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Villa Giusti: 1918

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Am 4. November d. }. jährt sich zum vierzigstenmal der Tag, an dem während der tragischen Auflösung der österreichischungarischen Monarchie und ihrer bis zuletzt tapfer ausharrenden Armee unser letzter Krieg mit Italien durch den Waffenstillstand von Villa Giusti beendet wurde. Als ehemaliges Mitglied der österreichisch-ungarischen Waffenstiltstandkommission versuche ich im nachfolgenden, die Ereignisse zu schildern, die sich im Zusammenhang damit an der Tiroler Front und in der Villa Giusti abgespielt haben.

Der Verfasser

Am 4. Oktober 1918 erhielt ich in Serrada (Pasubiogebiet), wo ich mich als Generalstabschef der Kaiserjägerdivision befand, den telegraphischen Befehl des k. u. k. Armeeoberkommandos (im nachfolgenden mit der Abkürzung „AOK“ bezeichnet), mich sofort zum 10. Armeekommando in Trient zu begeben, wo mir der Generalstabschef dieses Kommandos, Generalmajor Domasnian, mitteilte, daß der General der Infanterie Victor Weber von Webenau, Kommandant des k. u. k. VI. Korps, vom AOK beauftragt worden sei, die Möglichkeiten für den Abschluß eines Waffenstillstandes an der italienischen Front zu studieren; ich sei auf Grund meiner als ehemaliger Militärattache in Rom erworbenen Kenntnis der italienischen Armee und meiner Sprachenkenntnisse zu seinem Gehilfen ausersehen und solle sofort mit den Vorbereitungen zur Zusammenstellung der Waffenstillstandskommission usw. beginnen. Diese Vorbereitungen, die teils im Studium der bisherigen Waffenstillstände (mit Rußland, Montenegro und Rumänien), teils in den besonderen Erwägungen bestanden, die in Verhandlungen mit Italien anzustellen waren, erwiesen sich als eine recht unfruchtbare Arbeit; fußte sie doch nur auf rein theoretischen Erwägungen, die — wie ich schon von Anbeginn fühlte — der Wirklichkeit nicht standhalten würden. So bat ich denn schon nach wenigen Tagen den General, mich bis auf weiteres wieder zu meiner Kaiserjägerdivision zurückkehren zu lassen, an deren Front viele Anzeichen auf einen unmittelbar bevorstehenden starken feindlichen Angriff schließen ließen

Meine Bitte wurde bewilligt. Aber schon am 27. Oktober wurde ich nach Trient zurückberufen, wo mittlerweile die von mir vorbereitete Kommission zusammengetreten war. Sie bestand

Victor, Weher vpji„Webenau (d.jjereijts .in gleicher Eigenschaft beim Abschluß des Waffenstillstandes mit Montenegro tätig gewesen war), Generalstabs-Oberst Karl Schneller. Gene-ralstabs-Oberstleutnant Victor Freiherr von S e i 11 e r, Honved-Oberstleutnant Franz von Nyekhegyi, Generalstabs-Hauptmann Ca-millo R u g gie r a, Fregattenkapitän Johannes Prinz von und zu Liechtenstein und Korvettenkapitän Georg Zwierkowski.

Noch war es ah der Tiroler Front ruhig, obwohl die Endschlacht am Piave bereits begonnen hatte, und im Bereich der allzeit getreuen Kaiserjägerdivision herrschte wie immer Ordnung und Disziplin — aber in Trient hörten wir bereits beunruhigende Nachrichten über Gehorsamsverweigerungen ungarischer und slawischer Truppen; sie mögen eine Auswirkung des Manifestes gewesen sein, mit dem Kaiser Karl wenige Tage zuvor unvermutet den verschiedenen Nationen der österreichisch-ungarischen Monarchie die Selbstbestimmung gegeben hatte.

