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Verwaltungsreform und Demokratie

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Die Bekanntgabe des Bundesvoranschlages für 1952 hat, sozusagen saisongemäß, das Problem der Verwaltungsreform wieder stark in den Vordergrund gerückt. Man kann zwar mit Genugtuung feststellen, daß in der öffentlichen Meinung die Diskussion nicht mehr auf die alten Schlagworte vom Beamtenabbau, von der Zusammenlegung der Ministerien, von der Auflassung von Mittelschulen oder Bezirksgerichten usw., zurückfällt, da man erkannt hat, daß man Krankheiten nicht durch eine Bekämpfung ihrer Symptome heilen kann; man kennt auch die Wurzeln des Übels, weicht aber hier schärferen Formulierungen und mutigeren Folgerungen zögernd aus; nur der Finanzminister hat, was die „Furche“ in der letzten Folge („Kritischer Zahlen-spiegel“) bereits auffällig kommentiert hat, während seiner Budgetrede durch seinen Appell an den Nationalrat angedeutet, daß seine Gesetze und Entschließungen oft genug das Gegenteil von dem bedeuten, was er selbst verlangt.

Mit dieser Form der Demokratie ist eben etwas nicht in Ordnung; in der Tat: wenn man, statt den Staat zu vermenschlichen, den Menschen verstaatlicht, so darf man sich nicht wundern, daß heute das Bundesbudget (noch lange nicht die gesamte öffentliche Hand) rund 37% des Nationaleinkommens verschlingt und dieser Anteil sich unentwegt erhöht. In den letzten fünf Jahren ist dieser Anteil zu Lasten des Konsums, des Exports und der Investitionsrate von etwa 12% auf über ein Drittel angewachsen. Die steigende Unterwerfung des Menschen unter einen sich verschärfenden staatlichen Dirigismus braucht Durchführungsorgane, diese aber kosten Geld, was zu unerträglichen Steuerbelastungen führt und in der Folge den Lebensstandard herabsetzen muß.

Je freier sich eine Demokratie vom Dirigismus und Kollektivismus hält, desto geringer der Verwaltungsaufwand und der Steuerdruck, desto höher der Lebensstandard. Tatsachen beweisen: Die Anzahl der Angestellten in der Hoheitsverwaltung beläuft sich in den USA und in der Schweiz auf 0,5%, in Schweden auf 0,96%, in Holland auf 0,98%, in England auf 1,4% des gesamten Bevölkerungsstandes. In Österreich erhöht sich der Anteil auf 1,58%, in der Tschechoslowakei auf 1,8%; je weiter nach Osten und Südosten, desto höher der Anteil der Bürokratie an der Gesamtbevölkerung und desto tiefer der Lebensstandard. Das Sozialeinkommen sinkt proportional mit der Verstaatlichung des Lebens und der Wirtschaft. Hat man beispielsweise das Wohnungswesen verstaatlicht, so benötigt man, um die unausbleiblichen Schäden dieses Schrittes etwa im Wege des „sozialen Wohnbaues“ wieder gut zu machen, eine Unzahl von Verwaltungsorganen und auch von Justizorganen zur Bereinigung der auftauchenden Streitfälle. Zu denselben Überlegungen führt der jetzt wieder hervorgeholte Plan, die Arbeitsvermittlung zu verstaatlichen und dergleichen mehr. Erster Schritt der Verwaltungsreform: Man erziehe den Staatsbürger zur Selbstverantwortung und mache mit seiner Bevormundung durch eine emsige Gesetzesproduktion Schluß.

Es ist noch nicht alles erfaßt, wenn man sagt: Ohne Gesetzeshypertrophie keine Verwaltungshypertrophie. Zunächst ist hier einmal auf die für Österreich ungünstige Tatsache zu verweisen, daß kleine Länder einen relativ höheren Verwaltungsaufwand erfordern als große, da die Vielfalt der Verwaltungszweige zur Größe des Staates in keinem Verhältnis steht. Vorarlberg braucht verhältnismäßig mehr Beamte als- Niederösterreich; das Rheinland kommt beispielsweise verhältnismäßig mit der halben Beamtenzahl der Hansastädte aus. — Weiter ist es eine Erfahrungstatsache, daß der Verwaltungsaufwand der Unzulänglichkeit der Gesetzestechnik direkt proportional ist. Diese Unzulänglichkeit beginnt schon mit der Tatsache, daß in Österreich für manche Lebensgebiete Dekrete, die über hundert Jahre alt sind, gesetzlich maßgebend sind; eine Bestandaufnahme mit gleichzeitiger Rationalisierung unserer Rechtsordnung ist eine unerläßliche Voraussetzung einer Verwaltungsreform. Dauernd genährt wird jene Unzulänglichkeit durch das nicht ganz einwandfreie Funktionieren unserer Gesetzgebungsmaschinerie; von den seit 1945 erlassenen 1540 Gesetzen mußte rund ein Drittelnovelliert (manche bis zu siebenmal), ersetzt oder sonst irgendwie ergänzt werden. Die Folge: eine Unzahl von Durchführungsverordnungen, Ergänzungserlässen, Rückfragen, Auskünften — alles verlorener Verwaltungsaufwand. Das legislative Konzept setzt Tradition und dezennienlange Einfühlung voraus; so etwas ist aber den Sekretären der Parteien, der Gewerkschaften, der Interessenvertretungen nicht immer und nicht unbedingt gegeben, mögen sie auch an Lebensnähe dem Mini-sterialbeamten überlegen sein. Entscheidend ist die objektive interessenfreie Einstellung.

