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Völker im Volke Österreichs

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Die Magyaren

Westungarn war schon seit dem 10. Jahrhundert deutsch besiedelt. Nach den Türkenkriegen strömten in das stark entvölkerte Gebiet auch Kroaten ein. Das Gebiet zählte nur wenige Magyaren. So zählte man bei der Volkszählung 1880 auf dem Gebiete des heutigen Burgenlandes nur 4,8 Prozent Magyaren nach der Muttersprache (in Ungarn zählte man nach der Muttersprache, was an und für sich volksgruppenfreundlicher war als in Österreich, da die Muttersprache zu den objektiven Merkmalen der Volkszugehörigkeit gehört).

Obwohl Österreich keineswegs das vorwiegend von Deutschen besiedelte Westungarn (Komitate Eisenburg, ödenburg, Preßburg, Wieselburg; der Name „Burgenland“ kommt von „Vierburgenland“, womit diese auf -bürg endenden Komitatsnamen gemeint sind) annektieren wollte, bestimmt der Friedensvertrag von St. Germain1 ebenso wie jener von Trianon, daß dieses Gebiet großteils zu Österreich fallen sollte, womit die Siegermächte einen dauernden Zankapfel zwischen Österreich und Ungarn zu werfen gedachten, um ein Wiederaufleben eines Österreich-Ungarn in jeder Erscheinungsform auszuschließen.

Aber nicht alle rein oder überwiegend deutschen Gemeinden und Gebiete Westungarns kamen auf diese Weise zu Österreich. 17 Gemeinden mit 18.249 deutschen Einwohnern (Volkszählung 1910) blieben bei Ungarn, 9 Gemeinden mit 39.375 Einwohnern, darunter Preßburg mit 32.790 deutschen Einwohnern, kamen an die Tschechoslowakei. Überdies erreichte Ungarn mit Hilfe Italiens2, daß die natürliche Hauptstadt des laut Friedensvertrag zu Österreich geschlagenen fast rein deutschen (und kroatischen) Westungaim, nämlich ödenburg (Sopron) nebst umliegenden Dörfern bei Ungarn verblieb. Eure Volksabstimmung, in der magyarische Freischärler (Heijas-Insurgenten) und Italiener jede freie Abstimmung unmöglich machten und so eine 65prozentige Mehrheit im ganzen Abstimmungsgebiet für Ungarn erzwangen3, führte (14. bis 16. Dezember 1921) dazu, daß nur das reduzierte Gebiet des heutigen Burgenlandes zu Österreich kam, wobei Österreich selbst dieses Gebiet nur in blutigen Gendarmenkämpfen („Landnahme“) nach und nach im Kampf gegen nicht aus dem Lande selbst stammende magyarische Freischärler in seinen Besitz brachte.

Was sind Magyaronen?

Die Geschichte der Landnahme hat der allen aufrechten Österreichern unvergessene ehemalige Innenminister Oskar Helmer sehr anschaulich geschildert4.

Trotz der weitaus überwiegend deutschen Bevölkerung des heute so genannten Burgenlandes, nebst beachtlichen Kroatensiedlungen, waren in diesem Gebiet seit jeher auch bodenständige Magyaren niedergelassen. Damit sind also nicht jene Beamte, Lehrer und sonstigen Angehörigen einer mehr oder minder gehobenen sozialen Oberschicht gemeint, die man überall antrifft, wo ein Mehrheitsvolk ein Minderheitsvolk diskriminierend beherrscht. Die nichtbodenständigen magyarischen Beamten und Militärpersonen, die man anläßlich der ungarischen Volkszählung 1920 noch im Gebiet des heutigen Burgenland zählte, wanderten sodann nach dem ungarischen Staatsgebiet ab, so daß die österreichische Volkszählung von 1923 nur noch solche Magyaren zählt, die dies auch tatsächlich im Sinne einer bodenständigen Volksgruppe auf ihren Heimatboden waren.

Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß es in der Zeit zwischen 1921 und 1938 im Burgenland das sich allmählich abschwächende Phänomen der Magyaronen gab. Der Verfasser dieser Abhandlung hat solche noch in recht ausgeprägter Erscheinungsform, vorwiegend als Repräsentanten der Christlichsozialen Partei, persönlich kennengelernt. In der Burgenlandliteratur findet man die Magyaronen nur selten erwähnt, mit wenigen Ausnahmen wie bei Tzöbl, einem hervorragenden Ken-

ner der nationalen Minderheiten in Österreich5. Die Magyaronen waren in Westungarn wie in Oberungarn von 1918 Personen aus der geistigen Führungsschicht nichtmagyarischer Nationalitäten gewesen, die dem hier starken Kultur- und Prestigegefälle von den Magyare herab au den Deutschen und Slawen erlagen, selbst ihre Muttersprache mit magyarischen Akzent sprachen und versuchten, ihre nichtmagyarische Herkunft durch Überbetonung ihrer freiwilligen Einvölkung in das magyarische Herrenvolk überzukom-pensieren. Obwohl es in der Zwischenkriegszeit ebensowenig wie heute im Burgenland eine magyarische politische Partei gab, gab es eben doch, durch einen zweifellos

Der nicht unbeträchtliche Unterschied zwischen der vom Amt der burgenländischen Landesregierung herausgegebenen „Burgenländischen Statistiken“ und der amtlichen Statistik des österreichischen Statistischen Zentralamtes bezüglich der Magyaren ist schwer aufklärbar.

