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Volk der Zivilisten

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Das Erstaunliche der Augustereignisse von Prag, Brünn oder Preßburg war der Versuch der Tschechen, durch ein System kalkulierter Gewaltlosigkeit die Sowjets zu paralysieren. Diese an Mahatma Gandhis Methoden gemahnende Form zeigte die Möglichkeit neuer strategischer Aktivität auf, der auch die russische Militärmaschine ausgeliefert war. Die „Demoralisierung“ an den Straßenecken war zeitweise perfekt. Allerdings: das Militärisch- Unmilitärische hat in Böhmen, Mähren und der Slowakei Tradition.

So gibt es wenige literarische Werke, die auch für die Tschechen des Jahres 1968 so bezeichnend sind wie das vom braven Soldaten Schwejk. Gewiß ist längst das Vordergründige von Hašekis Roman, das Antiösterreichische, bedeutungslos und nebensächlich geworden und das Hintergründige richtig erkannt worden, das die Tschechen als das schildert, was sie sind und sein wollen: ein Volk von Zivilisten. Man mag darüber denken, wie man mag; in dieser Haltung liegt nun einmal in erster Linie ein Stück Notwehr, Notwehr eines kleinen Volkes, das es sich einfach nicht leisten kann, zu verbluten — erst recht nicht für andere.

Das militärische Debakel begann sofort 1918. Der erste Generalstabschef der neubegründeten Republik, Josef Machar, stürzte bei einer Parade vom Pferd und zog daraufhin nicht nur die Uniform aus, sondern verließ auch verbittert den neuen Heimatstaat, um nach Wien zurückzukehren, wo er vorher als Bankbeamter gewirkt und sich als Dichter einen Namen gemacht hatte.

Aber auch die weitere militärische Führungsschicht blieb dürftig und enttäuschte: einer der Mitbegründer der Republik neben Masaryk und Benesch, der slowakische General Stefanik, wurde von Landsleuten abgeschossen, noch bevor sein Flug- zeug'landen'-und'ennach Jahrenwie- der seine Heimat betreten konnte — auWerseheri,''erklärten damals di'd

Tschechen, während die Slowaken behaupteten, es sei ein Anschlag der Tschechen gegen den slowakischen Mitbegründer der Republik gewesen. Ein anderer tschechischer General, Gajda, schlug sich nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst zu den Rechtsextremisten und wurde schließlich Führer der tschechischen Faschisten. Oberst im Generalstab

Moravec, ursprünglich nicht gerade ein Deutschenfreund, schrieb dann 1939 das bekanntgewordene Buch „In der Rolle des Mohren“ und wurde anschließend Propagandaminister des Protektorats. Einer der bekanntesten Generäle, der einäugige General Sirovy, wurde 1938 in der turbulenten Übergangszeit als Nachfolger Hodžas Ministerpräsident der Resttschechoslowakei, soll später Beziehungen zu Hitler aufgenommen und infolge seiner guten Beziehungen zum Ribbentrop-

Schwache Tradition

Nach 1918 entstanden die Spannungen in der neubegründeten tschechoslowakischen Armee vor allem dadurch, daß man die „Legionäre“, also jene, die in den tschechischen Legionen im Verband der Alliierten gegen Österreich gekämpft hatten, gegenüber den „Ra- kusäci“, den im österreichischen Verband Verbliebenen, außerordentlich bevorzugte. Nach 1945, vor allem aber dann nach 1948, kam' es zu einer starken Benachteiligung jener, die im zweiten Weltkrieg im Westen, also vor allem in England eingesetzt waren, gegenüber jenen, die im sowjetischen Bereich gekämpft hatten.

Die Folge der Februarereignisse innerhalb der Armee war natürlich ähnlich radikal wie in anderen Bereichen und war erst recht nicht danach angetan, irgendeine Tradition beim Militär und im Offizierskorps wachsen zu lassen.

Wegen angeblicher Zusammenarbeit mit dem britischen „Secret Service“ verurteilte der Oberste Gerichtshof General Raimund Mräzek zu lebenslänglichem Kerker. Ebenfalls zu lebenslänglichem Kerker und zur Ausstoßung aus der Armee wurde General Karel Kutlvašr verurteilt,; der damals mit 54. Jahren nicht nur der jüngste der Generäle war, sondern auch als „Befreier

Prags“ im Jahre 1945 gefeiert wurde. Zum Tod durch den S'.rang wurde 1949 General Heliodor Pika verurteilt. Ihm, der zwischen 1945 und 1949 stellvertretender Generalstabschef der Tschechoslowakei war, wurde vorgeworfen, während des zweiten Weltkrieges als Militär- attachee der Londoner Exilregierung in Moskau im Auftrag des britischen

Molotow-Abkommen beigetragen haben. 1945 wurde er als Kollaborateur zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt und starb 1957 im Gefängnis.— ein armseliges Ende für den einstigen Kommandanten der tschechischen Legionen in Rußland, den „Helden von Zborov“, Generalstabschef, Verteidigungsminister und Ministerpräsident. Eine Reihe von Generälen starben im Exil; der bekannteste von ihnen, der erst 1963 starb, war General Lev Prchala, letzter Befehlshaber der Karpathenukraine.

