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VOlkersplitter nach der Katastrophe

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Zwischen den zwei Weltkriegen bestand in Europa eine starke Bewegung, die sich den Schutz der politisdien und kulturellen Redite der europäisdien Minderheiten zum Ziel gesetzt hatte. Der Schwerpunkt dieser Bestrebungen lag lange Zeit bei den „Europäischen Nationalitätenkongressen“, die seit 1925 jedes Jahr in Genf, Wien und zuletzt in London zusammentraten. Alle bedeutenden Volksgruppen waren vertreten: Deutsche aus Estland, Ungarn aus Rumänien, Slowenen aus Italien. Juden aus Polen, ja selbst die Katalanen hatten Vertreter entsandt. Seitdem die Minderheitenpolitik zum Instrument der deutschen Expansionsbestrebungen geworden war, begann der Zerfall dieser kontinentalen Internationale, noch ehe sie imstande gewesen war, ihre vermittelnde Tätigkeit in Europa durchzusetzen. Trotz der ungeheuren Völkerwanderung, die der zweite Weltkrieg und seine Nachspiele in Bewegung setzten, sind Millionen von Menschen als verstreute Minderheiten in den Staatengebilden Mittel- und Südosteuropas haften geblieben. Die Tatsadie, daß bis heute noch nirgends zu der Kardinalfrage Europas, der Ordnung des Minderheitenrechtes, Stellung genommen wurde, beweist noch nicht, daß sie gelöst is;. Soweit von Südosteuropa die Rede sein soll, kann allerdings gesagt werden, daß die Staaten irgendwie und mit ungleichem Erfolg das Bestreben zeigen, im Geiste des großen russischen Völkerreiches zu verfahren, das kein Differenzen zwischen den einzelnen Volksgruppen kennt.

Für Ungarn ist das Nationalitätenproblem heute in erster Linie ein solches der slawischen Minderheiten. Es steht nicht fest, wie viele Von der mehr als halben Million Deutschsprachiger noch im Lande geblieben sind und ob sie nun wirklidi nach Ostdeutschland ausgesiedelt werden. Vorläufig wurden sie ihrer politischen Rechte entkleidet und zum Abtransport bereitgestellt. — Die Slowaken, die nach der Volkszählung von 1920 über 165.000 Seelen aufwiesen, warten heute gleichfalls auf ihre Rückwanderung in die Slowakei. In tschechoslowakischen Kreisen redinet man, daß die Hälfte der — dort mit 300.000 Menschen bezifferten — Volksgruppe Ungarn verlassen wird. Die Abwanderung der Slowaken ist vielleicht ein Grund für die geringe Beachtung, die man in der CSR dem Ausbau der Rechte der ungarländischen Slowaken durch den ungarischen Staat schenkt. — Die Slowaken Ungarns besaßen im Herbst 1946 in ihrem Siedlungszentrjm Bekescsaba je ein Gymnasium und eine Parallelbürgerschule sowie zehn Volksschulen in der Umgebung. Als ihre politische Organisation ist die „Slowakische Antifaschistische Front“ zu bezeichnen, die eng mit der gleichnamigen jugoslawischen Vereinigung zusammenarbeitet. Als ihr politischer Führer gilt zwar offiziell noch der evangelische Pastor Michael Francis c i, doch ist der wirkliche Leiter heute der katholische Pfarrer Alexander Horak. Das Sprachrohr der Slowaken Ungarns ist die Wochenzeitung „Sloboda“, die ab 1945 in Budapest ersdieint.

Die südslawische Minderheit, die 1920 selbst nach ungarisdier Zählung über 77.000 Seelen aufwies, wird in Ungarn verbleiben. Besonders unter den westungarischen Kroaten, die die Hälfte der Südslawen Ungarns darstellen, ist das Bestreben erkennbar, mit ihren Brüdern im Burgenland unter österreichischer Staatshoheit vereinigt zu sein. 1946 wurde bereits an 48 kroatisch-serbi-sdien Schulen unterrichtet und die Eröffnung einer serbischen Lehrerbildungsanstalt in Fünfkirchen bewilligt. Die Antifaschistische Front der in Ungarn lebenden Südslawen, die einen Ableger der Tito-Volksfront darstellt, konnte zweimal im Vorjahr Tagungen in Baja und Bakalmas abhalten.

Trotzdem hat es an Beschwerden nicht gefehlt. Noch zu Beginn dieses Jahres klagte der Generalsekretär Antun Rob in der „Nase Novine“, dem Wodienblatt der Minderheit, es werde jede Betätigung dieser Volksgruppe unmöglich gemacht, sie sei bei der Bodenreform völlig vernachlässigt worden, habe keine Vertretung im Parlament und nicht die Erlaubnis, kulturelle Organisationen zu gründen, viele Kinder müßten die ungarischen Schulen besuchen, da die Regierung ihr Versprechen, die Gründung neuer Schulen betreffend, nidit 1 eingelöst habe. Als sprachlidie Minderheit existieren in Ungarn noch die Rumänen, an die 24.000 Seelen, die heute über vier Volksschulen verfügen.