Es gibt noch andere Voraussetzungen für das Gelingen einer Verwaltungsreform; ohne vorherige Entpol i-tisierung ist eine solche nicht denkbar. Man sollte glauben, daß eine richtige Abgrenzung des Zuständigkeitsbereiches unserer Behörden etwas Selbstverständliches wäre; diese fehlt leider und die vielberufene „Entflechtung der Kompetenzen“ wird nicht durchgeführt; vielfach wird Doppelarbeit geleistet. Warum? Zunächst aus Rivalität zwis.chen Bund und Ländern Eine Verwaltungsreform wird um ein beschränktes Virement zwischen Bund- und Landeskompetenzen nicht herumkommen, da die einschlägigen Verfassungsbestimmungen durch die tatsächlichen Entwicklungen überholt und uneinhaltbar geworden sind. Das Streben der politischen Parteien zur Wahrung ihrer Machtpositionen hemmt ebenfalls eine Vereinfachung der Verwaltung. Beispielsweise sollte man glauben, daß das Handelsressort als oberste Baubehörde zugleich auch für alle Bauvorhaben des Bundes zuständig wäre. Weit gefehlt! neben ihm agieren aus Gründen des politischen Kalküls auch Sozialministerium und Verkehrsministerium als öffentliche Bauherren, als Ver-bauungsplaner und als Geldheischende beim Finanzminister. Oder auch nicht; denn der neue Siedlungsbau-Förderungsbeitrag soll über die Krankenkassen gehen, was den. Eindruck hervorruft, daß jeder Ressortchef sein eigener Finanzminister sein würde: eine merkwürdige Folie zur immer verlangten Vereinfachung der Verwaltung. Geradezu grotesk ist auf verschiedenen Gebieten das Durcheinander von Steuerbemessung und Steuereinhebung; parlamentarische Wünsche bedingen einen Ausbau des Lohn-steuerprüfungsdienstes; das Wohnbau-förderungsgesetz bedingte die Errichtung eines eigenen Finanzamtes usw. Nur allzu bekannt ist die Behinderung unserer außenhandelspolitischen Verwaltung, die ihre Weisungen von einer Kommission mit Vetorecht nach dem Muster des polnischen Reichstages oder von einem neungliedrigen Wirtschaftsdirektorium erhält oder auch nicht erhält. Auf die Spitze getrieben würde das Verwaltungschaos durch die Einrichtung von Bezirks-parlamenten, welche dem politischen Interventionssystem auch auf der untersten Verwaltungsstufe Tür und Tor öffnen würden.

Dieses ganze Gestrüpp ist wegzuräumen, ehe man an eine Verwaltungsreform im engeren Sinne, also an eine Vereinfachung oder Verbilligung unseres öffentlichen Verwaltungsapparats, denken kann. Zunächst ist hier der in der Öffentlichkeit weitverbreitete Irrtum richtigzustellen, daß sich die öffentliche Verwaltung nach den gleichen Gesetzen zu richten habe, wie die Administration privater Betriebe; die öffentliche Verwaltung folgt ihrer Eigengesetzlichkeit. Ihr fehlt das ausgleichende Gegengewicht der Produktion, sohin jene Bremswirkung, die beim Privatbetrieb das Prinzip der selbständigen Kostendeckung gebieterisch ausübt. Sicherlich ist dies ein Schwächemoment und sicherlich trifft In vielen Fällen die Behauptung zu, daß

