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Völker im Volke Österreichs

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Die Tschechen außerhalb Wiens

Es ist heute vielleicht schon anachronistisch, von Tschechen außerhalb Wiens in Österreich zu sprechen, zumal ja der Staatsvertrag von 1955 die Tschechen nicht einmal in Wien selbst als eine geschützte Minderheit kennt.

Diese Meinung ist aber deshalb Irrig, weil der Staats- und verfassungsrechtliche Begriff „Wien“ mehrdeutig ist. Wenn man davon ausgeht, daß der Brünner Vertrag, der sich ausschließlich nur auf Wien bezog und nicht auf Niederösterreich, weiterhin in Geltung ist, was zu bejahen ist, so ist für das Gebiet, auf das sich dieser Minderheitenschutz (praktisch Schulautonomie) bezieht, nicht identisch mit „Wien“ in seinen späteren Gebietsgrenzen. Am 7. Juni 1920 (Brünner Vertrag) gab es noch kein Land Wien, sondern nur das Gebiet der Stadtgemeinde Wien, und nur darauf konnte sich der Brünner Vertrag beziehen. Mit den Trennungsgesetzen vom Jahre 1921, die von den Landtagen Wiens und Niederösterreichs dann beschlossen wurden, erfolgte die Erhebung Wiens zu einem Land1, dessen Grenzen dieselben waren wie jene der Stadtgemeinde Wien. 1938 wurde jedoch das Gebiet von Wien (nunmehr Reichsgau) erheblich vergrößert (unter anderem durch Einbeziehung von Mödling und Klosterneuburg)'. Dadurch ist aber der Minderheitenschutz des Brünner Vertrages auf diese neuen Gebietsteile nicht ausgedehnt worden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden diese Gebietserweiterungen nur teilweise rückgängig gemacht. Die bei Wien verbliebenen früher niederösterreiohischen Gebietsteile werden vom Brünner Vertrag also auch heute nicht erfaßt

Magere Zahlen

Die Tschechen außerhalb Wiens ind nicht nur keine gleichen Völkerrechtsschutz genießende Minderheit wie jene in Wien, sie spielen auch zahlenmäßig keine nennenswerte Rolle. Im Jahre 1934 zählte man letztmalig die Tschechen in allen Bundesländern. Es wurden nach der Umgangssprache gezählt: in Niederösterreich 3192, Oberösterreich 321, Salzburg 23, Steiermark 191, Kärnten 26, Tirol 26, Burgenland 77, Vorarlberg 10.

Außerdem wurden die Tschechen noch gezählt in den Landkreisen Waidhofen an der Thaya, Korneuburg und Gmünd, doch war ihre Zahl minimal, so daß sie hier unberücksichtigt bleiben kann. Insgesamt wurden in ganz „Niederdonau“ (ohne die sogenannten Sudetengebiete, jedoch mit dem nördlichen Burgenland) nach der Volkszugehörigkeit gezählt 606.460 Reichsangehörige, davon 589.765 deutscher und 351 tschechischer Volkszugehörigkeit. (Auf die Kroa-

Die Gesamtzahl der Personen tschechischer Muttersprache war also 2658. Die Zahl der Tschechen nach ihrer Muttersprache war also fast achtmal so groß wie der sich als Tschechen dem Volk nach bekennenden Personen.

Obwohl nach dem ersten Weltkrieg zeitweilig in Graz, Linz, Baden, Mödling und anderen Orten tschechische Vereine und Einrichtungen bestanden4, die es heute

Die deutsche Volkszählung 1939 zählte die Tschechen außerhalb des (erweiterten) Reichsgaues Wien nur noch im Reichsgau Niederdonau, der auch das nördliche ehemalige Bundesland Burgenland mit umfaßte (Landkreise Eisenstadt und Oberpullendorf und den Teil II des Landkreises Bruck an der Leitha/ Außendienststelle Neusiedl am See). Die ehemals tschechoslowakischen, zum Reichsgau Niederdonau gekommenen Ortschaften (Theben/Devin, Engerau/Petrzalka) blieben bei der Sprach- und Volkszugehörigkeitszählung außer Betracht, was Ergebnisse ermöglicht, die Verfälschungen vermeiden lassen. Es wurden gezählt:

ten, Slowaken, Magyaren und Zigeuner wird noch später Bezug genommen.)

