6576216-1950_45_04.jpg
Digital In Arbeit

Verwandlungen an Österreichs Grenze

Werbung
Werbung
Werbung

Die heurige Ernte in der Tschechoslowakei nannte Präsident Gottwald eine historische, denn sie bedeute eine völlige Wandlung auf dem Lande, „eine Wandlung zu neuen genossenschaftlichen Formen: der Landwirtschaft, eine Wandlung zu einem besseren, vollkommeneren, lichtvolleren Leben auf dem Lande, eine Wandlung, die der bäuerlichen Bevölkerung die Richtung zum Sozialismus zeigt“.

, Nach den gemeinsam durchgeführten Erntearbeiten haben über zweitausend ländwirtschaftliche Einheitsgenossenschaften heuer die Feldraine eingeackert und sind zur gemeinsamen Bodenbearbeitung und Feldbestellung übergegangen — fast ein Siebentel der landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche ist damit, wie der stellvertretende Landwirtschaftsminister Ko-tätko kürzlich erklärte, „kollektiviert“ worden.

Sehr spät ist damit die Landwirtschaft der Tschechoslowakei den Weg gegangen, den man auch auf anderen Lebensgebieten längst beschritten hatte noch vor kaum Jahresfrist wurden noch 94 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens privatwirtschaftlich genutzt, nur 6 Prozent waren sozialisiert, zur selben Zeit, als das Verhältnis in der Industrie bereits umgekehrt war und hier volle 95 Prozent dem verstaatlichten Sektor angehörten.

Diese zögernde Haltung war um so auffälliger, als die Verantwortung für die Landwirtschaftspolitik in der Tschechoslowakei vom ersten Tag der Wiedererrichtung an in kommunistischen Händen lag und seit dem 4. April 1945 bis auf den heutigen Tag von Julius Duri, einem Slowaken, geleitet wird. Die soziale Struktur der böhmisdien, mährischen und slowakischen Landbevölkerung ist eben wesentlich anders, als es die der russischen war, wo Lenin den Klassenkampf zwischen dem Dorfproletariat und den Kulaken entfesseln konnte. 44 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Böhmen und Mähren umfaßten 1948 weniger als zwei Hektar, 40 Prozent 2 bis 10 Hektar, nur ein Prozent über 50 Hektar. Etwa eine Million Industriearbeiter sind gleichzeitig Kleinlandwirte, die die Bestellung ihres kleinen Grundbesitzes der Familie überlassen und selbst in die Fabrik oder auf die Baustelle arbeiten gehen. Sie stellen nicht nur eine krisenfeste Industriearbeiterschaft dar, ihr Lebensstandard ist auch höher, als der eines mittleren Landwirtes, der über keinerlei zusätzliche Einnahmen verfügt. So sind hier die Grenzen zwischen Industriearbeiterschaft und bäuerlicher Bevölkerung verwischt. Uber den Widerstand des Großgrundbesitzes und der Bauern konnte man leicht hinweggehen — nicht so leicht war mit diesen Kleinlandwirten umzugehen.

Damit soll nicht gesagt sein, daß man auf dem Lande von Anfang an alles beim Alten ließ — hier erfolgte die allmähliche Durchdringung eben vorsichtiger und langsamer, entsprechend der ungleich schwierigeren Situation als in den Städten, der Industrie oder im Grenzgebiet. 145 oder 1946 hätte die Einführung der Kolchosenwirtschaft eine Revolution ausgelöst — erst nach den zweiten Wahlen getraute man sich allmählich, Farbe zu bekennen. Aber trotz allen Drängens doktrinärer Parteitheoretiker ging Minister ftuiis vorsichtig und langsam vor. Die Errichtung von Maschinengenossenschaften, Traktorenstationen und staatlichen Schweinemästereien war der Anfang. Während man 1945 Bauernhöfe bis zu 50 Hektar noch großzügig in die Gruppe des mittleren Grundbesitzes rechnete, säh das neue Bodenreformgesetz sie bereits als Höchstgrenze vor.

Zur Durchführung seiner Aufgaben hat sich das Landwirtschaftsministerium seit 1949 einen straff gelenkten Verwaltungsapparat in den Landwirtschaftsreferaten der Bezirks- und Kreisnationalausschüsse geschaffen, die hauptberuflichen Sprengel-Sekretäre in den kleinen, früher nur ehrenamtlich verwalteten Gemeinden müssen ihre Arbeit fast ausschließlich für die Belange des Landwirtschaftsministeriums einsetzen. Ihnen obliegt in erster Linie die Aufgabe, die Erfüllung des Fünfjahresplans auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu gewährleisten, was bei dem 1948 abgelaufenen Zweijahresplan nicht gelungen war.

Nun sind aber die Ziele des Fünfjahresplans viel weiter gesteckt als die des Zweijahresplans, der nur die Erreichung des Vorkriegsstandes erstrebte. Der Fünfjahresplan hingegen will bis Ende 1953 die pflanzliche Produktion um 11 Prozent, die tierische sogar um 86 Prozent steigern, so daß eine völlige Umstellung der Landwirtschaft und eine Verschiebung des Schwergewichts vom Ackerbau zur Viehzucht erfolgen soll. Während heute 65 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion auf den Ackerbau und nur 34 Prozent auf die Viehzucht entfallen, soll das Verhältnis in drei Jahren 52 zu 48 sein.

Man versucht ferner, den Ertrag der Landwirtschaft dem der anderen Wirtschaftszweige anzupassen. Es wurde errechnet, daß die Jahresleistung eines in der Landwirtschaft tätigen Menschen nur 20.000 KS beträgt, während er in der Industrie mehr als das Dreifache, nämlich durchschnittlich 70.000 Kö erreicht. Abgesehen von einer weitgehenden Mechanisierung soll die Rationalisierung der Landwirtschaft vor allem durch eine großzügige Zusammenlegung der landwirtschaftlich genutzten Flächen erreicht werden, denn es bestehen die landwirtschaftlichen Betriebe, deren es im ganzen Staatsgebiet rund 1,400.000 gibt, aus nicht weniger als 33,000.000 Parzellen, so daß jeder Betrieb durchschnittlich aus 23 Einzelparzellen besteht.

Schneller als die Zusammenlegung in einem komplizierten Kommassationsver-fahren läßt sich das gleiche Ziel durch eine Abstimmung in der Ei|heitsgenos-senschaft herbeiführen: die Mehrheit der Klein- und Mittellandwirte hat darüber zu entscheiden, ob die Bodenbearbeitung und die Aussaat gemeinsam vorzunehmen sind. Seit Wochen wird in politischen Kundgebungen, in der Presse und im Rundfunk dafür lebhaft Propaganda gemacht, das Einackern der Feldraine in jedem einzelnen Dorf wird festlich begangen und den Nachbargemeinden zur Nachahmung eindringlichst empfohlen.

In allen Satellitenstaaten sind die Ziele, ob sie nun das öffentliche Leben, die Verstaatlichung der Industrie oder den Kampf gegen die Kirche, die Reform der Gerichte oder die Einführung des Kolchosensystems betreffen, dieselben, die Unterschiede liegen lediglich in der Taktik, in der zeitlichen Reihenfolge oder in ein paar Äußerlichkeiten. Uberall aber sind dieselben Probleme aufgerollt und nach gleichem Schema gelöst. mh.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung