Völkermord-Gesetz mit großen Folgen

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Der französische Parlamentsbeschluss, die Ermordung von mehr als einer Million Armenier im Ersten Weltkrieg als Völkermord zu bewerten, könnte Vorbildwirkung für andere Staaten haben.

Türkische Journalisten schreiben schon jetzt ihrer Regierung ins Stammbuch, was diese noch nicht wahrhaben will. Frankreich könnte nicht der einzige Staat bleiben, der die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern verbietet und bestraft. Angesichts des nahenden Jahrestages der Massaker von 1915-17 sei mit ähnlichen Schritten anderswo zu rechnen.

Manch wütender Schnellschuss des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdog˘an ging nach hinten los. Etwa als er die These aufstellte, in Frankreich gebe es keine Meinungsfreiheit. "Schwarzer Humor“, meinte dazu ein Kommentator, der an Verurteilungen in der Türkei wegen Erdog˘an-Karikaturen erinnerte. "Massaker an der Meinungsfreiheit“, tobte der Premier eines Landes, in dem so viele Journalisten inhaftiert sind wie nie zuvor.

Algerischer Protest

Als er die einstige Kolonialmacht Frankreich ins Visier nahm, trat Erdogan ebenfalls ins Fettnäpfchen. In Algerien habe Frankreich selbst einen Genozid verschuldet, so der streitbare Premier. Diese Instrumentalisierung gefiel den Algeriern gar nicht. “Niemand hat das Recht, das Blut der Algerier für sich zu reklamieren”, protestierte Regierungschef Ahmed Ouyahia. Er verbat sich, dass Ankara aus dem Tod tausender Algerier in der Kolonialherrschaft politisches Kapital schlage.

Das Sarkozy-Bashing sorgte auch für Häme, als der fromme Türke den Chef im Élysée als "Feind der Muslime“ betitelte. Reihenweise waren muslimische Staaten gegen die Mohammed-Karikaturen auf die Barrikaden gestiegen, doch wo blieb nun die Solidarität für den "Helden“ in Ankara?, spottete ein türkischer Journalist. Und der Iran? Während des Pariser Unterhaus-Votums weilte Präsident Mahmoud Ahmadinedschad just in Eriwan.

Zwischendurch legte Erdog˘an eine Waffenpause ein. Die Armenier-Initiativen erklärte er so: "Staaten, denen die wachsende wirtschaftliche und politische Macht der Türkei ein Dorn im Auge ist, wollen Druck ausüben.“ Forscher sollten den Beweis erbringen, dass es keinen Genozid an Armeniern gab. In der Tat, eine historische Aufarbeitung zuzulassen, wäre ein erster Ansatz. Freilich geht die Mehrzahl der Experten davon aus, dass im Ersten Weltkrieg auf Weisung der Osmanen-Führung rund 1,5 Millionen christliche Armenier zu Tode kamen.

Außenminister Ahmet Davutog˘lu versuchte seinerseits, das Ja zum Völkermord-Gesetz abzuwenden. Frankreich wolle "durch die Leiden anderer Größe erlangen“. Die Türkei habe beim Zerfall des Ottomanen-Reiches selbst herbe Menschenverluste erlitten. Als der Senat dann doch zustimmte, fand auch Davutog˘lu drastische Worte. Er verglich die französischen Gesetzes-Befürworter mit Diktatoren wie Baschar al-Assad und Muammar Gaddafi.

Da war der Schaden schon längst angerichtet. Ankaras "Faustkampf“ gegen Sarkozy hat über den Präsidentschaftswahlkampf hinaus nicht nur die Beziehungen zum Gegner eines türkischen EU-Beitritts weiter beschädigt. Das Gefecht um den Genozid belastet das Verhältnis zur Union insgesamt, die Verhandlungen mit Brüssel kommen nicht voran. In der für den Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zuständigen Minsk-Gruppe der OSZE stellt die Türkei postwendend auch die Mitwirkung Frankreichs in Frage.

Der Nahost-Politik ist die Fehde zwischen den NATO-Partnern nicht zuträglich. Syrien und der Libanon, einst Teil des Ottomanen-Reichs, später unter französischem Einfluss, sind Schlüsselstaaten der Region. Gegenüber Syrien bedarf es einer einheitlichen Position der Staatengemeinschaft. Der französisch-türkische Zwist bereitet den USA Sorgen. Zumal Ankara Sanktionen in der Schublade hat, wie eine Hafen- und Luftraumsperre für französische Kriegsschiffe und Luftwaffe.

Das Argument, dass Sarkozy die Genozid-Initiative mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen und auf die starke armenische Diaspora in Frankreich lancierte, stieß auch in Europa auf Kritik. Das letzte Wort beim französischen Völkermord-Gesetz ist freilich noch nicht gesprochen. Der Verfassungsrat könnte es noch kippen. Und die Türkei könnte vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Genozid-Urteil von 20 Staaten

Faktum ist, dass 20 Staaten die Ereignisse von 1915/16 als Genozid beurteilt haben. Das Thema dürfte die Türkei noch viele Nerven kosten, je näher die Massaker-Gedenkjahre heranrücken. Dass beim nächsten Versuch im US-Kongress nicht doch noch eine Völkermord-Resolution verabschiedet wird, ist nicht auszuschließen. Aber dass Ankara eine Strategie in Sachen Genozid-Bewertung im Ausland parat hat, ist angesichts der populistischen Entrüstung à la Erdog˘an wohl auszuschließen.

Anlass zur Besorgnis bei einer Emotionalisierung der Genozid-Debatte hat nicht nur die kleine türkische Armenier-Gemeinschaft, sondern auch die vielen Armenier aus der benachbarten Republik, die auf Arbeitssuche in die Türkei gekommen sind. Etwa 70.000 Armenier aus der Ex-Sowjetrepublik arbeiten illegal in der Türkei. Schon wurden Stimmen laut, diese sollte man deportieren.

Im Gegenteil, meinte der Journalist Mehmet Ali Birand, die Türkei sollte einen positiven Schritt setzen. Statt armenische Arbeiter heimzuschicken, sollten die Behörden diesen eine Arbeitserlaubnis anbieten. Das wäre positives Lobbying. Die Verhandlungen zwischen Ankara und Eriwan um eine Normalisierung der Beziehungen stünden derzeit ohnehin still.

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