Praktisch zählte man also in Niederösterreich nach dem Bekenntnisprinzip 1939 keine Tschechen.

Das Bild ändert sich

Wesentlich anders war hingegen das Bild Hinsichtlich der Sonderauszählung nach der Muttersprache8, wobei auch hier die merkwürdige Fragestellung nach der Variante „deutsch und tschechisch“ auffällt.

freilich nirgends mehr gibt, konnte man auch damals in diesen Gebieten beziehungsweise den betreffenden Bundesländern weder von einer tschechischen Volksgruppe noch von einer tschechischen Sprachminderheit sprechen. Die bereits zu I erwähnte Völkerbundbeschwerde der Wiener Tschechen nahm zwar für Oberösterreich den Bestand einer solchen Minderheit in Anspruch, doch replizierte die österreichische

Regierung unwidersprochen, daß es sich dabei um eine fluktuierende Bevölkerung („population flottante“) aus Anlaß der Zuckerrübenkampagne beziehungsweise abgerüstete Soldaten handle, denen keinerlei Minderheitenschutz (im Sinne des Friedensvertrages von St. Germain) zukomme.

Außerhalb Wiens hat es somit in der Zeit der österreichischen Republik nie eine tschechische Volksgruppe oder Sprachminderheit gegeben.

Die Slowaken

Die Slowaken sind ein eigenes Volk, das vom tschechischen Volk nach Sprache und Volkstum zu unterscheiden ist. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, daß im alten Österreich (westliche Reichshälfte) bei den Sprachzählungen nur eine einzige Rubrik für Angehörige der tschechischen und der slowakischen Sprachgruppen zur Ausfüllung vorgesehen war, nämlich „böhmischmährisch-slowakische Umgangssprache“. „Böhmisch-mährisch“ war, obwohl es in Mähren auch Slowaken gab, mit dem Tschechischen identisch, während das Slowakische in Niederösterreich nur in geringem Maße vertreten war und vielleicht aus diesem Grunde nicht gesondert ausgewiesen wurde. Das Beispiel des

— seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts — gemeinsamen Zählens der Ladiner und Friauler (Furlaner) in Tirol und im Küstenland zusammen mit den Italienern zeigt allerdings, daß man sprachverwandte Nationalitäten vielleicht auch nicht streng auseinanderhalten wollte. Das Wissen um die Verschiedenheit von Sprache und Volkstum zwischen Slowaken und Tschechen war selbstverständlich vorhanden, zumal in der transleithanischen Reichshälfte, in der die Slowaken im wesentlichen siedelten und die Volkszählungen „Slowakisch“ vorsahen.

Man hat die Slowaken überhaupt

— trotz des Großmährischen (= slowakischen) Reiches (870 bis 894) — nicht selten zu den „geschichtslosen Völkern“ gerechnet5, und da ihnen mit Ausnahme der Jahre 1938 bis 1945 ein eigener Staat unr1 damit die Nationswerdung (im Sinne der herkömmlichen Nationsdeflnition) versagt blieb, wird ihnen auch heute noch vielfach der umfassende Nationalcharakter abgesprochen (R. A. Kann)8. Das altösterreichische Nationalitätenrecht und — freilich nur auf dem Papier — auch das alte ungarische Nationalitätenrecht' schützten alle Nationalitäten und landesüblichen Sprachen, auch die

slowakische. Auf dem Boden der heutigen Republik Österreich hat es in gar nicht so lange zurückliegender Zeit bodenständige Slowakensiedlungen gegeben, dies aber nie in einem Ausmaß, daß die in dem so volksgruppenfreundlichen alten Österreich hier als „Volksstamm“ anerkannt worden wären.