Ämter den naturgegebenen Drang aufweisen, ihre Kompetenz und ihren Umfang auszuweiten — eine Eigenschaft, die ebenso auf die Bürokratie öffentlicher Interessenvertretungen wie auch privater Großbetriebe zutrifft. Wir stehen dann jenem Bürokratismus gegenüber, jener „insolence of Office“, die der Hamlet Shakespeares in seinem Monolog als eine der größten Lebensplagen bezeichnet. Weiter ist festzustellen, daß sich in der öffentlichen Verwaltung die Zahl der Angestellten nach der Spitzenbeanspruchung richtet, was in Zeiten des Abflauens der Agenden 'auch die Vollbeschäftigung abflauen läßt, ohne daß diesem zeitweiligen Leerlauf auch Personalverminderungen entsprechen können. Auch fehlt eine gewisse Elastizität in der Abstimmung der Arbeitskreise; es ist schwierig, gewisse Beamtenkategorien für subalterne Arbeiten zu verwenden, und auch untunlich, leitende Beamte aus ihrer Rolle schöpferischer Betätigung zu verdrängen, da dann die Arbeit zur bloßen Routine herabsinkt. Vergebens wird man dann von ihnen ein geistig aufbauendes Konzept, Intuition und Verantwortungsbewußtsein erwarten dürfen. Dies um so weniger, als gerade in Österreich — wieder unter politischen Einflüssen — die Einrichtung der Mitspracherechte, auch unter Beiziehung verwaltungsfremder Elemente, unheilvoll weit gediehen Ist. Die .Kommis-slonitis“ sozialisiert die Verantwortlichkeit und ertötet die Persönlichkeit.

Allen diesen Bedenken gegenüber bleibt die Forderung nach Vereinfachung und Verbilligung unserer öffentlichen Verwaltung aufrecht. Aber auch hier sei zunächst darauf verwiesen, daß die Zahl der Bundesangestellten sich seit 1945 bereits um 9% verringert hat; daß weiter im laufenden Jahr von den rund 266.000 Bundesangestellten auf die Hoheitsverwaltung im engeren Sinn nur rund 130.000 entfielen, eine kleinere Zahl als im Jahre 1938; die übrigen Bediensteten entfallen auf die staatlichen Betriebe. Im Hinblick auf die Kosten der Verwaltung soll hier nicht übersehen werden, daß die Valorisierung der Gehälter des öffentlichen Dienstes, hinter dem allgemeinen Durchschnitt weit zurückgeblieben ist und daß infolge der seit 1945 befolgten Nivellierungstendenz der leitende Beamte bis zu zwei Dritteln seines Realeinkommens eingebüßt hat. Obwohl von einer Verminderung der Agenden nicht gesprochen werden kann, sondern nur von einer dauernden Vermehrung, Ist man bestrebt, die Personalstände jährlich um 5% abzubauen. Dem Widerspruch der Anhänger des öffentlich-rechtlichen Dirigismus ist es zuzuschreiben, wenn dieser Abbau nicht überall gleichmäßig durchgeführt werden kann, so daß sich im laufenden Jahr die Zahl der Bundesangestellten an Stelle eines Abbausolls von 13.200 nur um 400 vermindert hat. Immerhin ist es bemerkenswert, daß gegenüber dem vorletzten Bundesbudget sich der Personalaufwand um 62%, der Sachaufwand um 54%, der Personalaufwand jedoch nur um 48% erhöht hat, wobei überall die Verdünnung unserer Währung in Betracht zu ziehen ist. Für den Ausgleich der Personalstände zwischen den einzelnen Ressorts zwecks Anpassung an den Bedarf bildet das Personalausgleichsgesetz die Grundlage. Die auf eine mehrjährige Tätigkeit zurückreichende Einrichtung der Ersparungskommissäre konzentrierte sich hauptsächlich auf eine Verminderung des Sachaufwandes, während die Präsidialchefs die Personalpolitik in der Hand behielten.

Will man endlich und ernstlich an eine Verwaltungsreform schreiten, so müßte die Legislative mit einem radikalen Abbau der staatlichen Agenden den Anfang machen. Folgen müßte die Entpolitisierung der Verwaltung als ein Akt edelster Koalitionspolitik. Erst dann könnte die Verwaltungsreform einen personalpolitischen Einschlag gewinnen. Für die Reformie-rung verwaltungstechnischer Einzelheiten müßten die Ersparungskommissäre“ mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet werden; die englische Mahnung „men not measures“ wird hier am Platze sein. Neben vielen wirtschaftspolitischen Mäßnahmen erfordert das Zuendegehen deT Marshall-Plan-Hilfe auch die Verwaltungsreform als eine komplementäre Aküon.

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