Die nächsten zwei Tage, der 28. und 29. Oktober, brachten uns viel Arbeit. Das AOK, mit dessen Operationsleitung wir in ständigem direktem Fernschreiberverkehr standen, ordnete die sofortige Fühlungnahme mit dem Feind durch Entsendung eines Parlamentärs an. Daraufhin wurde das jüngste Mitglied der Kommission, Hauptmann R u g g e r a, am Morgen des 29. Oktober per Auto nach Rovereto geschickt, von wo er sich vormittags, ordnungsgemäß von einem Fahnenträger und einem Hornisten begleitet, zu der italienischen Stellung bei Serra-valle begab, in die er — nach den Beobachtungen unserer Feldwachen — alsbald eingelassen wurde; allerdings wurde er, wie er uns am nächsten Tag berichtete, beim Herannahen an die italienischen Linien von Abteilungen der jenseits der Etsch stehenden tschechoslowakischen Brigade unter Feuer genommen, wobei sein Fahnenträger schwer verwundet wurde, Als bis zum Mittag des 30. Oktober keine Nachricht von Hauptmann Ruggera bei uns in Trient einlangte, befahl das AOK dem G. d. I. von Weber, sich unverzüglich nach Rovereto und von dort aus wenigstens mit einem Teil der Kommission zu den feindlichen Linien zu begeben und mit allen Mitteln zu trachten, so rasch als möglich mit dem italienischen „Commando Supremo“ (das heißt ..Höchstes Kommando“, im nachfolgenden kurz mit „C. S.“ bezeichnet) zum Zwecke einer baldmöglichsten Einstellung der Feindseligkeiten in Verbindung zu treten. Er wurde ermächtigt, alle Bedingungen, die der Feind stellen würde, anzunehmen, soweit sie nicht unsere Waffenehre berührten oder den Rücken unseres deutschen Verbündeten gefährden könnten. G. d. I. von Weber beschloß, Oberst Schneller und mich mitzunehmen und die übrigen Mitglieder der Kommission vorerst in Trient zurückzulassen. Ich verfaßte noch in aller Eile einen Funkspruch in italienischer Sprache an das italienische 26. Infanteriedivisionskommando, in dem ich die voraussichtliche Entsendung von drei hohen österreichischungarischen Offizieren als Parlamentäre anmeldete, und bat, zu veranlassen, daß diese, sobald sie die österreichisch-ungarische Stellung überschreiten, nicht unter Feuer genommen würden; dann rasten wir per Auto nach Rovereto, wo wir am Nachmittag eintrafen.

Bald nach unserem Einlangen meldete sich der eben von der feindlichen Stellung zurückgekehrte Hauptmann Ruggera beim G. d. I. von Weber und berichtete über den Mißerfolg seiner Mission; alle seine Versuche, auch nur über eine kurze Waffenruhe mit den Italienern ins Gespräch zu kommen, seien zwar höflich, aber kühl abgelehnt worden. Der General sandte den Hauptmann nach Trient zurück und überschritt um 17.30 LIhr mit Oberst Schneller und mir, der die weiße Fahne trug, unsere vorderste Stellung am Bahndamm. Zu Fuß schritten wir am Damm den italienischen Stellungen bei Serravalle entgegen, die wir um 19.20 Uhr erreichten; begleitet wurden wir von einem aus Rovereto mitgenommenen Hornisten, der unausgesetzt den Generalmarsch blies. Der Gegner beantwortete diese Hornsignale mit dem italienischen Signal ,.Feuer einstellen“ und hielt unsere Gruppe in den Lichtkegeln mehrerer starker Scheinwerfer fest; von rechts jenseits der Etsch, wo die tschechoslowakischen Ueberläufer in Stellung waren, fielen einige Schüsse, denen laut ge-brüllte tschechische Flüche folgten, dann wurde es still.

Bald näherte sich uns aus der feindlichen Stellung ein italienischer Offizier, der dem Generalstab zugeteilte Alpinimajor Augusto B e r-g o n z i, der uns stramm salutierend erklärte, er habe den Auftrag, niemanden über die Linien zu lassen; er könne lediglich ein Schreiben an das Commando Supremo zur Weiterleitung übernehmen. Ich klärte daraufhin den Major darüber auf, daß wir drei keine gewöhnlichen Parlamentäre, sondern Mitglieder einer vom öster- reichisch-ungarischen AOK gebildeten und „zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand und zum Abschluß desselben“ ermächtigten, Kommission seien und zeigte ihm unsere diesbezüglichen Vollmachten; er möge doch bedenken, welch schwere Verantwortung er auf sich laden würde, wenn er offizielle Abgesandte des höchsten österreichisch-ungarischen Kommandos, die beauftragt seien, einen mehr als dreijährigen Krieg zu Ende zu bringen, wie lästige Eindringlinge abweisen würde. Der Major, mit dem ich italienisch gesprochen hatte, der aber deutsch verstand, las unsere Vollmachten beim Schein seiner Taschenlampe, nahm sie dann gegen Empfangsbestätigung an sich und bat uns, zu warten, bis er seinem vorgesetzten Kommando Meldung erstattet „und weitere Weisungen er-

