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Verteidigung nicht ausschlielich militrisch

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FURCHE: Herr Doktor Kreisky, kann man von einer Änderung in der Haltung der SPÖ zur Landesverteidigung seit dem. 21. August 1968 sprechen? KREISKY: Es gibt keine Änderung in der Haltung der SPÖ. Sie hat schon immer einen positiven Standpunkt zur Landesverteidigung eingenommen. Dies vornehmlich aus zwei Erwägungen:

1. daß die Republik nach Maßgabe der eigenen Kraft verteidigt werden soll;

2. in Anerkennung des Grundsatzes, daß ein neutraler Staat das ihm Mögliche zum Schutze seiner Neutralität leisten muß.

Es ist weiters leider nicht genug bekannt, daß die sozialdemokratische; Bewegung in diesem Lande die stärksten Traditionen in bezug auf die Verteidigung1 der Republik besitzt. So waren der nachmalige Bundespräsident Körner als Heeresinspektor und Julius Deutsch als Staatssekretär für Verteidigung führend am Aufbau des ersten Bundesheeres beteiligt. Sozialisten, wie der spätere Landeshauptmann von Kärnten, Wedenig, die späteren Landeshauptmannstellvertreter Berna-schek und Payerl und der jetzige Bundespräsident Franz Jonas, haben als junge Unteroffiziere oder Soldaten an den Abwehrkämpfen nach dem ersten Weltkrieg in Kärnten und an der Burgenlandnahme teilgenommen. In der Zweiten Republik hat Oskar Helmer als Innenminister Bedeutendes für die Vorbereitung des neuen Bundesheeres geleistet. FURCHE: Nichtsdestoweniger ist doch anderseits eine gewisse Zurückhaltung bei vielen Sozialisten gegenüber dem Bundesheer festzustellen?

KREISKY: Richtig ist, daß es in der Bevölkerung eine reservierte Haltung gegenüber dem Bundesheer gibt, die nur langsam beseitigt werden kann, weil der Eindruck besteht, daß es kein brauchbares Verteidigungskonzept gibt, daß der Bundesminister in seinem Ressort zuviel Parteipolitik betreibt und daß die vom Staat zur Verfügung gestellten Gelder nicht immer zweckdienlich verwendet werden.

FURCHE: Glauben Sie, daß die Person des jetzigen Verteidigungsministers ein besonderes Hindernis für ein stärkeres Engagement der SP an der Landesverteidigung darstellt?

KREISKY: Dr. Praders parteipolitische Haltung macht es der SP schwer, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wenn wir jedoch einen Minister kritisieren, so nicht um der Kritik willen, sondern mit der Absicht, ihn zur Änderung seiner Politik zu bewegen. Geschieht das, dann ergibt sich eine neue Situation. Eines geht jedoch nicht: Daß man, wenn man uns dabeihaben will, mit uns kooperiert und, wenn man dann glaubt, uns nicht mehr brauchen zu müssen, unsere Einwände und Vorbringungen ignoriert. FURCHE: Gibt es wesentliche Unterschiede zivischen Ihren Auffassungen bezüglich der Landesverteidigung und denen der Regierung oder des Heeres? KREISKY: Zunächst habe ich den Eindruck, daß das Wehrkonzept der ÖVP zu sehr mit rein praktischen Bedürfnissen des Bundesheeres vermischt ist. Ich habe auch etwas andere Auffassungen als manche der Offiziere und bin dazu auf Grund von Erfahrungen gekommen. Sehr bestimmend waren für mich zum Beispiel die Eindrücke aus dem Winterkrieg der Sowjetunion gegen Finnland, als dieses Land sich ganz, allein zu “wehren hatte. Auch die letzten Ereignisse in der CSSR bestärk-, ten mich darin, daß Landesverteidigung nicht eine ausschließlich militärische Angelegenheit ist und daß der Arbeiterschaft darin eine Schlüsselposition zukommt. FURCHE: Glauben Sie, daß bezüglich der Landesverteidigung die Zusammenarbeit zwischen den Parteien respektive zwischen Opposition und Regierung oder Heer verstärkt werden könnte? KREISKY: Obwohl ich auf dem letzten Parteitag über die Rolle der Arbeiterschaft in nationalen Krisenzeiten gesprochen habe, hat sich niemand auf der anderen Seite interessiert, solche Fragen zu diskutieren. Ich selber trage mich mit dem Gedanken eines öffentlichen und offenen Gespräches zwischen sozialistischen Vertrauensleuten und Vertretern des Heeres unter dem Arbeitstitel „Volk und Verteidigung“. Ich beanspruche nicht, der Urheber dieses Gedankens zu sein; ich empfing ihn Ende der dreißiger Jahre, als es gerade durch eine solche Aussprache zu dem bedeutsamen Bewußtseinswandel der skandinavischen Arbeiterschaft gegenüber der Landesverteidigung gekommen ist.

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