Weit zahlreichere andersspradiige Volksgruppen als das heutige Ungarn hat Jugoslawien aufzuweisen, über deren politische und nationale Stellung jüngst ein wohlinstruierter Aufsatz in der „Furche“ * unterriduete. Hier sei nur eine Ergänzung in bezug auf Mazedonien mitgeteilt:

Das mazedonische Volkselement, das bei der letzten Volkszählung 1931 auf fast 750.000 Köpfe beziffert wurde und jetzt eine eigene Volksrepublik erhalten hat, kann deshalb nicht mehr als Minderheit angesprochen werden. Daß aber ein gewisser Teil der Mazedonier nach wie vor einen Anschluß an Bulgarien oder vielleicht noch stärker völlige Unabhängigkeit anstrebt, beweisen die mehrfachen Prozesse gegen die „Demokratische Front Mazedoniens“, eine Untergrundbewegung, die in der letzten Zeit von sich reden gemadit hat. — Die Türken Mazedoniens, die 1921 noch 150.000 Seelen betrugen, haben sich durch Rückwanderung schon vor dem zweiten Weltkrieg stark vermindert, von ihren Nachbarn untersdieiden sie sich eher in ihrem religiösen als in ihrem nationalen Bewußtsein. Auch sie besitzen eigene Schulen. Man hat dieser Volksgruppe in der Volksrepublik Mazedonier* wichtige Plätze eingeräumt. Hassan Schükrti ist stellvertretender Vorsitzender des Landesausschusses der Volksfront, und Abru-hahim Mehmed Vizepräsident der Volkssobranje Mazedoniens.

Wie in Jugoslawien, so spielt auch in Rumänien die Frage der ungarischen Volksgruppe die größte Rolle. Noch 1930 wurden in ganz Rumänien 1,425.507 Ungarn gezählt, die in drei Kreisen Siebenbürgens große Mehrheiten hatten. Die Moskauer „Prawda“ beziffert sie in einem im Vorjahr erschienenen Lagebericht auf zwei Millionen Ungarn, wohl eine Überschätzung, zumal nach anderen Angaben rund 200.000 Ungarn ihrer rumänisdien Staats-bürger-sdiaft verlustig erklärt und ausgewiesen wurden. Nach der Besetzung Siebenbürgens durch die Rote Armee im Herbst 1944 kam es zu derartigen Ausschreitungen rumänischer Nationalisten gegen die Szekler Ungarn, daß Marschall Stalin die Unterstellung Transylvaniens unter russische' Verwaltung verfügen mußte. Die Regierung Groza ist nun bestrebt, dies nicht ein zweitesmal geschehen zu lassen und versucht, die Ungarn zu beruhigen und mit ihrem Schicksal in Rumänien zu versöhnen. Der „Ungarische Volksverband“, die linksgerichtete Partei der Volksgruppe, ist bei den Novemberwahlen 1946 allein aufgetreten und hat 29 Abgeordnete nach Bukarest entsandt. Ihr Führer ist heute K r u k o Gyarfas; ihr langjähriges Haupt, Graf Beda Teleki, aber ist im Vorjahr wegen Hochverrats von einem Klausenburger Gericht zum Tode verurteilt worden. — Nach dem Bericht der „Prawda“ besitzen die Ungarn heute in Rumänien 1781 Volks-sdiulen, 262 Mittel- und Hauptschulen, 4 Universitätsfakultäten, 5 Theater sowie 7 Tages- und 4 Wochenblätter.

Daß trotz der für heutige Begriffe, maßvollen Minderheitenpolitik der rumänischen Regierung die Lage der Ungarn noch nicht gesichert ist, zeigen die zahlreichen Verur-' teilungen an, die in Siebenbürgen gegen Ungarn erfolgen. Die Budapester Blätter klagen immer wieder über die Verfolgungen, denen die ungarische Minderheit durch untergeordnete Behörden ausgesetzt sei. Inwieweit eine unterirdische Tätigkeit ungarischer Unversöhnlicher verantwortlich zu machen ist, läßt sidi aus Prozessen jüngster Zeit nur erraten. An sonstigen Minderheiten sind in Rumänien noch die der Juden, die heute an 480.000 Seelen zählen und zwei Abgeordnete im Parlament besitzen, sowie die Serben und Slowaken im Banat mit je 50.000 Seelen, erwähnenswert. 45.000 jüdi-sdie Familien und ein großer Teil der Slowaken wollen das Land verlassen.

Das endgültige Schicksal der einzigen deutschen Volksgruppe im Südosten ist immer noch unsicher. Sie führt noch ihr Leben in politisdier Entrechtung und auch all ihrer wirtschaftlichen Mittel beraubt, auf einen Gesinnungswandel bei den heutigen Herren in Bukarest hoffend, die keine Phase der Geschichte ihres Landes zu De“ griffen haben scheinen ...

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