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Verstaatlichung und Sozialisierung von Unternehmungen

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Wir sind im Begriffe, an die Verstaatlichung von Unternehmungen heranzutreten und wollen diese dann gleich auch sozialisieren, indem wir sie bis zur Hälfte in das Eigentum einer Genossenschaft überführen, deren Teilhaber die Angestellten und die Arbeiter des verstaatlichten Unternehmens sind.

Nach dem von den Nationalräten Alten-burger, Grubhofer und Genossen eingebrachten Gesetzentwurf handelt es sich um die Unternehmungen in den Wirtschaftszweigen des Kohlenbergbaues, der Energiewirtschaft und der Erdölproduktion, also um recht bedeutende Unternehmungen in größerer Zahl. Es verlautet indes, daß auf Grund schwebender Parteienverhandlungen der Kreis der zu verstaatlichenden Unternehmungen noch wesentlich erweitert werden soll durch Hinzunahme der großen Eisenwerke (Böhler. usw.), gewisser Lebensmittelindustrien, der Banken, der Versicherungsanstalten usw.

Nach der heutigen Verfassung hat der Nationalrat nicht die nötige Zuständigkeit zur Schaffung dieses mit Enteignung der heutigen Besitzer gebundenen Gesetzes im Wege des Gesetzesbeschlusses mit einfacher Mehrheit. Was folgt daraus? Daß man die Verfassung ändern muß? Ja oder nein! In unserm Nachbarlande, in der Schweiz, wo die Verfassung etwas ziemlich Festes, Verläßliches darstellt, wäre es so: Da müßte zuerst in die Verfassung ein neuer Artikel eingefügt werden, durch den die Bundesversammlung zur Schaffung eines solchen Gesetzes ermächtigt würde. Und dieser neue Artikel bedürfte der Annahme in einer Volksabstimmung. Man müßte daher vor allem die breitesten Volksschichten überzeugen, daß es gut. und dem Volke zuträglich sei, wenn die Bundesversammlung ermächtigt werde, einen so großen Kreis von Unternehmungen zu verstaatlichen und zu sozialisieren.

Bei uns geht es leichter: Man ändert nicht den Text der gültigen Verfassung, sondern macht aus dem Verstaatlichungsgesetz selbst ein Verfassungsgesetz. Wir brauchen dazu auch keine Volksabstimmung. Es genügt, wenn das Verstaatlichungsgesetz im Nationalrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wird. Die Folge dieses Zustandes ist, daß unsere Verfassung längst kein einheitliches Dokument, keine einheitliche Magna Ch.irta mehr ist, sondern aus dem ursprünglichen Gesetz über die Bundesverfassung, aus zahlreichen Einzelgesetzen und aus einer Unmenge von Einzelbestimmungen besteht, die als einzelne Paragraphen in v.ielen Gesetzen eingestreut sind und die dadurch Bestandteil der Verfassung wurden, daß man sie im Nationalrat in dieser Absicht mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen ließ.

Wie der Gesetzentwurf vorliegt, stellt er eigentlich ein Programm für Verstaatlichungen und Sozialisierunsen dar; welche Zeit zu seiner Durchführung etwa nötig ist und ob das ganze Programm durchgeführt wird, wird wohl von der politischen, staatsfinanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung und auch von den Erfahrungen abhängen, die man mit den ersten Verstaatlichungen und Sozialisierungen macht. Der Gesetzentwurf behält dem Nationalrat nicht vor, in jedem Falle einer Verstaatlichung und Sozialisierung die Zustimmung zu geben. Die Entscheidung, wann und in welcher Reihenfolge die auf dem Programm stehenden Unternehmungen an die Reihe kommen sollen, ist der Bundesregierung überlassen.

Man hätte natürlich auch einen anderen Weg gehen und vorläufig nur ein Unternehmen oder einige Unternehmungen verstaatlichen und sozialisieren können, um eine Probe zu machen und Erfahrungen zu sammeln und dann bei günstigen Erfahrungen weitere Schritte in der Richtung der Verstaatlichung und der Sozialisierung zu tun. Manche meinen, es wäre das der vorsichtigere Weg gewesen.

Man sollte ja ohnehin in jedem einzelnen Falle prüfen, ob das Gemeinwohl die Verstaatlichung eines Unternehmens oder einer Gruppe gleichartiger Unternehmungen wirklich erfordert. Denn vom naturrechtlichen und vom christlichen Standpunkte aus ist das Privateigentum das primär Natürliche und Gegebene, und Eingriffe durch Verstaatlichung dürfen nur erfolgen, wenn sie das Gemeinwohl verlangt. Wird diese Grenze mißachtet, so schlittern wir unnötigerweise in einen Staatssozialismus hinein, der gewiß nicht von Segen sein wird. Bei der heutigen Verstaatlichungspsychose, die nicht nur bei uns besteht, sondern auch in anderen Ländern, ist die Gefahr groß, daß der Gesetzgeber weit über das Ziel schießt und den Grundsatz verletzt, daß die Uberführung von Unternehmungen in die öffentliche Hand oder die Gründung neuer Unternehmungen durch die öffentliche Hand nur dort Berechtigung hat, wo die private Initiative versagt oder in privaten Händen eine Zusammenballung wirtschaftlicher Macht stattfindet, die sich mit dem Gemeinwohl nicht verträgt.