Nach mehr als einstündigem Warten im Windschatten des Bahndammes erschien der Major wieder und teilte uns mit. daß wir die Linien passieren dürfen. Er führte uns durch das Drahthindernis in den sehr tiefen Schützengraben, der voll von neugierigen, aufgeregt durcheinander schnatternden Infanteristen besetzt war; dort wurden uns — wie es bei Parlamentären üblich ist - die Augen verbunden (eine wegen der tiefen Dunkelheit völlig überflüssige Maßnahme), worauf wir durch endlose Laufgräber zu mehreren wartenden Automobilen geführt würden, die uns nach kurzer Fahrt nach A v i o brachten, wo sich in der Villa des Conte Pellegrini-Malfatti das Hauptquartier der 26. italienischen Infanteriedivision befand. Der Divisionär. Generalleutnant Battistoni, begrüßte uns zeremoniell an der Spitze seines Stabes und bewirtete uns hierauf mit einem für die Kriegszeiten auffallend opulenten Abendessen, bei dem nur er und sein Generalstabschef, Oberst Carpentieri, den ich noch von meiner Tätigkeit in Rom her kannte, anwesend waren.

Gleich nach dem Essen begann die Verhandlung mit einem vom C. S. eingetroffenen Generalstabsoberst, der augenscheinlich um Zeitgewinn kämpfte und unserem Verlangen, möglichst bald die Waffenstillstandskommission nachkommen zu lassen, um zu einer baldigen Einstellung der Feindseligkeiten zu gelangen, fortwährend neue Schwierigkeiten entgegensetzte; schließlich kamen wir nach endlosen Verhandlungen und wiederholt langen Ferngesprächen mit dem C. S. um 1 Uhr des 31. Oktober zu einer Einigung. Um 4 Uhr traf ein Telegramm des C. S ein, das der Waffenstillstandskommission die Erlaubnis zum Ueberschreiten der italienischen Linien bei Serravalle erteilte, worauf ich gleich unseren Hornisten nach Rovereto zurücksandte, um den zurückgebliebenen Rest unserer Kommission herüberzuführen. Die Herren trafen am Nachmittag in Avio ein, von wo sofort die Weiterfahrt nach der uns vom C. S. als Sitz zugewiesenen Villa Giusti bei Padua angetreten wurde. Der deutsche Bevollmächtigte, Oberst Freiherr S c h ä f f e r von Bernstein, der sich als Vertreter des Deutschen Reiches unseren Herren hatte anschließen wollen, war von den Italienern abgelehnt und zurückgeschickt worden.

Ich fuhr mit zwei Generalstabsoffizieren des C. S. in einer fest verschlossenen Limousine, in der mir, da ich das Fahren im geschlossenen Auto nicht vertrage, nach einiger Zeit sehr übel wurde. Meine Begleiter bemühten sich in liebenswürdigster Weise um mich und machten in einer Etappenstation halt, wo sie einen offenen Wagen besorgten; da mich aber bei der Weiterfahrt meine Generalstabskappe bald als Oesterreicher verraten hätte, was aus Gründen der Geheimhaltung vor den italienischen Truppen vermieden werden sollte, erhielt ich einfach eine italienische Mannschaftskappe aufgesetzt. Beim Armeekommando in Vicenza wurde haltgemacht, wo die gesamte Kommission dem Armeekommandanten Generalleutnant Ferrari vorgestellt wurde. Nach einer kurzen militärischen Begrüßung entließ er uns, hielt jedoch mich, den er von Rom her gut kannte, zurück, drückte mir in ritterlichster Weise beide Hände und sprach mir in bewegten Worten sein Bedauern aus, daß wir uns unter für mich so traurigen Verhältnissen wiedersehen mußten.

Um ungefähr 19 Uhr traf die gesamte Kommission in der Villa Giusti ein, in der wir sehr gut untergebracht wurden. Auch für unser leibliches Wohl war vortrefflich gesorgt, da die Verpflegung in den Händen eines erstklassigen Paduaner Hotels lag, das einen ausgezeichneten Küchenchef mit dem erforderlichen Bedienungspersonal beigestellt hatte.

General der Infanterie von Weber äußerte dem uns empfangenden italienischen Generalstabsoffizier den Wunsch, womöglich gleich mit den Waffenstillstandsverhandlungen zu beginnen, worauf dieser entgegnete, daß die italienische Waffenstillstandskommission sich erst am nächsten Tag, dem 1. November, um 9 Uhr in der Villa zu einer ersten Besprechung einfinden werde. (Fortsetzung in der nächsten Folge)

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