6611854-1955_05_01.jpg
Digital In Arbeit

Verurteilt - zur Freiheit?

19451960198020002020

Zur Ucberraschung der Weltöffentlichkeit wurden soeben Dilas und Dedijer im großen staatspolitischen ProzeS in Belgrad zu milden Haftstrafen mit zwei- bzw. dreijähriger Bewährungsfrist verurteilt. Dieses Urteil gegen zwei eingefleischte Individualisten und eigenwillige Persönlichkeiten zeigt, daS das Land Titos gerade im gegenwärtigen Moment neuer Spannungen zwischen Ost und West, wie sie der verschärfte Kurs in der Sowjetunion und der Kampf um Formosa demonstrieren, entschlossen ist, an der Seite Indiens einen eigenen Weg zwischen Ost und West weiterzugehen. Das ist das weltpolitisch Bedeutsame dieses Ringens um zwei freiheitsliebende Personen in einem totalitären Staat im Südostraum Europas.

19451960198020002020

Zur Ucberraschung der Weltöffentlichkeit wurden soeben Dilas und Dedijer im großen staatspolitischen ProzeS in Belgrad zu milden Haftstrafen mit zwei- bzw. dreijähriger Bewährungsfrist verurteilt. Dieses Urteil gegen zwei eingefleischte Individualisten und eigenwillige Persönlichkeiten zeigt, daS das Land Titos gerade im gegenwärtigen Moment neuer Spannungen zwischen Ost und West, wie sie der verschärfte Kurs in der Sowjetunion und der Kampf um Formosa demonstrieren, entschlossen ist, an der Seite Indiens einen eigenen Weg zwischen Ost und West weiterzugehen. Das ist das weltpolitisch Bedeutsame dieses Ringens um zwei freiheitsliebende Personen in einem totalitären Staat im Südostraum Europas.

Werbung
Werbung
Werbung

Es war einmal ein feuriger Jüngling aus angesehenem Geschlecht der Schwarzen Berge, der, zu Kolasin 1911 geboren, zh Student in die Reihen der damals höchst illegalen kommunistischen Partei eintrat. Fünfundzwanzig Jahre alt, betätigte er sich unter Broz-Titos Auspizien als Werber für die Rote Armee im spanischen Bürgerkrieg; dreißigjährig, wurde er, wieder unter Tito, Gebietskommissär fürs heimatliche Montenegro im Partisanenkrieg gegen die Achse Berlin—Rom. Er gehörte zu den intimsten Freunden des späteren Marschalls, wurde 1944 nach Moskau entsandt, wo er Stalin recht gut gefiel, kam ein zweites Mal nach der UdSSR., gelangte wie von selbst in die oberste Führergarnitur des kommunistisch werdenden Jugoslawiens und bildete unter Titos Leitung, zusammen mit Kardelj, Rankovic, Pijade, Kidric, Vukmanovic, Gosnjak, den engeren Kreis der eigentlichen Machthaber. Gemeinsam mit Kardelj vertrat er Jugoslawien auf der letzten Komintern-Tagung im September 1947, an der es vor dem Bruch mit Stalin teilnahm, und stand im April 1948 an der Spitze einer Mission, die im Kreml den drohenden Bruch verhindern sollte. Als dieser dennoch erfolgte, wurde Dilas der Hauptverteidiger des Titoismus; er leitete die Belgrader Propaganda, betrieb den Kampf gegen die jugoslawischen Anhänger der Stalinschen Orthodoxie — Zujovic und Hebrang — und die außenpolitische Annäherung an den Westen. Dabei geriet der Sproß keineswegs proletarischer Vorfahren, der schon vor dem zweiten Weltkrieg gerne und öfter in Frankreich und in England geweilt hatte, immer mehr unter den Einfluß einer dem britischen Labour oder der französischen SFIO eher als dem östlichen Kommunismus verwandten Denkensweise. Dilas' Temperament und seine Anschauungsweise hat er selbst gar gut charakterisiert, als er beim Ketzergericht von Mitte Jänner 1954 erklärte:

„Seit meiner frühesten Jugend war ich. und hoffe es bis ans Lebensende zu bleiben ein freier Mensch und ein Kommunist. Ich kann nicht verstehen, daß das eine zum andern im Widerspruch beharren soll.“ — „Ich kann nicht sagen, daß ich zu den diszipliniertesten Kommunisten gehörte, doch ich zähle auch nicht zu denen, die . .. gegen die Disziplin gesündigt haben. Diese lag für mich in meinen Handlungen, und sie ist nie, weder mit meinen Gefühlen und Wünschen, noch mit meiner öffentlichen Tätigkeit, in Konflikt geraten. Ich bin einer der Kommunisten, die im wesentlichen bewußt ihre Pflicht tun und nicht viel an Disziplin denken. Freilich vermag ich nicht zu behaupten, ich sei nicht manchmal .abgewichen' oder ich wäre nicht ,aus der Reihe getanzt'.“

