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Verschrottete Flotte

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Kürzlich tauditen englische Kriegsschiffe vor der Küste Britisch-Honduras auf; dem Kreuzer „Sheffield“, der die Standarte des Admirals Sir William Tennant, des Oberbefehlshabers der amerikanischen und westindischen Stützpunkte, zeigte, folgte die „Devonshire“, Marine.nfanterie wurde ausgeladen und an verschiedene Punkte der Westküste Von Britisch-Honduras geworfen, worauf der Anspruch Guatemalas auf etwas mehr „Lebensraum“ — auch in diesen friedlichen Gefilden irrlichtert also der territoriale Aberwitz — weniger „unabdingbar" wurde. Die Allgegenwart und Allmacht der H.-M.-Flotte sdiien wieder einmal bewiesen. Aber nur einige Tage später war es, daß Winston Churchill der Labourregierung vorwarf, die Hotte einer so rapiden Abrüstung unterworfen zu haben, daß die Seegėltiung Englands einen, seit Jahrhunderten unbekannten Tiefpunkt erreicht habe.

Die Erklärung des Oppositionsführers blieb nicht unwidersprochen. Der Verteidigungsminister Alexander gab die feierlidie Erklärung ab, daß, wie alle Welt wissen solle, die englische Flotte innerhalb weniger Tage zur Aktion bereit sein könne.'Hier haben wir die Behauptung zweier Männer, die beide in bedrohlichen Augenblicken den Posten des Ersten Lords der Admiralität bekleidet haben, mit den verwickelten Fragen der Seekriegsführung aufs beste vertraut sein müssen und sich doęh nicht einmal über die fundamentalsten Gegebenheiten einig zu sein scheinen. Die Gründe für die Entgegnung Alexanders waren naheliegend; schon die Debatte über das Verteidigungsetat hatte gezeigt, wie wichtig es der Regierung im Augenblick ist, die Stärke des britischen Löwen herauszustellen. Die Bemerkung Alexanders läßt offen, ob er seiner Erklärung den traditionellen Machtbegriff: „Englische Flotte“ oder die gegenwärtig im Dienst stehenden, daher natürlich jederzeit einsätzfähigen Schiffen zugrunde gelegt hat. Hält man sich indes an die bisher veröffentlichten amtlichen Daten, so muß. man annehmen, daß die englische Kriegsflotte tatsächlich innerhalb weniger Monate auf die Hälfte ihrer Vorkriegsstärke vermindert worden ist; auch die vorsichtigen Worte Lord Halls — er sprach von „vorübergehender Dislozierung und Mangel an Ausgeglichenheit“ — klingen nicht absolut ermunternd. Der Marinekorrespondent der „Sunday Times" ist sogar der Meinung, daß in absehbarer Zeit die einsatzfähige Flotte nur aus 2 Schlachtschiffen, 10 Flugzeugträgern, 20 Kreuzern und 100 Zerstörern bestehen werde. Demnach müßten seit der Einstellung der Feindseligkeiten etvfra 1200 größere und kleinere Einheiten der Kriegsmarine außer Dienst gestellt worden sein. Tatsächlich sollen 10 Schlachtschiffe, darunter relativ moderne Einheiten, verschrottet werden, ebenso 2 Kreuzer und 100 Zerstörer (für 50 Zerstörer älterer Bauart wurden während des Krieges wertvolle Stützpunkte an die Nordamerikaner abgetreten), ferner 50 U-Boote, ein weiteres Schlachtschiff, 2 Kreuzer und 10 Zerstörer sollen als Zielschiffe dienen.