Der Pittsburger Vertrag

Die Slowaken in Niederösterreich sind zur Zeit der Monarchie nur in den an Mähren und an Oberungarn angrenzenden Gebieten in Einzelsiedlungen ansässig gewesen. Die Erscheinungen des „Erwachens der slowakischen Nation“, gipfelnd in den Beschlüssen von Liptö-Szent-miklos vom 10. Mai 1848 und des Slowakischen Nationalkongresses von Turöcz-Szentmärton (Juni 1861), haben ihr Wellen ebensowenig zu den wenigen niederösterreichischen Slowaken geschlagen wie der sogenannte Pittsburger Vertrag zwischen den tschechischen und slowakischen Emigranten vom 30. Mai 19188 betreffend die Autonomie der Slowakei in einem künftigen „Staate der Böhmischen Länder und der Slowakei“, den die Tschechen nie eingehalten haben. Die Slowaken wollten immer ihren eigenen Staat und als Minimalforderung Autonomie innerhalb eines Staates der Tschechen und Slowaken. Es gehört zur Tragik des slowakischen Volkes, daß es in

Die Gesamtzahl der Slowaken — zu denen selbstredend auch jene zu rechnen sind, die als Muttersprache „deutsch und slowakisch“ angeben — nach der Sprachzugehörigkeit betrug somit 5151.

Das ist eine durchaus beachtliche Zahl, mehr zum Beispiel als die Zahl der 1961 im Burgenland gezählten Magyaren oder als die 1951 in Wien gezählten Tschechen. Es ist auch kaum anzunehmen, daß diese Slowaken von 1939 bis heute, innerhalb von rund 25 Jahren, gänzlich verschwunden sind. Die Meinung, daß wegen der deutschen Patronanz bei der Gründung des slowakischen Staates, 1939, eine Patronanz, die nahezu ausschließlich von führenden Persönlichkeiten der „katholischnationalen“ Kreise Wiens getragen war, aus der Slowakei Slowaken nach Wien übersiedelt wären, ist unzutreffend. Nicht einmal nach Engerau, das aber nicht zum Zählgebiet Niederdonau gehörte, durften Slowaken aus der Slowakei übersiedeln, jedenfalls hat es einen solchen Zuzug nicht gegeben.

Es wäre daher nicht uninteressant gewesen, hätte die Zweite Republik in Wien und einigen Bezirken Niederösterreichs 1951 und 1961 die Slowaken gezählt, wobei freilich nur die Fragestellung nach der Muttersprache brauchbare Ergebnisse gebracht hätte.

der Ära Masaryk-Benes um seine ethnischen Rechte betrogen und künstlich einem „tschechoslowakischen Volk“ amalgamiert wurde, das es nicht gibt und nie gegeben hat und das als Volk aus der Retorte durch die ausschließlich tschechischen Gründer der Tschechoslowakischen Republik erfunden wurde, um den alliierten und assoziierten Mächten die Fiktion einer Staatsnation dieses Namens vor Augen zu führen. Man muß es der heutigen kommunistisch regierten CSSR zugute halten,, daß sie — freilich in Einklang mit dem sowjetischen Nationalitätenrecht, das theoretisch besonders volksgruppenfreundlich ist — diese Fiktion beendet und die Tschechen als Tschechen, die Slowaken aber als Slowaken anerkannt und benannt hat. Nur in der Bezeichnung des Staates selbst („Tschechoslowakische Sozialistische Republik“) klingt die Fiktion eines tschechoslowakischen Volkes noch nach. Tschechen und Slowaken haben nach der Verfassung10 die Rechte einer Staatsnation, den Volksgruppen (mit Ausnahme der rund 200.000 Deutschen, die in der Verfassung übergangen werden) kommen beschränkte Minderheiten-rechte (Schulautonomie, Sprachenschutz) zu.

Die Volkszählung 1939

Die Zahl der Slowaken in der Republik ist nur ein einziges Mal ermittelt worden und zwar 1939, als es keine Republik Österreich gab. Die Volkszählung 1939 weist für Wien und Niederdonau (mit Nordburgenland), wo allein auch die Zahl der Slowaken ermittelt wurde, folgendes aus“:

Die Slowaken sind im Gebiete des heutigen Österreich nie eine Volksgruppe und auch nie eine echte Minderheit gewesen. Sie gehören daher zum Begriff „Sprachminderheit“ ohne Gruppencharakter. *

In der nächsten Nummer: Die Zigeuner.

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