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Volksdemokratie Prottes?

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Als sich in den ersten Apriltagen des Jahres 1945 die Truppen der 3. ukrainischen Armee von Preßburg und Oedenburg her zum Einschließungsmanöver der Stadt Wien anschickten, begann der letzte Zerfallsprozeß der Stadtverwaltung des „Reichsgaues Wien“. Aemter, Ver-sorgilngsstellen, Fabriken und Betriebe schlössen ihre Pforten, und das Stadtbild verschwand im Rauch und Qualm brennender Häuser. Aus den Wohnungen war das Leben in die Keller übergesiedelt, die Frauen begannen mit der Schminke für ihren bevorstehenden Auftritt vor den herannahenden Soldaten der Roten Armee, wobei hauptsächlich Rollen als alte Frauen gefragt waren, lieber die erhaltenen Donaubrücken begann-der Auszug von Sepp Dietrich und seinen nicht gerne gesehenen „Festungsverteidigern“ in Richtung Bayern, wobei sie ihren Fluchtweg gerne mit gesprengten Brücken und Anlagen markierten.

Der Rückzugsweg der abziehenden deutschen Truppen ging auch durch jenes Gebiet nördlich und östlich von Wien, das wir heute schlicht und-einfach als Erdölgebiet bezeichnen. Für das deutsche Rüstungspotential war dieses Gebiet sehr wichtig, lieferte es doch den so notwendigen Kraftstoff für Panzer und Flugzeuge. Kein Wunder also, daß der kleine niederösterreichische Ort Zistersdorf im Denken und Planen der deutschen Erdölfachleute bereits geraume Zeit vor der Besetzung Oesterreichs eine gewichtige Rolle gespielt hatte. Als in den Märztagen 1938 Oesterreich okkupiert wurde, begannen diese Fachleute aus Deutschland auch unverzüglich mit dem Ausbau und Aufschluß der riesigen Erdölfelder um Hauskirchen, Neusiedl und Mühlberg.

Nun näherte sich die Rote Armee den vielen Bohrtürmen, den Pumpen und Raffinerien. Zum Unterschied von anderen Industriezweigen, die stillagen und zum Teil sofort der Demontage verfielen, kamen die Sowjetpanzer zu Fördertürmen und Anlagen, die voll in Betrieb waren, als wäre nichts geschehen. Es war das Hohelied des Pflichtbewußtseins der Bohrmeister und Feldgehilfen, die wußten, welchen Schaden eine Unterbrechung der Förderung bringen kann, und an der Arbeitsstätte ausharrten, bis die neuen Herren die Befehlsgewalt übernahmen. Es waren nicht sehr viele Menschen, die damals im Oel-feld zur Verfügung standen. Die Armee der Fremdarbeiter war abgezogen, zurück blieben die alten „Oeltiger“, die an ihren Pumpen und Bohrern hingen, als würden sie nun ihnen gehören.

Als die erste Welle der abgekämpften, im Siegesrausch taumelnden ukrainischen Armee vorbei war und die Menschen in den Dörfern schon glaubten, wieder aufatmen zu können, traf in Zistersdorf eine Gruppe sowjetischer Offiziere ein, denen man ansah, daß sie in der letzten Zeit kaum mit Kampf und Krieg in Berührung gekommen waren. Sie entnahmen ihren Mappen Pläne und Listen, und in wenigen Tagen begann der „Oelstab Zistersdorf“, wie sich diese sowjetische Dienststelle nannte, seine Arbeit aufzunehmen. Im Schloßgebäude amtierte der sowjetische Oberleutnant Subkow als. Personalchef. Oesterreichische Kommunisten, die über Spanien in die Sowjetunion gekommen waren und nun im Gefolge der Roten Armee einzogen, wurden Berater und Dolmetscher. Die Leute des Oelstabes wußten, daß man rasch Leute zur Förderung benötigte, wollte man nicht schwere Verluste an Oel erleiden. Moskau verlangte Förderung und Transporte, und so kam es, daß die russischen Offiziere herzlich wenig in jenen Tagen auf politische Fragen der heimischen Kommunisten eingingen. Wer kam und erklärte, kein Nazi gewesen zu sein, wurde aufgenommen und sofort in die einzelnen Fördergebiete eingeteilt.

