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Völkerrechtler in der Hofburg

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Am 9. April dieses Jahres werden sich wieder die Delegierten von über hundert Staaten in der Wiener Hofburg einfinden, um in sechswöchiger Arbeit das Kodifikationswerk über das völksr-rechtliche Vertragsrecht in dieser zweiten Session der Wiener Vertragsrechtskonferenz zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Damit wird jene Rechtsmaterie, mit deren Bearbeitung durch die Internationale Rechtskommission (International Law Commission) der Vereinten Nationen vor zwanzig Jahren begonnen wurde und die im Frühjahr des vergangenen Jahres in Wien ihre erste konferenzmäßige Behandlung erfahren hatte, in die Form eines multilateralen Vertrages gegossen werden; etwa vergleichbar mit einem größeren innerstaatlichen Gesetzeswerk soll auf diese Weise das Vertragsrecht für die überwiegende Zahl der Mitglieder der heutigen Staatengemeinschaft einheitlich verbindlich werden.

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Am 9. April dieses Jahres werden sich wieder die Delegierten von über hundert Staaten in der Wiener Hofburg einfinden, um in sechswöchiger Arbeit das Kodifikationswerk über das völksr-rechtliche Vertragsrecht in dieser zweiten Session der Wiener Vertragsrechtskonferenz zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Damit wird jene Rechtsmaterie, mit deren Bearbeitung durch die Internationale Rechtskommission (International Law Commission) der Vereinten Nationen vor zwanzig Jahren begonnen wurde und die im Frühjahr des vergangenen Jahres in Wien ihre erste konferenzmäßige Behandlung erfahren hatte, in die Form eines multilateralen Vertrages gegossen werden; etwa vergleichbar mit einem größeren innerstaatlichen Gesetzeswerk soll auf diese Weise das Vertragsrecht für die überwiegende Zahl der Mitglieder der heutigen Staatengemeinschaft einheitlich verbindlich werden.

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Die Struktur der internationalen Gemeinschaft ist heute durch eine enge Verflechtung aus politischen, wirtschaftlichen, finanziellen, kulturellen, verkehrstechnischen und anderen Bereichen gekennzeichnet, deren rechtliche Grundlage Verträge zwischen ihren Mitgliedern sind. Die Existenz solcher völkerrechtlicher Normen ist jedoch dem Einzelnen zumeist weniger bewußt als z. B. das ordnungsgemäße Funktionieren seiner staatlichen Rechtsordnung: wer denkt bei Aufgabe eines Briefes in das Ausland daran, daß das sichere Eintreffen letztlich durch einen völkerrechtlichen Vertrag — hier der Weltpostvertrag — gewährleistet ist? Wem wird bewußt, daß der Kauf einer ausländischen Ware, das Führen eines Auslandsgespräches, das Senden eines Auslandstelegrammes oder die Möglichkeit, auch ausländische Fernsehfilme zu sehen, ebenfalls durch zwischenstaatliche Verträge zumeist multilateraler Natur ermöglicht wird?

Während bis 1914 sich der zwischenstaatliche Vertrag vornehmlich mit Fragen der „hohen Politik“ (z. B.Bündnisse, Freundschaftsverträge usw.) beschäftigte, finden wir seit dem ersten Weltkrieg — u. a. auch bedingt durch die neuen technischen Erkenntnisse und das Bemühen der Staaten zu intensivierter Zusammenarbeit — eine Erweiterung des Kreises der Probleme, die, da das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht hiefür noch keinerlei Normen entwik-keln konnte, durch Verträge geregelt werden mußten. Ein sprunghaftes Ansteigen der Zahl der Verträge, die eine generelle Regelung für die Zukunft enthielten, war daher die notwendige Folge. Klarer Beweis dafür ist der Umfang der Vertragssammlung des Völkerbundes bzw. heute der UNO, die insgesamt gegenwärtig mehr als 1000 Bände umfassen; allein Österreich hat seit 1955 an die fünfhundert Verträge abgeschlossen bzw. ist bestehenden beigetreten.

Die mit dem Konventionsentwurf betraute Internationale Rechtskommission der UNO konnte 1966 ihre Arbeit beenden; die Vereinten Nationen nahmen Österreichs Einladung an, die Kodifikationskonferenz in zwei Phasen 1968 und 1969 in Wien abzuhalten, wo bereits 1961 und 1963 zwei andere Bereiche des Völkerrechts kodifiziert werden konnten, nämlich das Diplomaten- und das Konsularrecht. Im letzten Jahr konnte von den 103 Teilnehmerstaaten der Konferenz der aus 75 Artikeln bestehende Entwurf durchgearbeitet werden, wobei eine Einigung über grundsätzliche Fragen, wie Geltungsbereich der Konvention, Abschlußverfahren, Vorbehalte, Auslegung, Wirkung von Verträgen für dritte Staaten, Willensmängel bei Vertragsabschluß usw. erzielt werden konnte. Dabei mußten allerdings nicht nur Gegensätze zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Reich und Arm, also zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, überwunden werden. Beispiel dafür war die Behandlung jenes Artikels, der für den Fall der „Anwendung von Gewalt“ bei Vertragsabschluß die Nichtigkeit des Vertrages festsetzte. Diesen Begriff der „Use of Force“ versuchten eine Reihe von Entwicklungsländern durch einen Zusatzantrag auch auf „politischen und wirtschaftlichen Druck“ auszudehnen; diese Erweiterung, die ein Problem widerspiegelte, das ohne Zweifel für jene Staaten allein schon in Hinblick auf Entwicklungshilfe ein brennendes ist, war jedoch in der Form nicht nur für die westlichen Staaten, sondern offenbar auch für den Ostblock nicht akzeptabel, da sich dieser ohne übliche Unterstützung der neuen Staaten reserviert verhielt.

Aufgabe der zweiten Session wird es nun sein, zunächst jene Fragen, die im letzten Jahr nicht entschieden werden konnten, einer Lösung zuzuführen; sodann wird im Plenum über jeden Artikel noch einzeln abgestimmt. Zu den nicht gelösten Fragen zählt das Problem der vom Ostblock eingebrachten „generellen“ multilateralen Verträge, die — da von weltweitem Interesse (z. B. Atomteststopvertrag) — allen Staaten der Welt offenstehen sollten. Gegen dieses neue Konzept wandten sich — wohl in Hinblick auf die nicht anerkannten Staaten China (Volksrepublik), Nordkorea, Nordvietnam und die DDR, die auf diesem Wege eine politische Aufwertung erfahren würden — die Staaten des Westens. Über die von Frankreich vorgebrachte, ebenfalls neue Kategorie der „beschränkt“ multilateralen Verträge, die ihrer Natur nach nur bestimmte Staaten *<als Parteien) umfassen könnten, wurde ebensowenig wie über ihr genanntes Pendant, den östlichen generellen multilateralen Verträgen, eine Einigung erzielt, so daß diese beiden Fragen voraussichtlich die ersten sein werden, die die Konferenz in diesem Jahr zu behandeln haben wird. Das entscheidendste und bisher ebenfalls noch offene Problem, von dessen Lösung letztlich der Erfolg der Wiener Konferenz abhängig sein wird, ist die Frage nach Verankerung einer internationalen Streitbeilegungsinstanz ' (obligatorisches Schiedsgericht oder Vergleichsinstanz), die für Streitigkeiten über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Verträgen zuständig sein sollte.

Die Unterwerfung unter eine solche Instanz sahen aber die Länder des Ostblocks als mit ihrer Souveränität unvereinbar an. Die Lösung des Problems wird somit dieser Session vorbehalten bleiben.

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