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Viele Rassen - eine Nation

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Als der portugiesische Staatspräsident Car-mona im Jahre 1939 die afrikanischen Kolonien besuchte, erschienen überall Transparente mit der Aufschrift „Weiße und Farbige — alle sind Portugiesen“. Dies zu einer Zeit, als der farbige Nationalismus den großen Kolonialmächten zu schaffen machte und Hitler in Europa eine wahnwitzige Rassenpolitik betrieb.

„Many races — one nation“ ist auch der Titel einer 1954 in Lissabon erschienenen Druckschrift, die Portugals Kolonialpolitik mit besonderer Betonung ihres anti-rassischen Aspektes an Hand von Dokumenten untersucht. Sie bildete die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen*.

In den portugiesischen Besitzungen kennt man keine Unabhängigkeitsbewegung und keine Rassenfrage. Diesen inneren Frieden verdankt Portugal seiner von christlichen Gedanken durchdrungenen Politik, die von Anbeginn der kolonisatorischen Tätigkeit bis heute bestimmend blieb.

Das Bestreben der Portugiesen war vor allem die Bekehrung der Eingeborenen zum Christentum. „Den katholischen Glauben zu verbreiten, dazu seid ihr ausgesandt“, heißt es in einer Order König Manuel I. (1495 bis 1525). In einer anderen Order legt er den Truppenführern ans Herz, stets nach christlichen Grundsätzen zu handeln. Die Missionäre, durch königlichen Befehl besonders geschützt, geboten den Gewalttaten der Truppen Einhalt. Vorübergehend waren Franziskaner und vor allem Jesuiten mit der örtlichen Zivilverwaltung betraut. Sie schützten, besonders in Brasilien, die Indianer vor Ausbeutung und gerieten dadurch in zahllose Konflikte mit der mehr von nützlichen Erwägungen ausgehenden Politik des Grafen Pombai.

Ungeschmälert blieb ihr Einfluß im Schulwesen, das besonders in Indien und Brasilien entwickelt war. In Goa wurde bereits im 16. Jahrhundert Medizin gelehrt, im 17. Jahrhundert gab es in Luanda, der Hauptstadt Angolas, ein von Jesuiten geführtes College für Weiße und Farbige, in Senegalla eine Art Gewerbeschule.

Seit den Tagen der großen Entdeckungen liegt aber bereits eine achtbare Gesetzgebung vor. Sie sicherte die Freiheit der Person zu einer Zeit, als ein Eingeborenenleben nicht viel zählte. Gewiß wurde, wie man eingesteht, das Gesetz oft mit Füßen getreten und von materiellen Interessen und menschlichem Unvermögen überschattet, allein der Geist blieb durch die Jahrhunderte lebendig. Schon damals wird die Gleichstellung mit den Weißen gefördert. Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, daß es Portugal dieser Gesetzgebung verdankt, daß es im Zeitalter des Antikolonialismus sein „Imperio“ unversehrt erhalten konnte.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts schuf Ministerpräsident P o m b a 1 eine neuen Erfordernissen angepaßte Gesetzgebung. In den Instruktionen für Missionen drückt sich die Achtung vor der menschlichen Person aus. Ein Passus untersagt Gewaltanwendung und Austreibung, „weil es der Gerechtigkeit hohnspräche, wenn man die Indianer zum Verlassen ihres Landes zwänge“.

Portugals größter Kolonialpionier, Alfonso de Albuquerque, erließ damals jene berühmten Heiratsgesetze, durch die die Soldaten und Beamten der Kolonien angehalten wurden, indianische Frauen zu heiraten. Diese Gesetze brachen auch mit allen rassischen Barrieren und wollten die vollständige Assimilation. In ihnen wird „die geheime Bestrafung jener Portugiesen gefordert, die ihre indianischen Frauen ehrenwidrig behandeln“. Dadurch würden „die Indianer letztlich sehen, daß wir sie achten----

daß wir mit ihnen aufrichtig in jener Eintracht leben wollen, die die Grundlage glücklicher Völkerfamilien ist“. So heißt es am 4. April 1755.