Magyarische Autoren von Rang wie Nagy Ivan' erwähnen als Grund für die starke Abnahme der Magyaren zwischen 1920 und 1923 auch die Emigration nach Übersee. Aus dem Burgenland wanderten 1922 5346 und 1923 6683 Menschen nach Ubersee aus. Da die Auswanderer aber nicht nach Volkszugehörigkeit gezählt wurden, kann man die Behauptung, daß es sich vorwiegend um Magyaren gehandelt habe, nicht nachprüfen. Daß Nagy dies behauptet, spricht allerdings eher dafür als dagegen. Wir glauben aber, daß auch die geänderte Fragestellung (Umgangssprache statt wie in Ungarn Muttersprache) zu der Abnahme der gezählten Magyaren entscheidend beigetragen hat

magyarisch-nationalistischen Großgrundbesitz gefördert, solche eigensprachigen Kulturmagyaren, also Deutschburgenländer der Sprache nach, die sich kulturell als Magyaren fühlten oder deklarierten. Ob und inwieweit sie in ü9ir österreichischen Volkszählungen, in denen nach der Umgangssprache gefragt wurde, sich zur magyarischen Sprachgruppe bekannten, ist wohl nicht exakt feststellbar. Kenner sind der Meinung4, daß sie sich nicht zur magyarischen Sprachgruppe bekannt hätten.

Die Zählungen 1910 bis 1961

Die Volkszählungsstatistiken geben für das Burgenland (heutiges Gebiet) folgende Ziffern an:

Wenn sich 1939 wieder relativ wenige Burgenländer als dem Volkstum nach magyarisch bekannten, so liegt dies auf der Linie der damaligen politischen Tendenz, möglichst viele „eigensprachige Kulturdeutsche“ zu ermitteln. Die 1939 gezählten Sprachmagyaren (Muttersprache, nicht Umgangssprache!) gliedern sich in reinsprachige Magyaren (7461) und solche, die sich als „deutsch und magyarisch“ bezeichneten (867). Das besagt nur, daß der aus durchsichtigen nationalistischen Gründen ähnlich wie in Steiermark und Kärnten unternommene Versuch, auf dem Umweg über das Bekenntnis zur Zwei- oder Doppelsprachigkeit die nationalen Minderheiten ins deutsche Volk zu überführen, bei den Magyaren auf keine Gegenliebe stieß. Im übrigen gilt selbstredend auch für diese Personen, daß sie ausschließlich magyarischer Sprachzuge-hörigkeit waren, da sich ja niemand als „deutsch und magyarisch“ der Sprache nach bezeichnet hätte, wenn er Deutscher gewesen wäre.

Endlich gilt auch von der Volkszählung 1939, daß sicherlich die wirkliche Zahl der Magyaren höher war. Volkszählungsziffern ergeben für nationale Minderheiten selbst im günstigsten Fall für die Minderheit nur die niedrigstmögliche Ziffer. Bei sozialem oder volkspolitischem Druck, wie er 1939 wohl angenommen werden muß, bleibt diese Ziffer immer hinter den tatsächlichen Verhältnissen zurück.

Die österreichischen Zählungen

Die österreichischen Volkszählungen der Zweiten Republik haben für die Bundesländer Burgenland und Steiermark die Fragestellung von 1939 nicht nur übernommen, sondern noch weiter zuungunsten der Minderheiten ausgebaut. Ähnlich wie bezüglich der Burgenlandkroaten und der Minderheitsangehörigen in Kärnten wurde für die Magyaren im Burgenland sowohl 1951 wie 1961 noch die weitere Rubrik „magyarisch-deutsch“ neben „magyarisch“ und „deutsch-magyarisch“ aufgestellt. Dabei wird nun wieder nach der Umgangssprache gefragt, je-

doch 1961 bedeutend minderheitenfreundlicher als 1951. 1951 wurde nur nach der Umgangssprache schlechthin (gemeint: im öffentlichen Verkehr) gefragt, 1961 aber nach der Haussprache, was stets eine eher größere Zahl Angehöriger der Sprachminderheit ergibt. Das wirkte sich auch in einer Zunahme der Magyaren 1961 gegenüber 1951 aus. Allerdings ist die Zunahme nur bei den reinsprachigen Magyaren festzustellen, während die Gesamtzahl aller in irgendeiner Kombination Magyarisch als Muttersprache =• Haussprache Sprechenden zurückging.

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