Niemand außer Dilas wird sich wundern, daß er, der etwas so Unmögliches wie ein viereckiger Kreis oder ein greiser Säugling zu sein versuchte, daß dieser Individualist, den nur die Romantik des Klassenkampfes und der Partisanenkämpfe anzuziehen wußte, nicht aber die Gleichschaltung und der Gesinnungsdruck (so-ferne er ihn nicht selbst ausübte), ... daß Milo-van Dilas eines Tages Krach mit den Anti-kirchenvätern des jugoslawischen Kommunismus bekam. Alles war gut und in Butter, solange man den witzigen, federgewandten Milovan als Polemiker und Streitrufer wider die Moskauer brauchte, gegen die er seit mancherlei persönlichen Erfahrungen und nicht zuletzt im Hinblick auf die Begleiterscheinungen der „Befreiung“ durch die Rote Armee einiges einzuwenden hatte. Dilas befand sich auf der scheinbaren trügerischen Höhe seines Ansehens, als er auf dem sechsten Parteitag der Kommunisten in Agram (November 1952) große Reden schwang, nochmals zu einem der 13 Mitglieder des Politbüros gewählt und schließlich, nach der neuen Verfassung vom Jänner 1953, zu einem der Vizepräsidenten der Republik erkoren wurde.

Im Laufe der folgenden Monate .erhoben sich aber zwischen ihm und der Mehrheit der kommunistischen Parteileitung schwere Differenzen, die auf einer im Herbst auf der Insel Brioni abgehaltenen Sitzung des Zentralkomitees offenkundig wurden. Persönliche Momente spielten dabei neben sachlichen eine nicht unerhebliche Rolle. In den oberen Regionen der jugoslawischen Gesellschaft neuen Stils gab es allerlei Affären, bei denen Liebesgeschichten, Eheskandale und Eifersüchteleien der Gattinnen kommunistischer Würdenträger eine wichtige Rolle spielten. Schon auf dem sechsten Parteikongreß war durch die Beschwerde eines betrogenen Ehemannes, der sein eigenes Unglück und die Lebensweise mancher Parteikoryphäen anklagte, ein nur mit Mühe, durch Titos Eingreifen, erstickter Sturm entfacht worden. Dilas machte sich nun zum Ritter einer schönen, jungen Künstlerin, die den Generalstabschef General Dapcevic geheiratet hatte und von den weniger reizvollen und mit mehr marxistischer Tugend ausgestatteten Damen der Minister und Politbüromitglieder geschnitten wurde. Das geschah freilich im Zuge einer Kampagne, die der undisziplinierte Aus-der-Reihe-Tänzer in der „Borba“ unternahm, um für eine Lockerung der Diktatur, für ein Absterben des Parteimonopols, kurz für eine Hinkehr zur westlichen Demokratie einzutreten. Tito dürfte anfangs einzelne Gedankengänge seines alten Kampfgenossen gebilligt haben. Zumindest hat er es, im Rahmen der damaligen, ganz nach der angelsächsischen Richtung gekehrten Außenpolitik begrüßt, daß derlei Ideen von einer bekannten jugoslawischen Parteikoryphäe entwickelt wurden.

Als jedoch die kommunistischen ZionsWächter, voran Pijade, Kardelj und Rankovic, ein heftiges Zetergeschrei erhoben und der Staatspräsident seinerseits empfand, daß eine Fortdauer der Dilasschen Publizistik ernstlich die bisherigen Grundlagen des totalitären Systems bedrohte, schlug Tito zu. Eine außerordentliche Tagung des Plenums des Zentralkomitees verhängte über Dilas, nach einem verhältnismäßig milden Referat des Marschalls und einem um so schärferen Kardeljs, eine Rüge und enthob den Widerspenstigen, ungeachtet eines von diesem abgegebenen verklausulierten Reuebekenntnisses, aller Aemter und Würden. Immerhin blieb er Parteimitglied und genoß in seiner behaglichen Wohnung, dank dem weiterbezahlten Ministergehalt und sonstigen Rücksichten, eine nur wenigen Sterblichen seines. Landes verstattete sorgenfreie Existenz. Allerdings r/ar es mit seinem Einfluß vorbei. Seine früheren Freunde wichen ihm aus. Auch General Dapcevic, dessen Gattin er so tapfer verteidigt hatte, Rankovic und Vukmanovic, die im vertraulichen Gespräch manche Ideen Dilas' zu billigen schienen, wandten sich ab. Nur einer blieb ihm treu: Vladimir D e d i j e r.