1761 stellt ein Erlaß die christlichen Eingeborenen Portugiesisch-Indiens in jeder Beziehung den Portugiesen gleich. Der König schreibt hierzu: „... Ich verfüge, daß jedwede Person, die, welchen Standes sie auch sei, auf die Eingeborenen verächtlich herabsieht, sie „Schwarze“, „Halbwilde“ nennt oder mit ahnlichen Worten beschimpft..., ihres Ranges oder Adels verlustig.... zum Gemeinen degradiert ..., zu einer Zahlung von 200 Pardaos zugunsten der insultierten Person gezwungen ... und hinter Schloß und Riegel... gesetzt werden soll.“ Bei Soldaten trat noch die Deportation dazu.

Das Dekret vom Dezember 1880 regelte dit Beziehungen der nichtchristlichen Bevölkerung von Goa. Von da an gab es in den indischen Besitzungen keine Witwenverbrennungen mehr. Anderseits tolerierte man Einzelfälle von Vielweiberei. Die Folge dieser Politik ist, daß heute über die Hälfte der Einwohner Goas mit dem Mutterland durch gemeinsame Sprache, Religion und verschiedene Blutsbande verknüpft sind.

Die Entwicklung in den afrikanischen Gebieten verlief ähnlich. 1761 erließ der König die „Resolution für Mozambique“, wodurch Weiße, Mischlinge und freie Neger den Bewohnern des Königreiches gleichgestellt wurden. Besonders aber in neuester Zeit, zwischen den Jahren 1933 und 1953, entstand eine Fülle von Gesetzen, von denen das wichtigste das Statut für die Provinzen Guinea, Angola und Mozambique ist. Portugal will aus den unzivilisierten Farbigen vollwertige Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft machen. Diese Politik ist zum Teil erreicht worden. In den genannten Provinzen (es ist bezeichnend, daß in den gegenwärtigen Gesetzen die Bezeichnung „Kolonie“ fehlt) gehören farbige Aerzte, Anwälte, Lehrer und Priester zum alltäglichen Bild. Rassentrennung ist ein Fremdwort. Ueberau besteht Kontakt zwischen Schwarz und Weiß: in der Fabrik, in der Schule, in der Kirche.

Wie erlangt der Eingeborene die staatsbürgerliche Gleichberechtigung? Bis vor kurzem regelten regionale Gesetze diese Frage. Seit dem Jahre 1954 gibt es hier eine einheitliche Bestimmung für ganz Afrika. Im selben Jahr traten auch ein Missions-, ein Gesundheits- und ein Heiratsstatut in Kraft. Das letztere gibt der Eingeborenenfrau freie Hand in der Gattenwahl. Theoretisch kann jeder Einwohner die portugiesische Staatsbürgerschaft erwerben. Er muß allerdings verschiedene Voraussetzungen erfüllen, die eine Einschränkung bedeuten: Er muß 18 Jahre alt sein, Portugiesisch sprechen, ein Arbeitsverhältnis und eine höhere Schulbildung nachweisen, er muß, um die Assimilation zu erleichtern, „auf europäische Art“ leben. Bei Wehrdienstentzug wird das Ansuchen hinfällig. Aber unabhängig von diesen, allgemeinen Bestimmungen erhalten, so lautet die Erklärung, die Staatsbürgerschaft: Beamte, Firmeninhaber, Teilhaber und um Portugal verdiente Eingeborene.

Diese Politik trägt sichtbare Früchte. Wirksam ist der finanzielle Aufwand des Mutterlandes, der1 sich für die afrikanischen Gebiete jährlich, ohne die Verwaltungskosten, auf 225 Millionen Eskudos, das sind 208 Millionen Schilling, beläuft, und in Form von Schulen, katholischen M issionen und anderen Einrichtungen direkt dem Aufbau dient.

Gerade die portugiesischen Gebiete Afrikas, die bereits heute beachtliche wirtschaftliche Faktoren darstellen, dürften dadurch noch mehr in den Vordergrund rücken. Dieses gute Verhältnis von Schwarz und Weiß könnte wohl als ein Beispiel für die oft traurigen Vorgänge in den Kolonialgebieten anderer Mächte dienen.

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