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Verwirrung in Panama

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Napoleons prophetisches Wort: „Ich habe Europa erobert, wer nach mir kommt, wird es zu überzeugen haben“ ist nach 150 Jahren für die ganze Welt gültig geworden. Der stärkste Staat der Welt wirbt noch im kleinsten lateinamerikanischen Lande um Solidarität. Die militärische Kraft reicht nicht mehr, um die Herrschaft zu legitimieren.

Die USA stehen in Asien und in Lateinamerika vor demselben inneren Problem: Ihnen fehlt der Auftrag der anderen Staaten, die „kommunistische Gefahr“ als Bedrohung der „kollektiven Sicherheit“ des ganzen Kontinents zu bekämpfen. So setzen sie sich dem Vorwurf aus, durch „einseitige Intervention“ „imperialistische Großmachtpolitik“ zu treiben. Die außerordentliche Empfindlichkeit der Südamerikaner erklärt sich in dieser Beziehung daraus, daß sie bis 1933 Objekt der nordamerikanischen „Kolonialpoli- tik“ waren. Nikaragua wurde bombardiert und besetzt. Diktator Trujillo wurde in der Dominikanischen Republik, andere „Prä- sidenten“-Kandidaten der „United Fruit Co.“ wurden in Guatemala und Honduras eingesetzt. Die mexikanischen Revolutionsregierungen, die nordamerikanische Petroleumgesellschaften enteigneten, wurden unter Druck gesetzt. Diese Etappe schien überwunden, als Roosevelt 1933 auf der panamerikanischen Konferenz in Montevideo die „Politik der guten Nachbarschaft“ proklamierte.)

Die Normalisierung der interamerikanischen Beziehungen auf der Basis der Prinzipien der „Nichtintervention“, der „Gleichberechtigung aller Mitgliedsstaaten“ (der „OAS“) und des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ wurde umgestoßen, als die USA im Vorjahr einseitig die dominikanische Regierung des freigewählten Präsidenten Juan Bosch als „kommunistisch unterwandert“ erklärten und Truppen landeten. Um den Bruch zu kitten, verwandelte die „Organisation amerikanischer Staaten“ („OAS“) die „einseitige" Intervention nachträglich in eine „kollektive“. Aber das „interamerikanische Heer“ hat nur aus Brasilien einen halbwegs beachtlichen Beitrag erhalten. In den Augen der südamerikanischen Völker ist es weiter ein „nordamerikanisches Expeditionskorps“. Obwohl die Lage in der Dominikanischen Republik weit von einer Normalisierung entfernt und die Zeit kaum für die auf Juni angesetzten Wahlen reif ist, reicht die augenblickliche Auseinandersetzung zwischen den USA und den lateinamerikanischen Staaten auf den panamerikanischen Konferenzen, wie sie auf nicht höchster Ebene in Panama aogehalten wurden, weit über diesen Einzelfall hinaus.

Mehr Verständnis für Lateinamerika

Die USA kämpfen in Vietnam an der Peripherie ihrer Einflußzone gegen den Einbruch Pekings. Sie sind aber gleichzeitig im Zentrum ihres Herrschaftsgebietes durch Brückenköpfe Pekings bedroht, die durch klassenkämpferische Revolutionen der sogenannten „Nationalen Befreiungsfronten“ in lateinamerikanischen Ländern zu entstehen drohen. Bei der sogenannten

„Raketenkrise“ 1962 hat Kennedy mit dem Nuklearkrieg gedroht, um zu verhindern, daß Moskau Rampen zum Abschuß von Atombomben in Amerika stationiert. Auch Johnson muß aber dulden, daß in Kuba ein prosowjetisches Regime an der

Macht bleibt, wenn es auch militärisch, politisch und wirtschaftlich isoliert ist. Die Landung der nordamerikanischen Truppen in der

Dominikanischen Republik bewies, daß die USA kein „zweites Kuba" akzeptieren.

Das nordamerikanische Repräsentantenhaus hat in der Resolution 560 am 20. September 1965 erklärt, daß die USA ihre Marineinfanterie einsetzen könnten, sobald „die Gefahr kommunistischer Beherrschung in einem lateinamerikanischen Lande besteht“. Dieser Be schluß hat eine .Welle von Protesten ausgelöst. Die Parlamente von Argentinien, Mexiko, Peru, Chile, Kolumbien und Uruguay haben erklärt, daß der Beschluß das „Nichtinterventionsprinzip“ und das „Selbstbestimmungsrecht“ verletze und ein völliges Unverständnis für die Gefühle der Lateinamerikaner beweise. Diese Reaktion machte allen Kreisen in Washington klar, daß eine nochmalige „einseitige Intervention“ in einem lateinamerikanischen Störungsherd zum Zerfall der panamerikanischen Organisation führen muß. Deshalb ist Washington jetzt fieberhaft bemüht, einen Mechanismus zu schaffen, mit dem jede für den westlichen Einfluß gefährliche Revolution in Lateinamerika als Bedrohung der „kollektiven Sicherheit“ auf panamerikanischer Ebene bekämpft werden kann.

Als auf der „Konferenz der drei Kontinente“ in Havanna kürzlich nicht nur die „revolutionären Organisationen“, sondern auch die sowjetische und die rotchinesische Regierung den lateinamerikanischen Aufstandsbewegungen jede Unterstützung zusagten, protestierten alle amerikanischen Regierungen — außer der mexikanischen — wegen der Verletzung des „Nichtinterventionsprinzips“ bei der UN. Aber sie können sich auch auf der derzeitigen Panamakonferenz wieder nicht über die Methode einigen, wie die „kollektive Abwehr“ der „Intervention“ vor sich gehen soll. Dabei handelt es sich um zwei Funktionen: Zunächst muß eine panamerikanische Organisation schnell feststellen können, daß eine lateinamerikanische Revolution die „Sicherheit des Kontinents“ gefährdet. Zu diesem Zweck soll der „Rat" der „OAS“ zu „politischen Beschlüssen“ ermächtigt werden, wie sie bisher nur die Konferenz der Außenminister treffen kann. Er würde also in eine Art von „kontinentalem Sicherheitsrat“ verwandelt werden. Vor allem Mexiko und Chile widersetzen sich dieser Änderung der Charta, weil sie fürchten, von den USA überspielt zu werden.

Sodann muß eine „Exekutive“ geschaffen werden, die gegen den „Störenfried“ einschreitet. Hierzu betreiben die USA und Brasilien die Bildung des „Interamerikanischen Heeres“. Obwohl die Generalstäbe schon eng Zusammenarbeiten, fürchten manche lateinamerikanische Regierungen immer noch die Freunde mehr als die Feinde. Mexiko, Chile und Uruguay widersetzen sich dem „Interamerikanischen Heer“, während die Haltung Argentiniens schwankt.

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