Mit den russischen Oelfachleuten waren wohl auch sogenannte Kulturoffiziere mitgekommen, die sich ihre Arbeit in den ersten Monaten aber kaum sehr schwer machten. Vorerst war wohl Grund zum Feiern, und in diesem Land gab es viel Wein, außerdem „sind sowieso nur Faschisten hier zu finden, die zu ihrem Glück geprügelt werden sollten“. So beschränkte sich die Arbeit der russischen Kulturoffiziere auf die Montage von Spruchbändern auf den Türmen und Anlagen und ließ erst einmal Stalin, dann die Rote Armee und schließlich die Kommunistische Partei der Sowjetunion hoch leben. Für die Freundschaft zwischen Oesterreich und der Sowjetunion oder die Verbindung der Proletarier aus Oesterreich, die mit knurrendem Magen an den Pumpen standen, und den Proletariern in sowjetischer Offiziersunifofm gab es keine Anordnung aus Moskau, und anscheinend von beiden Seiten auch wenig Bedürfnis. So blieben also Transparente und Handlungen in diesem genannten Sinne weg. In dieser ersten Zeit gab es auch noch wenig konzentrierte kommunistische Parteiarbeit im Erdölgebiet, da vor allem die geschulten Kader fehlten, man aber auch der Meinung in Parteikreisen war, daß die erste Nationalratswahl sowieso einen überwältigenden Vertrauensbeweis für die Kommunisten bringen werde.

War das Erdölgebiet in der ersten Nachkriegszeit eine reine Militärangelegenheit der Roten Armee, änderte sich dies später langsam. Vorerst regierten und diktierten Kommißknöpfe von der Wolga und dem Ural, und dies sah kaum anders aus, als wenn Kommißknöpfe anderswo etwas anpacken. In diesem Fall hatte es noch die pikante Note der russischen Mentalität. Die gezogene Pistole zählte damals zu den beliebtesten Diskussionsgrundlagen, und jeder zweite Erdölarbeiter konnte darauf hinweisen, zumindest einmal „erschossen“ worden zu sein. Um die Russen herum aber entwickelte sich eine Art „Creme“ von Kommunisten, die von den Arbeitern den Beinamen „Rucksackkommunisten“ erhielten und diesem Namen auch immer Ehre machten. Sie interessierte die Kommunistische Partei herzlich wenig als Organisation. Sie sahen im KP-Buch und KP-Abzeichen einzig ein hervorragendes Mittel, um die eigenen, nicht eben kleinen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie schleppten den russischen Herren Wein und Schnaps herbei und organisierten frischfröhliche Gelage. Anderseits „lösten sie soziale Fragen“ als Dolmetscher und Berater, wenn sie gut aufgelegt waren, meist mit einigen Ohrfeigen und einem Fußtritt für irgendeinen „Faschisten“. .

Nach den Wahlen des Jahres 1945, die die Kommunisten ihren Mitgliedern mit „mangelnder Reife“ des österreichischen Volkes erklärten, begann auch im Erdölgebiet eine gewisse Umstellung der KP-Arbeit und Agitation. Man legte mit einer groß angelegten Werbeaktion für die Partei los, wobei man nicht sehr dezent vorging. Den Arbeitern wurde etwa in folgender Form die Mitgliedschaft angetragen: „Du bist doch nicht für die Faschisten und Kriegshetzer, also gehörst du zu uns. Für Faschisten und Kriegshetzer haben wir nämlich keinen Arbeitsplatz.“ Das weitere war dann eine Frage der Unterschrift und Kassierung.

Ende 1946 waren die uniformierten Russen fast gänzlich aus der Erdölverwaltung verschwunden. An ihrer Stelle saßen sowjetische Direktoren in den Bohrbetrieben, deren fachliche Qualitäten sehr unterschiedlich waren. Neben rein korrupten Elementen, die Material verschoben, daß es eine helle Freude war, gab es auch ausgezeichnete Fachleute aus den russischen Oelgebieten, die sich korrekt und menschlich benahmen. Diese Russen verurteilten natürlich auch das Treiben feher Kommunisten, die sich Posten und Funktionen zugeschanzt hatten und sich hemmungslos bereicherten. Werkküchenskandale waren an der Tagesordnung, Schiebungen und Unterschlagungen stellten in ihrem Ausmaß manchen Balkanort weit in den Schatten. Das Erdölgebiet wurde zum Eldorado für Geschäftemacher und Schacherer. Von diesen Dingen erfuhren die Arbeiter auf den“ Förderstellen allerdings herzlich wenig. Meist war es Aufgabe des Parteisekretärs, die krassen Fälle zu bereinigen und zugleich zu vertuschen. In dieser Zeit galten im Erdölgebiet sehr oft andere Gesetze als im übrigen Oesterreich. In den Betrieben der SMV, der Sowjetischen Mineralölverwaltung, war man in Rußland. In vielen Fällen wurde die österreichische Exekutive an den Toren der Betriebe zurückgewiesen und eine notwendige Amtshandlung glatt vereitelt. Vorschriften für die Sicherheit der Erdölarbeiter, für die die Oberste Bergbehörde zuständig ist, wurden nicht einmal gelesen, geschweige denn befolgt. Das Gewehr in den Händen österreichischer Kommunisten im Werkschutz, der direkt der sowjetischen Kommandantur unterstand, war symbolisch für die Situation in jenem Teil unserer Heimat. Hier war für die Kommunisten der große Bereitstellungsraum, wo man ungestört ausbilden und konzentrieren konnte für den Fall des Falles.