Geheimdienstes Spionage betrieben zu haben. Nach dem Westen konnte 1948 noch der Chef der tschechoslowakischen Militärmission in Berlin, Brigadegeneral Dastič, fliehen, ebenso General Antonin Hasal, der Leiter der Militärkanzlei von Staatspräsident Benescih. Nicht mehr in seine Heimat kehrte der tschechoslowakische Botschafter in Den Haag, General Sergej Ingr, zurück.

Vorerst nicht in Ungnade fiel der Kriegsminister der Jahre seit 1945 und frühere Kommandant der tschechoslowakischen Brigade in der Sowjetunion, General Ludvik Svoboda, der sogar noch innerparteiliche Karriere machte und ins ZK der KPC kam, dann allerdings in Ungnade fiel, als Gottwalds Schwie

gersohn Cepička Kriegsminister werden mußte.

Journalisten statt Offiziere

Offiziere und Generale blieben nach wie vor ihn dritten Glied und spielten keine besondere Rolle, als sie oder ein Teil von ihnen Anfang 1968 wieder ans Rampenlicht der Öffentlichkeit traten.

Vor allem war es die sensationelle Flucht des tschechischen Generals Sejna nach den USA unmittelbar nach der Abwahl Novotnys als KP- Sekretär. Sejna war der ranghöchste Offizier aus dem Bereich der War- schauer-Pakt-Mächte, der in den letzten Jahren nach dem Westen geflohen war. Es half auch dem wenig später abtretenden tschechischen Verteidigungsminister General Lom- sky nichts, daß er in seiner Verteidigungsrede im Fernsehen erklären konnte, der Novotny-Mann Sejna sei nicht ihm, sondern dem ZK der KPC unterstanden, deren Verteidigungs- und Sicherheitsausschuß er leitete.

Wenig später wurde — nach Masaryk und Benesch, Hacha. Gottwald, Zapotocky und Novotny erstmals ein General, Ludvik Svoboda, Staatspräsident der Tschechoslowakei. Aus dem ursprünglichen Vertrauensmann der Sowjetunion, als welchen man ihn zur Beruhigung der Sowjets zum Präsidenten wählte, wurde in der Feuertaufe der Geschehnisse der zweiten Oktoberhälfte ein begeistert akklamierter Führer seines Volkes, dessen ausschlaggebende Rolle noch nicht völlig geklärt ist.

Vorher aber stand ein weiterer

tschechischer General im Mittelpunkt von entscheidenden Auseinandersetzungen: General Prchlik. Er wurde bei den Sowjets vorerst der bestgehaßte Mann, weil er angeblich die von Novotny angeblich mit Wissen der Sowjetbotschaft in Prag gegen Dubček geplante Militärrevolte im Jänner 1968 verhindert hat. Dann wurde er als Nachfolger des geflohenen Generals Sejna Leiter des ZK-Komitees für militärische und Sicherheitsangelegenheiten. In dieser Eigenschaft kritisierte er im Juli auf einer Pressekonferenz in Prag sehr heftig den Warschauer Pakt, vor allem aber dis Tatsache, daß das gesamte Oberkommando des Paktes, alle Marschälle, Generäle und Offiziere nur aus Sowjetrussen bestehe. Ohne die künftige Entwicklung zu ahnen, griff hier das Prager ZK blitzartig ein, erklärte, daß Prchlik zu solchen Äußerungen nicht befugt sei, versetzte ihn wieder in den aktiven Militärdienst, machte allerdings auch den geschickten Schachzug. daß es sein Aufgabengebiet, eben das ZK-Komitee für Sicherheitsfragen, auflöste.

Trotz allem stand das tschechische Militär in jener schicksalsschweren Augustnacht wieder einmal Gewehr bei Fuß, ähnlich wie dies sdhon 1938, 1939 und 1948 der Fall war. Wer mag richten? Vermutlich haben damit Offiziere, Generäle und Soldaten ihrer Heimat einen Dienst erwiesen. Immerhin: die Initiative einer gewandelten Abwehr haben in einer völlig veränderten Schwejkschen Tradition Dichter und Journalisten, Rundfunksprecher und Fernsehtechniker übernommen.

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