Das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes ist, beizutragen zur Entproletarisierung des Proletariates Man hat in Kreisen der österreichischen Volkspartei in dem Gesetzentwurf gelegentlich einen Versuch erblickt, die Absichten der Enzyklika „Quadragesimo anno“ zu verwirklichen. Man beruft sich dabei auf Punkt 61 der Enzyklika; diese Stelle des Rundschreibens lautet: „Darum ist mit aller Macht und Anstrengung dahin zu arbeiten, daß wenigstens in Zukunft die neugeschaffene Güterfüe nur in einem billigen Verhältnis bei den besitzenden Kreisen sich anhäufe, dagegen in breitem Strom der Lohnarbeiterschaft zuließe.“

Der Heilige Vater scheint hier allerdings in erster Linie an Unternehmungen zu denken, die im Privatbesitze sind, denn nur bei diesen kann ein übermäßig großer Teil des Arbeitsertrages unter Verkürzung des Anteils jener, die ihre Arbeitskraft beigestellt haben, in einem unbilligen Verhältnis den besitzenden Kreisen zufließen und sich bei ihnen anhäufen. Bei verstaatlichten Unternehmungen fließt ein allfälliger Gewinn nicht in den Säckel privater Kapitalisten.

O. Nell-Breuning hat einen viel beachteten Kommentar zur päpstlichen Enzyklika geschrieben. Darin lesen wir: „Ein allmähliches Hineinwachsen der Belegschaften in den Mitbesitz, indem ein Teil des Arbeitsverdienstes im Unternehmen selbst angelegt, beziehungsweise aus dem Unternehmen gar nicht herausgezogen wird, ist eine klare und saubere Sache. Auch sie hat gewiß ihr Für und Wider, hat Grenzen, die zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika heute schon sehr deutlich erkennbar geworden sind. Aber vor allem bleibt es ja der freien Willensbestimmung des Arbeitnehmers überlassen, ob er solch einen Mitbesitz wünscht oder ob er eine so enge Verbindung mit dem Unternehmen, das ihm Arbeitsstätte ist, als unerwünscht oder ungeeignet für sich ablehnt. Die großen Hoffnungen, die zeitweilig in Belgien, namentlich von Msgr. Pottier, auf die Gewinnbeteiligung des Arbeiters, Arbeiteraktien und dergleichen gesetzt wurden, sind längst als übertrieben anerkannt. Es wäre aber bedauerlich, wenn man den Gedanken, weil sich nicht alle auf ihn gesetzten Hoffnungen erfüllten, nun gänzlich preisgäbe. Das verdient er nicht. Man soll die Erwartungen auf das erfüllbare Maß zurückschrauben und dann mutig Versuches, wie weit man mit gutem Willen kommt. Das entspricht dann auch ganz der Meinung des Heiligen Vaters, der es der Mühe wert befunden hat, den etwas in Verruf gekommenen Gedanken der Gewinnbeteiligung, des Mitbesitzes und der Mitver-waltung wieder aus der Versenkung hervorzuziehen, der aber nicht so weit gehen wollte, ihn als ein Allheilmittel anzupreisen oder auch nur entscheidendes Gewicht auf ihn zu legen. Der Schwerpunkt liegt für Pius XI. wie für Leo XIII. bei der Lohngerechtigkeit. Diese Frage ist und bleibt jedenfalls für absehbare Zeit die Kernfrage.“

Das Ziel des Heiligen Vaters und des vorliegenden Gesetzentwurfes ist zweifellos die Entproletarisierung. Dazu gehört nun Verschiedenes: Einmal, daß man dem Arbeiter zu Besitz verhilft; dann aber auch, daß man ihn etwas gelten läßt, daß sein Ehrgeiz irgendwie Befriedigung findet, daß er eine Aufstiegsmöglichkeit vor sidi sieht sowie daß er im gesellschaftlichen Leben die Gleichstellung mit anderen Berufsständen findet.

