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Versicherungsprinzip gegen Versorgungsprinzip
Im zeitlichen Zusammenhang mit dem fünften Lohn- und Preisabkommen, das eine Erhöhung des Bundesbeitrages zur Rentenversicherung von 25 auf 30 Prozent des Rentenaufwandes brachte, wurden plötzlich noch knapp vor Torschluß der Sommersession des Nationalrates Vorschläge zur Rentenstillegung, wenn das Entgelt aus der Beschäftigung einen bestimmten Freibetrag übersteigt, vorgelegt.
Begründung und Tenor dieser Still-legungsabsichten waren nicht mehr die Verbesserung der Leistungen, sondern Einsparungen zum Zwecke der Herabsetzung des Rentenaufwandes.
Damit soll nicht gesagt werden, daß die Verbesserungsabsicht fallengelassen worden wäre, die optische Wirkung war aber jedenfalls so.
Von sozialistischer Seite wurde im gleichen Zusammen-hangdieRentenstillegungm.it einer Pensions Stillegung gekoppelt. Die Erweiterung des Kreises der von einer Stillegung ihrer Ruhebezüge bedrohten Personen hat die Durchsetzung wahrhaftig nicht erleichtert.
Diese Pläne lösten eine sehr lebhafte Reaktion in der Bevölkerung aus. Soweit die Diskussion auf grundsätzliche Erwä-
gungen zurückgriff, standen sich die Vertreter und Verfechter des Versiche-«jungsprinzips und des Versorgungsprinzips einander gegenüber. Die Vertreter des Versorgungsgedankens sehen die Notwendigkeit einer Rentenleistung nur dann gegeben, wenn durch Eintritt des Versicherungsfalles ein Versorgungsbedürfnis gegeben ist und lehnen daher die Leistung der Rente, solange der Berechtigte in Beschäftigung mit normalem Entgelt steht, ab. Die Rechtsentwicklung im Bereiche der Rentenversicherung hatte nun in den Jahren seit 1945 die Vernachlässigung des Versicherungsprinzips und die stärkere Betonung des Alimentationsgedankens gebracht. Diese Entwicklung hatte in der gesamten Fachwelt den Wunsch nach stärkerer Betonung des Versicherungsprinzips, das im wesentlichen in Anerkennung des Rechtsanspruches auf die Leistung bei Eintritt des Versicherungsfalles ohne Rücksicht auf besondere Umstände beinhaltet, ausgelöst.
Zu ihrer Verteidigung verwiesen die Vertreter des Versorgungsgedankens darauf, daß die in der Novelle enthaltenen Vorschläge zur Rentenstillegung nicht nur Leistungen einschränken, sondern auch insbesondere den Witwenrenteerin-nen in der Invalidenversicherung, deren Witwenrente nach der derzeitigen Rechtslage ruht, wenn die Witwe in Beschäftigung steht, Leistungen neu gewähren. Man kann über das Thema Versicherungs- oder Versorgungsprinzip Argumente pro und kontra geltend machen. Es bleibt aber immer ein schwer durchsetzbares Unterfangen, laufende Rentenleistungen wegzunehmen.
Abgesehen von den prinzipiellen Uber-legungen, sprachen auch Zweckmäßig k e i t s e r w ä g u n g e n gegen die isolierte Durchführung der Rentenstillegung. Nach dem Entwurf sollte ein Ruhen der Renten erst eintreten, wenn ein bestimmter Freibetrag (zirka 1000 bis 1250 Schilling monatlich)
erreicht würde. Bei diesen Ansätzen sind Einsparungen in der landwirtschaftlichen Invalidenversicherung, die sie am dringendsten benötigen würde, gleich Null. In der gewerblichen Invalidenversicherung würden etwaige Ersparnisse durch Mehrausgaben an die Witwenrent-nerinnen wahrscheinlich wettgemacht. Lediglich in der Angestelltenversicherung wären Ersparnisse zu gewärtigen, deren Ausmaß auch unbekannt ist und vermutlich weit überschätzt wird.
So mußte es denn kommen, daß die Stillegungspläne nicht nur innerhalb der ÖVP und den ihr nahestehenden Verbänden auf stärksten Widerstand stießen, sondern auch in der SPÖ, die ursprünglich damit einverstanden schien, wachsenden Schwierigkeiten begegnete.
Nachdem schon Minister M a i s e 1 in seiner Rede in Graz am 24. August 1951 und Minister Waldbrunnerin seinem Leitaufsatz in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 7. September 1951 sich deutlich distanziert hatten, kam der Uberraschende Beschluß des Parteivorstandes, die Entscheidung über diese schwerwiegenden Fragen dem für November angesetzten sozialistischen Parteitag zu überantworten.
Damit sind diese soviel Unruhe auslösenden Stillegungspläne, die mit ihren Verbesserungstendenzen im Bereiche der Rentenversicherung mit den Einsparungs-absichten des Finanzministers anläßlich des fünften Lohn- und Preisabkommens garnichtinZusammenhangge-bracht hätten werden dürfen, wohl endgültig zurückgestellt.
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