Die Zeit der Militärs war im Erdölgebiet vorbei, die Zeit der Politruks angebrochen. In den Dienststellen in Wien saßen von den Kom-nunisten delegierte Leute, die ihre festen Aufgaben zu erfüllen hatten, wobei diese Aufgaben meist herzlich wenig mit dem Erdöl unmittelbar zu tun hatten.

Die Aufnahme von Personal ging ausschließlich über ein Kaderbüro, in dem der Arbeitsuchende politisch auf Herz und Nieren untersucht wurde. Die Kommunisten stopften, was zur Verfügung stand und als geeicht erschien, in die Erdölbetriebe, wobei die Parteigenossen meist recht zufrieden blieben, da die Löhne und Gehälter im allgemeinen ausgezeichnet waren. Für die kommunistischen Funktionäre war das Leben in diesem Gebiet, das sie immer mehr zu einer kleinen Volksdemokratie entwickelten, recht angenehm. Sie fuhren mit Motorrädern aus Ostdeutschland umher, natürlich ohne Papiere und mit russischen Kennzeichen. Der Kraftstoff kam auch nicht sehr teuer, meist wurde er kostenlos von den Russen beigestellt. Funktionärsirauen kauften im russischen Konsumverein ein und trugen die gleichen Pelzmäntel wie die Gattinnen der russischen Direktoren. Es gab natürlich auch Betriebsräte, die von den Arbeitern und den Angestellten gewählt wurden, allerdings stand nur eine einzige Liste zur Auswahl. Im übrigen beschränkten sich die Betriebsräte darauf, ihre Freundschaft und enge Verbundenheit mit den Russen, den Unternehmern, zu demonstrieren. Dies tat auch die Betriebszeitung im Erdölgebiet, die von kommunistischen, bei der SMV angestellten Redakteuren fertiggestellt wurde, wobei der Abonnementsbetrag sicherheitshalber gleich vom Lohn der Arbeiter abgezogen wurde. Zum Pech für die Zeitung erreichten manche Beträge niemals die KP-Bezirksleitung, da sie irgendein Kassier dazwischen bereits dringender zu benötigen glaubte.

Die KP-Zentrale aber hatte in dem Erdölgebiet eine wichtige agitatorische Waffe. Das Oelgebiet wurde den Arbeitern und Genossen in den anderen Besatzungszonen als das große Beispiel demonstriert. Mit seinen kommunistischen Kadern und Positionen konnte das Erdölgebiet der Brückenkopf des Kommunismus in Oesterreich werden. Es sollte die Pfeilspitze gegen Wien sein, und mehr als einmal wurde die knappe Entfernung von Malacky, dem slowakischen Oelzentrum, nach Neusiedl, Prottes und Zistersdorf in Besprechungen mit deutlichem Hinweis erwähnt.

Im Herbst des Jahres 1950 hatten die Kommunisten im Zistersdorfer Erdölgebiet eine feste und straffe Organisation aufgebaut und Gruppen handfester Schläger zur jederzeitigen Verfügung. Man konnte es auf eine Kraftprobe ankommen lassen. Der fünfte Lohn-und-Preis-Pakt im Oktober 1950 schien die Gelegenheit dafür zu bieten. Von Matzen und Prottes ist es nicht weit nach Wien, und die russischen Kennzeichen auf den Lastautos sorgten dafür, daß es keine unliebsamen Aufenthalte bis zum Donaukanal gab. Dort allerdings wurde abgesessen und marschiert. Die Autos hatten inzwischen andere Aufgaben. Sie holten Sand und bildeten Barrikaden. Die Erdölkader aber zogen zum Ballhausplatz. Das erstrebenswerte Ziel lag für die Zistersdorfer und Matzener Kommunisten anscheinend greifbar nahe. (Fortsetzung und Schluß in der nächsten Nummer.)

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