wohlstand des Landes und damit jedes einzelnen sei.

Dasselbe gilt heute für Österreich, dessen Leistungsstandard, also das Verhältnis von Leistung zu den Kosten, sich noch immer in einem bedenklichen Tief befindet, selbst gemessen an jenem der anderen europäischen Industrieländer. Die Kosten vieler bei uns erzeugter Güter liegen über den Weltmarktpreisen. Ihre Verbilligung ist für uns eine gebieterische Forderung, ähnlich wie seinerzeit für Amerika. Von den dort in gleicher Lage gewonnenen Erkenntnissen der werktätigen Bevölkerung sind wir jedoch noch recht weit entfernt. Der Zweck der Verbilligung wird vielfach noch verkannt. Die Reaktion der Arbeiterschaft auf die Ankündigung des Unternehmens, dessen Produktivität zu heben, war ein tiefes Mißtrauen. Sie erblickte darin ein neues Mittel der Unternehmer zur Bereicherung, und zwar auf Kosten ihrer Arbeitskraft, und verlangte, daß die Früchte daraus, also die Ersparnisse an Herstellungskosten, in erster Linie ihr in Form von höherem Verdienst, zufallen müßten. Sie forderte weiter einen weitgehenden Einfluß mit Kontrollrecht auf die Verwendung der Ersparnisse. Dazu gesellte sich die entschiedene Auflehnung gegen eine etwa beabsichtigte Anspannung der physischen Arbeitskraft über das bisherige Maß hinaus. Hiebei scheinen ihr die Arbeitssysteme der Volksdemokratien abschreckend vorgeschwebt zu haben.

All das ist nicht weiter verwunderlich, da mit der Ankündigung der Aktion nicht rechtzeitig eine umfassende Aufklärungstätigkeit einsetzte. Auch Amerika ist in den Anfängen seines „efficiency movement“ einer ähnlich ablehnenden Einstellung der Werktätigen begegnet. Allerdings hatten die amerikanischen Arbeitgeber damals Methoden verwendet, die tatsächlich stark an jene erinnern, die heute in den Volksdemokratien üblich sind. Später noch ist sogar die Einführung des Taylor-Systems und die Auswertung der Gilbrethschen Bewegungsstudien auf Schwierigkeiten gestoßen. Die Amerikaner erkannten jedoch rechtzeitig, daß die Anspannung der physischen Arbeitskraft zu Höchstleistungen ein Irrweg war und die iichtige Lösung in der weitestgehenden Schonung der Arbeitskraft liege. Seither ist dieser Gedanke zu einer förmlichen Wissenschaft ausgebaut worden, die sich die Aufgabe stellte, höchstmögliche Leistungen mit dem geringstmöglichen Arbeitsaufwand zu erzielen.

Schon ein Blick in amerikanische Werkstätten macht dies augenfällig. Der österreicher, der es erst seit kurzem erlebt, daß in einigen Wiener Straßenbahnwagen — weitaus nicht in allen — die Fahrer ihren Dienst sitzend verrichten, würde staunend gewahr werden, daß in den amerikanischen Fabriken jede Arbeit, die im Sitzen geleistet werden kann, tatsächlich auch so besorgt wird; nicht etwa bloß in gewöhnlichen Stühlen, sondern in eigens dem spezifischen Verwendungszweck angepaßten Sitzgelegenheiten..

Die vorsorgliche Bedachtnahme der amerikanischen Fabriken auf die Erhaltung der ungeschmälerten Arbeitskraft beschränkt sich nicht allein auf die Arbeitszeit selbst, sondern erstreckt sich auch auf das Privatleben des Arbeiters. Große Fabriken, wie zum Beispiel die Ford-Werke, haben eigene Abteilungen, die sogenannten Weifare departments, eingerichtet, deren Aufgabe es ist, ihm häusliche Sorgen, die seine Leistungen nachteilig beeinflussen, abzunehmen. Von all dem, wie überhaupt von dem hohen Stand des Berufs- und Privatlebens, den der amerikanische Arbeiter erreicht hat, weiß unsere werktätige Bevölkerung 'äußerst wenig und dieses Wenige meistens nur vom Hörensagen, obwohl es darüber sehr viel zu erzählen gäbe. Amerika, als es mit der Rationalisierung der Fabrikationsmethoden begann, hatte es schwer, die werktätige Bevölkerung zu williger und interessierter Mitarbeit zu gewinnen, weil Vorbilder nicht vorhanden waren und der Arbeiterschaft kaum mehr als Zukunftsaussichten vorgehalten werden konnten. Österreich kann jedoch in Amerika die Probe auf das Exempel machen. Die Früchte der erreichten hohen Produktivität sind dort 6chon gereift und weithin sichtbar und kontrollierbar.

Man könnte annehmen, daß bei uns nichts unversucht gelassen werde, unserer werktätigen Bevölkerung alles, was es über diese Früchte zu sagen gibt, zu vermitteln. Es genügt nicht, daß einzelne Funktionäre nach Amerika reisen, um dort Beobachtungen anzustellen und Erhebungen zu machen. Dem ganzen Volk muß ein nachhaltiger Anschauungsunterricht darüber erteilt werden.

Leider läßt die publizistische Vorbereitung und ideelle Fundierung unseres Produktivitätsunternehmens einen solchen bisher vermissen. Unsere Zeitungen und filmischen Reportagen bringen Bilder und Beschreibungen von importierten amerikanischen Maschinen, die aber nur propagandistisch für das hohe Niveau der einschlägigen amerikanischen Industrie wirken, jedoch unserem Volke herzlich wenig von dem sagen, was den arbeitenden Menschen persönlich zunächst interessiert, nämlich, was er, gemessen am amerikanischen Beispiel, von unserer Produktivitätssteigerung erwarten

kann. Wir sehen eine Propaganda solcher Art in den Schaukasten der russischen Besatzungsmacht und in den Spalten der kommunistischen Presse, aber nicht dort, wo sie so überaus notwendig wäre, un die werktätige Bevölkerung an dem Problem tatsächlich zu interessieren.

Es wäre ein schwerer Fehler, anzunehmen, daß die importierten Maschinen dieses Problem selbst und ohne die zusätzliche, verständnisvolle Einstellung der Arbeiterschaft lösen würden. Amerika kann uns mehr lehren als nur die Dinge, die in seinen Fabriken optisch wahrnehmbar sind. Unser Studium des amerikanischen Vorbildes muß tiefer schürfen, das ganze Bild des großen amerikanischen Erfolges erfassen, auch den nicht auf fabrikationstechnischen Gebiet liegenden Teil. Es wird nicht schwer sein, daraus die Mittel und Wege zu entnehmen, die dort dem Produktivitätsgedanken das volle Verständnis der werktätigen Bevölkerung sicherten und so zu diesem außerordentlichen Erfolg führten. Nur wenn wir ein solches Verständnis neben den importierten Maschinen in unseren Produktionsstätten etablieren, werden wir auf den erwarteten und für uns lebenswichtigen Erfolg rechnen können.

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