Einen Augenblick fühlt man sich versucht, zu glauben, daß die Regierung Attle'e sich von den Gedankengängen bewegen lasse, die Ramsay Macdonald in der ruhigeren Atmosphäre der Völkerbundszeir beseelt haben mochten, und mit dem wichtigsten Machtinstrument der britischen Nation ein kühnes Spiel treibe. In Wirklichkeit geht man jedoch in allen Fragen der Reichsverteidbung sehr behutsam vor; nachdem man die Klauseln der amerikanischen Anleihe angenommen hjt, erscheint das Weltreich — später Triumph Cordull Hulls — nicht mehr als wirtschaftliche Einheit. Krone und Schwert sind die letzten verbindenden Faktoren und selbst am linken Flügel der Labour-Party besteht wenig Geneigtheit, auch noch an dieser Bindung zu rütteln. Außerdem wäre jedoch der immerhin enorme, für Verteidigungszwecke ausgeworfene Betrag von 692,000.000 Pfund Sterling natürlich ver geudet, wenn der Beherrschung der Seewege nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt würde.

Hinter den Maßnahmen der Regierung muß sich also irgendein Geheimnis verbergen und die Frage ist naheliegend, ob es ni ' in der R e v o 1 u t i o n i e r u n g all Begriffe des Seekrieges gelegen is' Was vor allem auffällt, ist die Großzügigkeit, mit der die britische Admiralität auf

Schlachtschiffe zu verzichten scheint. Schon vor dem letzten Krieg war die Nützlichkeit dieser Kolosse stark umstritten. Der Krieg selbst hat jedoch, trotz der Katastrophe des „Prince of Wales“ und eines ältereri Schlachtschiffes an der malayischen Küste, trotz des unrühmlichen Endes der japani- sdien Überdreadnoughts, nicht gegen diese Riesen entschieden, ja, bei den maisten Landungsoperationen haben sie eine entscheidende Rolle gespielt. Zwei alte Schlachtschiffe an der Küste der Normandie haben sehr viel dazu beigetragen, den deutschen Widerstand in den ersten Invasionstagen zu zer- hämmern, und als bei Nettuno für die gelandeten Truppen eine kritische Lage drohte, war es wieder die Sdiiffsartillerie schwerer Einheiten der Verbündeten, die die Wendung herbeiführte.

Aber man muß sich darüber klar werden, daß die Erfahrungen dieses Krieges schon jetzt zum Teil wieder veraltet sind, die ausschlaggebenden Kenntnisse dürften nur einem kleinen Kreis hochgestellter Marineoffiziere in London und Washington zur Verfügung stehen, wahrend früher nach großen Kriegen die Karten eine Weile offen auf dem Tisch zu liegen pflegten.

Die Erfahrungen von Metapan und Toronto, die Seeschlachten bei Guam, Midway und den Philippinen werden bald nur mehr historische Erinnerungen sein, während die Erfahrungen des Luftkrieges und die Auswertungen des großen Versuches von Bikini das Gesetz des Tages bestimmen.

Ein einzigesmal ging ein Hinweis darauf durch die britische Tagespresse, als ein Schiff der Kriegsmarine mit völlig neuartigem Oberbau, der auf kunstvolle Weise den Blicken entzogen wurde, vom Stapel lief.

Seither ist es um solche Fragen sehr still geworden und der Name des Korallenriffs, in dessen Nähe die kombinierte amerikanisch-japanische Geisterflotte dem Angriff der beiden Atombomben ausgesetzt wurde, gerät allmählich wieder in Vergessenheit. Wahrscheinlich ist man aber gerade jetzt in den technischen Büros der großen Seemächte daran, die konstruktiven Folgerungen zu ziehen.

Inzwischen hat die Labourregierung die undankbare Aufgabe, den Prozeß der Flot- ten reorganisation mit seiner „vorüber gehenden Dislozierung und Mangel an Ausgeglichenheit“ nadi außen hin abzuschirmen. Vielleicht wird sie versuchen, ihre Lage dadurch zu erleiditern, daß sie eine starke, parteipolitisch nicht gebundene Persönlichkeit an die Spitze der Admiralität beruft; angesichts der Tatsache, daß der Earl of Mountbatten im Juni dieses Jahres Indien verlassen wird — seine eigentliche Vorliebe hat stets der Marine gegolten —, ist es nicht weiter verwunderlich, daß viele annehmen, die Wahl Atdees würde auf diesen, nun dem Königshaus doppelt verbundenen Mann fallen.

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