Wird es nun den Arbeiter befriedigen, wenn er einen Genossenschaftsanteil erworben hat? Man müßte die weitere Gesetzgebung und die Verordnungen abwarten, um klar zu sehen, welcher praktische Nutzen dem einzelnen Arbeiter aus einem solchen Genossenschaftsanteil erwächst. Jedenfalls gewährt ein solcher Anteilschein nicht dieselbe Befriedigung, wie wenn es dem Arbeiter etwa gelingt, ein eigenes Häuschen mit etwas Garten dabei zu erwerben oder selbst zu bauen. Bei uns in Vorarlberg wenigstens ist dieses Streben nach etwas sichtbarem und greifbarem Eigenbesitz unverkennbar in der Angestellten- und Arbeiterschaft stark vorhanden. In der Großstadt und in den großen Industriestädten kann solches Streben weniger leicht zum Ziele führen. Sollte es indes dazukommen, daß unsere Gesetzgebung das Stockwerkseigentum wieder ermöglicht, dann könnte auch der Industriearbeiter in den größeren Städten sehr wohl eine Stockwerkswohnung als Eigenbesitz anstreben.

Man könnte in diesem Falle, ohne eine Genossenschaft zum Mitbesitzer des Unternehmens zu machen, einen entsprechenden Teil des Reingewinns dem Angestellten oder Arbeiter auf einem Konto gutschreiben, und zwar so lange gutschreiben, bis er aus den Gewinnanteilen samt Zinsen die Mittel zum Erwerb von Eigenbesitz beisammen hätte. Man könnte ihm ja auch die fortlaufende Verfügung über seinen Gewinnanteil zur Einzahlung in eine Bausparkasse (zum Beispiel Wüstenrot) freigeben. Auch zu anderen Zwecken könnte man ihn über den jeweiligen Reingewinnanteil verfügen lassen, wenn es sich um eine Verwendung der Mittel handelt, die auf dem Wege zur Entproletarisierung liegt. Je ausgebildeter in bestimmten Gegenden und in bestimmten Kreisen der Angestellten und Arbeiter der Sparsinn ist, desto größere Freiheit könnte man hinsichtlich der Verfügung über die Gewinnanteile gewähren.

Wie schon vorhin gesagt, liegt für Pius XI. wie für Leo XIII. anscheinend der Schwerpunkt weniger bei der Sozialisierung als bei Erfüllung der Lohngerechtigkeit. Was ist der gerechte Lohn? Für die Bestimmung des Lohnes gibt Pius XI. drei Gesichtspunkte an:

1. der Lohn soll den Lebensbedarf des Arbeiters und der Arbeiterfamilie decken;

2. der Lohn hat seine Grenze, wenn die Lebensfähigkeit des Unternehmens in Gefahr kommt. Trägt das Unternehmen einen Familienlohn nicht, dann ist allerdings im Unternehmen oder in der Volkswirtschaft etwas krank. 3. Die gerechte Lohnhöhe muß der allgemeinen Wohlfahrt dienen; darin kommt der Sozialcharakter der Arbeit zur Geltung. Ausreichende Löhne verhelfen zur Vermögensbildung in den Arbeitnehmerkreisen und ,so zu einer allmählichen Umschichtung der Besitzverhältnisse, zur Überwindung der Proletarität durch Vermögensbildung. Papst Pius XI. geht dabei offenbar von der Voraussetzung aus, daß in der

Arbeiterschaft der Sparsinn soweit ausgebildet ist, daß die Arbeiter gerne und begierig einen entbehrlichen Teil des Lohnes zur Besitzbildung verwenden und so aus der Proletarität herauswachsen. Findet der Gesetzgeber keine so veranlagte Arbeiterschaft vor, so müßte er im gesetzlichen Wege die richtige Verwendung des Mehrlohnes, ähnlich wie oben beim Reingewinnanteil ausgeführt wurde, herbeiführen.

Der Versuch der Förderung des Gemeinwohles durch Verstaatlichung und der Ent-proletarisierung durch Sozialisierung ist eine große Sache, die nach der grundsätzlicheil Seite, nach klarer Zielsetzung und praktischer Durchführbarkeit und Durchführung, auch nach der finanziellen Auswirkung gut überdacht und vorsichtig angefaßt werden muß, wenn man nicht scheitern will und die berechtigte Hoffnung hegen darf, der Angestellten- und Arbeiterschaft einen Dienst zu erweisen, den sie dauernd als solchen empfindet. Man darf ja auch“die Wirtschaft nicht lähmen, sondern soll sie durch Inseressierung der Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens fördern.

Nicht parteipolitische Zielsetzungen, sondern sachliche Untersuchungen und Ober-legungen, wirtschaftliches und rechtliches Denken können zu einem Versuche führen, von dem man sich auch ein Gelingen versprechen kann. Und das alles dürfte etwas mehr Zeit beanspruchen, als man sich im Arbeitsprogramm des Nationalrates zu gönnen scheint.

Daß man sich zur Klarheit noch nicht durchgerungen hat, scheint mir schon aus dem Umstände zu erhellen, daß so vieles der Regelung durch Verordnungen der Regierung überlassen ist.

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