Auch diesem Kommunisten aus der illegalen Zeit, mutigen Partisanen, Freund Titos und dessen panegyrischem Biographen, war es nicht an der Wiege gesungen worden, daß er, der Halbamerikaner und Sohn reicher Großbürger französischer Abkunft, als proletarischer Klassenkämpfer emporkommen werde. Dedijer, literarisch überaus begabt, hatte sich erst kurz vor dem zweiten Weltkrieg Tito angeschlossen, focht an dessen Seite, verlor dabei seine erste Gattin und wurde nach dem Sieg der Partisanen Leiter der Propaganda im Außenministerium, dann faktischer Pressediktator, Herausgeber der Agramer „Borba“, Abgeordneter und Professor für neuere Geschichte an der Belgrader Universität. Tito mochte ihn gern, und er wieder bewunderte den Marschall. Doch ähnlich wie bei Dilas regten sich, hier noch im Blute liegend, westliche Neigungen, samt dem Wunsch, in Jugoslawien die angelsächsische Demokratie nachzuahmen. Als Dilas vor den Richterstuhl des Zentralkomitees zitiert wurde, iging es Dedijer ebenfalls an den Kragen. Seine Wähler „forderten seine Abberufung“, doch meldete er sich krank, und die Angelegenheit schlief ein. Bis dann im Dezember 1954 beiden die Stunde schlug.

Seit Oktober 1954 machte die Annäherung Jugoslawiens an die UdSSR und an deren Satelliten Riesenfortschritte. Da waren Leute wie Dilas und Dedijer fehl am Ort. Sie sahen mit Mißvergnügen, wie die Beziehungen zu den Angelsachsen erkalteten. Als Vukmanovic Ende November von einer Amerikareise recht verstimmt heimkehrte, als umgekehrt, nach den demonstrativen Kundgebungen sowjetisch-jugoslawischer Aussöhnung anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution und des jugoslawischen Nationalfeiertages am 29. November, der Kurs immer deutlicher ostwärts zeigte, wollten Dilas und Dedijer offenbar mit Gewalt die Aufmerksamkeit Titos und seiner westlichen Partner auf die gefährliche Situation lenken. Dedijer machte von sich reden, als er, Mitte Dezember vor ein Parteitribunal zitiert, dessen Zuständigkeit bestritt. Dilas brachte das Faß zum Ueberlaufen, als er der „New York Times“ ein Interview gab, in dem er eine Demokratisierung Jugoslawiens und die Schaffung einer neuen, zweiten sozialistischen Partei forderte, ferner die herrschende Unfreiheit und das gesamte Regierungssystem seines Landes unbarmherzig kritisierte. Das geschah mit wohlberechneter Absicht im Augenblick, da Tito in Indien weilte. Dilas wollte offenbar dem noch immer verehrten Mann ersparen, selbst die unvermeidlichen Maßnahmen gegen die UnbotsaÄien verhängen zu müssen.

Sie sind nun prompt erfolgt. Kardelj, der während der Abwesenheit des Staatspräsidenten die oberste Gewalt ausübt, entrüstete sich am

Tag nach der Veröffentlichung des Interviews, man solle Leuten wie Dilas und Dedijer ins Gesicht spucken. Beide wurden nach wenigen Tagen unter Anklage gestellt. Dedijers Immunität wurde vom Parlament aufgehoben. Er und Dilas wurden aus der Partei ausgeschlossen. Gleichzeitig hat in der gesamten Presse ein Schmähkonzert gegen die angelsächsische Presse eingesetzt, die Jugoslawiens Beziehungen zum Westen gefährde. Ob Tito, als er diese Nachrichten in Indien und Burma erfuhr, von ihnen entzückt war, bleibe dahingestellt. Jedenfallshaben Dilas und Dedijer ihr vermutliches Ziel erreicht, eine klärende Krise im Verhältnis ihres Landes zum Westen herbeizuführen und Tito zur Stellungnahme zu nötigen, die — wie sie hoffen, und zwar im Hinblick auf die klägliche Wirtschaftslage — Jugoslawien vor allzu raschem, völligem Hinübergleiten zurück in den Ostblock behüten soll. Fraglich dünkt uns allerdings, ob nicht im Endergebnis gerade das erfolgen wird, was die beiden Westler vermeiden wollen. Ihr persönliches Schicksal treibt zu neuen Krisen. Vor Jahresfrist noch Vizepräsident der Republik, Präsident des Parlaments, führender Parteimann der eine, namhafter Publizist und Titos Biograph der andere, des Staatschöfs Busenfreunde alle beide, und heute ... ? Der Fall Dilas-Dedijer: oh, welch ein Fall! Der Moloch des Totalitären scheint gezwungen, zwei Opfer freizugeben, die er bereits im Rachen hatte: eine Mahnung an alle, die für die Freiheit kämpfen, gerade hier im Südostraum Europas. Man stärke Oesterreich, auf daß es hier seine eigene Stellung wahren könne im Interesse der Freiheit aller .'

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung