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Völkerwanderung der Bauern

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Essen ist sehr wichtig; der Hungrige betet die Landwirtschaft an. Wer aber satt ist, stößt sie gar von sich, und wenn sich die Landwirtschaft dann wehrt, fühlt stich jeder zum (Ver-)Urteilen berufen. EWG-Vizepräsident Mansholt gibt seinem Programm schöne Züge, „Es geht um den Menschen“. Und worum geht es nun Mansholt: Wohlstand für die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung, aber rauch Anpassung ihrer Erzeugung an den Markt.

Der Weg dahin: nur der größere Betrieb kann Wohlstand erzielen; und nur er ist nicht genötigt „Men-igenanpasser“ um jeden Preis und damit Totengräber seiner eigenen Existenz zu sein.

Kleinst- und Kleinbetriebe müssen daher aufgeben; Beruf wechseln; Nebenerwerb daraus machen; einem zusätzlichen Verdienst nachgehen; oder — aus zehn und zwanzig mach eins — sich „kooperieren“. Norm ist der 80 bis 120 ha große, der 40 bis 60 Kühe-, der 450- bis 600-Mast-Schweine-Betrieb; in „Pro-duktionsieinhedten, FE“ (einzelne Betriebe oder mehrere, die ihre Produktion zusammenlegen) oder in ,, Mod ernen lain d wirtschaftlich en

Unternehmen, MLU“ (in welchen die einzelnen Betriebe — ihre Selbständigkeit aufgebend — Boden, Vieh und Maschinen zu gemeinsamer Bewirtschaftung zusammenlegen).

Zwischen „Keuschler“ und Großbetrieb

Der Kleinst- umtd Kleinbetrieb, der „Keuschler“ galt nie als Wohlstand; und niemand hatte erwartet, daß er sein Einkommen einer wachsenden Wirtschaft gemäß von Jahr zu Jahr steigere., .... >i &#9632;..>. &M uiL * In der Bundesrepublik&#9632;&#9632; Deutschland< sind 74 Prozent der landwirtscbaffet-lichen Betriebe kleiner als 10 ha; in

Italien sind es sogar 89 Prozent. In Österreich sind — immerhin 'nur — 60 Prozent der land- (und forst-) wirtschaftlichen Betriebe auf — nur — 18 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche kleiner als 10 ha.

Bin iso großer Teil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung wird auf ein angemessenes Leben nicht verzichten wollen, um das sozialen Friedens willen aber auch nicht verzichten sollen.

Unter der Devise „Es geht um den Menschen“, sagt Mansholt, was alle anderen diesen Betrieben zu sagen nicht bereit sind: Ihr seid, zu klein, um Wohlstand haben zu können. Sehr viele Kleinbetriebe haben schon aufgegeben und werden erst recht in der Zukunft aufgeben; aber nur, wenn sie in der Industrie oder in der Dienstleistung, möglichst ohne zu große „Pendelbewegung“ tunlichst „qualifizierte“ Arbeit finden. Aber die EWG rechnet ja nicht mit mindest 10-ha-, sondern mit 80- bis 120-ha-Betrieben, es muß ihr daher bis 1980 gelingen, viel mehr, von inisgesamt 10 Millionen etwa 5 Millionen Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft zu pensionieren, Nebenberufen zu- oder ganz in andere Berufe überzuführen; sie muß dementsprechend viele Arbeitsplätze schaffen, in großem Ausmaß Landpacht und Landkauf finanzieren. Österreich gehört nicht zur EWG. Aber als Hypothese auf Österreich angewendet, können wir uns alles besser vorstellen:

Bis 1980 würden bei Mindastbe-triebsgrößen von sogar nur 50 ha 300.000 von jetzt insgesamt 387.000 Betrieben aufgeben und von inisgesamt etwa 8 Millionen 3 Millionen ha Boden verpachtet oder verkauft 'Werden müssen.

Es . wäre, eine. Völkerwanderung und Grundistücklizitation unvorstell-

baren und zerstörerischen Ausmaßes: angesichts der Unfinanzier-barkeit und dies jenseits der nahen Grenzen vorpraktizierten Staatseigentums am Boden überdies von unabsehbaren Folgen.

Der bergbäuerliche Hof

Dabei schaltet die Frage das berg-bäuerlichen Betriebes für uns bei diesen Überlegungen von vornherein vollkommen aus.

Er ist meist zu klein. Auch durch kostendeckende Preise würde er aus der Landwirtschaft allein nur selten Lebensstandard erreichen; wohl aber seinen (für viele Manschen schmerzlich vermißten) „Lebensinhalt“ gefährdet sehen. Er muß daher seinen eigenen Status haben. Sicher tragen seine auf hohem Stand befindliche Viehzucht, Fleisch, Milch und — unerläßlich — Fremdenverkehr dazu bei. Darüber hinaus aber wird die Gesellschaft sich zu entscheiden haben: willst du den Bergbauer, die Besiedlung der Höhen und Bergseiten oder willst du sie nicht. Gewiß auch werden nicht alle Bergbauern bleiben können; selbst wenn sie es wollen, würde die Entwicklung — wenn schon nicht anders, so in ihrer eigenen Familie — über sie hinweggehen: in extremen Berglagen, bei ungeeigneten Hofverhältnissen und unglücklicher Familiensitruktur.

Worin man dem Mansholt-Memorandum absolut nicht folgen kann, das ist die unhaltbare, überdies unbegründete Forderung: die Zukunft dem Großbetrieb.

Es widerspricht den Tatsachen, daß über die Betriebsvergrößeruntg Wohlstand, Anpassung an den Markt, und über Angebot und Nachfrage der „gerechte“ Preis erreicht werden kann. Die USA haben ihre Betriebe in den letzten Jahrzehnten laufend vergrößert, sie sind Musterbeispiel

freier Wirtschaft, und dennoch wurde die Parität nicht erreicht

Wir geben daher nicht zu, daß auch die für unseren Lebensraum entscheidenden 38 Prozent unserer bäuerlichen Vater-, Mutter-, Sohn-vollerwerbsbetriebe auf 62 Prozent der Fläche ausradiert werden, weil damit mehr verschwindet als nur diese Betriebe, sondern eine umfassende Wirtschaftsstruktur und Lebenslandschaft.

Es geht darum, die Grenze des „Wohlstandbetriebes“ dort anzusetzen, wo sie — in Abgrenzung zum „Keuschler“ — schon immer gelegen hatte, beim Vater-, Mutter-, Sohn-vollerwerbsbetrieb, der — wenn man nur will — durchaus mit gleicher Treffsicherheit, wie das bei „PE“ und „MLU“ geschieht, deflnierbar ist

Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß ihm für eine dem Markt ange-

paßte, von seinen eigenen Genossenschaften in den Mengen gelenkte Erzeugung kostendeckende und dann auch dynamische Preise zugesichert werden; womit auf seiten der bäuerlichen Landwirte die Tretmühle der Disparität, auf seiten der Allgemeinheit das Übel ewiger „Subventioni-tis“ bereinigt ist.

„Es geht um den Menschen“; in diesem Sinne Ja zum Mansholt-Memorandum, was den Kleinst- und Kleinbetrieb anlangt. Man wird ihm, baupt- oder nebenberuflich, zur Einordnung in die industrielle Wirtschaft verhelfen müssen. Was den bäuerlichen Familienbetrieb angeht: auch er hat „Recht auf Arbeit, Recht auf Lohn“; man wird auf ihn die Erzeugung planen, auf ihn den dynamischen Preis bemessen, dann aber zum Mansholt-Memorandum des Großbetriebes nein sagen müssen.

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